Talmudisches

Intimität

Foto: Getty Images

Talmudisches

Intimität

Was unsere Weisen über den Respekt gegenüber der Privatsphäre eines Ehepaars lehrten

von Rabbiner Avraham Radbil  17.01.2025 10:07 Uhr

Der Talmud berichtet im Traktat Eruvin 63b von einer Diskussion, die auch für die heutige Zeit sehr aktuell und bezeichnend sein kann: über den Grund, warum der große Anführer des jüdischen Volkes, Jehoschua, der es in das Land Israel führte, als unwürdig erachtet wurde, Kinder zu haben. Rav Abba bar Pappa sagte, Jehoschua sei dafür bestraft worden, dass er das jüdische Volk dazu veranlasste, eine Nacht lang auf eheliche Beziehungen zu verzichten. Er leitet dies aus den biblischen Versen Jehoschua 5,13 und 8,13 sowie 4. Buch Mose 28,3 ab.

Rav Bruna sagte im Namen von Rav: »Eine Person, die im selben Raum schläft, in dem sich ein Mann und eine Frau aufhalten, über eine solche Person sagt der Prophet: Die Frauen meines Volkes hast du aus dem Haus der Freude vertrieben« (Micha 2,9). Rav Josef fügte hinzu: »Das gilt auch, wenn die Frau zu dieser Zeit eine Nidda war« (rituell unrein – ein Zustand, in dem die eheliche Intimität untersagt ist). Rava widersprach und bemerkte im Gegenteil: »In diesem Fall sollte die Person einen Segen erhalten, da sie dazu beigetragen hat, das Paar vor möglicher Sünde zu bewahren.«

Der Talmud kommt jedoch zu dem Schluss, dass Rava falsch liegt und kein Schutz erforderlich ist, denn wer hat das Paar bislang beschützt, wenn die Frau eine Nidda gewesen ist? Diese Gemara veranschaulicht deutlich die Bedeutung, die die Weisen der Intimität und Privatsphäre zwischen Mann und Frau beimessen.

Eine Nacht länger von ihren Frauen getrennt

Jehoschua wurde schwer bestraft, nur weil er die Rückkehr der jüdischen Soldaten aus der Schlacht um einen einzigen Tag verzögerte, was dazu führte, dass sie eine Nacht länger von ihren Frauen getrennt waren. Midda keneged Midda (»Maß für Maß« – so wie man sündigt, wird man im gleichen Bereich bestraft). Da Jehoschua möglicherweise die Zeugung jüdischer Kinder verhinderte, gestattete ihm der Ewige nicht, Nachkommen zu haben. (In den Kommentaren wird diskutiert, ob diese Strafe nur männliche Kinder betraf oder ob sie auch das Fehlen weiblicher Nachkommen einschloss.)

Ebenso werden die großartigen Söhne des Richters Eli HaKohen, Chophni und Pinchas, als Ehebrecher eingestuft. Nicht, weil sie tatsächlich (Gʼtt behüte) mit verheirateten Frauen zusammenlebten, sondern weil sie das Darbringen der Geburtsopfer der Frauen in der Stiftshütte verzögerten und so ihre Abreise nach Hause zu ihren Ehemännern um einen Tag hinausschoben. Aus diesem Grund ordnet die Tora sie in die Kategorie der Ehebrecher ein. Wir sehen die Bedeutung und den Respekt, mit dem die Tora und die Weisen die Intimität der Ehe betrachten.

Dieses Konzept betonte der im Mittelalter in Südfrankreich lebende Rabbejnu Yehonatan noch weiter: Im Talmud erklärte Rav Josef, selbst wenn der eheliche Akt aufgrund ritueller Reinheitsgesetze verboten ist, gilt eine Person, die in die Privatsphäre eines Mannes und einer Frau eindringt, als jemand, der »die Frau aus dem Haus des Vergnügens verjagt«. Der Vers in Micha bezieht sich dabei offensichtlich nicht ausschließlich auf das körperliche Vergnügen. Rabbejnu Yehonatan erklärt – so zitiert es der Maharscha, Rabbi Samuel Edels (1555–1631) –, dass dies ein Hinweis auf die privaten, intimen Gespräche zwischen einem Mann und einer Frau ist.

Exklusive Zeit miteinander verbringen

Es ist eine große Ehre und Freude für die beiden, exklusive Zeit miteinander zu verbringen. Diese Zweisamkeit ist enorm wichtig dafür, ihre einzigartige Beziehung zueinander aufzubauen und zu stärken. Eine andere Person im Raum zu haben – selbst in dem Fall, wenn es absolut nicht unangemessen wäre –, verunsichert das Ehepaar und verhindert diese ehrliche, offene und sehr intime Kommunikation.

Rabbi Menachem Meiri (1249–1315) fügt hinzu, dass alles und jeder, der eine Trennung zwischen Mann und Frau verursacht, nicht gut ist – selbst eine minimale Trennung sollte vermieden werden.

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025