Talmudisches

Im Schnee auf dem Dach

Kurz vor dem Schabbat stieg Hillel aufs Dach des Lehrhauses und lauschte durch die Dachluke den Schiurim des großen Rabbi Schemaja und des berühmten Rabbi Awtaljon – und es schneite. Foto: Getty Images/iStockphoto

In vielen talmudischen Geschichten lesen wir davon, dass man Hillel, den großen Lehrer Israels, durch nichts zum Zorn reizen konnte. Immer wieder ermutigen uns unsere Weisen, ihm nachzueifern und eine ähnlich friedliche und besonnene Haltung einzunehmen – vor allem in Situationen, die wir irrtümlicherweise viel zu ernst nehmen.

Im Folgenden erfahren wir von zwei weiteren Episoden, in denen Hillel es unterließ, aggressiv zu handeln. Stattdessen brachten ihn sein ruhiges Auftreten und seine Geduld dazu, das gesamte jüdische Volk zu führen und es für zukünftige Generationen positiv zu beeinflussen.

Wachmann Die Gemara (Joma 35b) berichtet, dass Hillel jeden Tag arbeitete, um ein wenig Geld zu verdienen. Die eine Hälfte brauchte er für den Unterhalt seiner Familie, die andere Hälfte musste er dem Wachmann im Beit Midrasch, dem Lehrhaus, zahlen, damit der ihn einließ. Dort lernte er von den größten und berühmtesten Gelehrten seiner Zeit.

Einmal, an einem Freitag, war es ihm nicht gelungen, genügend Geld zu verdienen, um ins Beit Midrasch eingelassen zu werden, und so musste er draußen bleiben. Doch er ließ sich nicht unterkriegen.

Unerschrocken stieg er kurz vor dem Schabbat aufs Dach des Lehrhauses und lauschte durch die Dachluke den Schiurim, dem Unterricht des großen Rabbi Schemaja und des berühmten Rabbi Awtaljon.

Doch während der Winternacht schneite es sehr stark. Und so wurde er am nächsten Morgen fast erfroren unter drei Ellen Schnee entdeckt. Die Menschen im Beit Midrasch ließen die Gesetze des Schabbats außer Acht und retten sein Leben.

Hillels Gleichmut und seine Gelassenheit sind in dieser Geschichte ganz offensichtlich. Der fast zu Tode erfrorene Hillel beschwerte sich nicht bei den großen Rabbinen über die Summe, die er für den Zutritt zum Lehrhaus bezahlen musste und über ihr Versäumnis, bedürftigen Menschen, die Tora lernen wollten, diese Gebühr zu erlassen.

Diese Zurückhaltung kam Hillel auf lange Sicht zugute. Eine erbitterte Reak­tion seinerseits hätte es möglicherweise verhindert, dass sich im Laufe der Jahre eine besondere Beziehung zwischen ihm und seinen Lehrern Schemaja und Awtaljon entwickelte.

Einsatz Durch seinen Aufenthalt auf dem verschneiten Dach bewies er seinen außergewöhnlichen Einsatz fürs Toralernen und machte die großen Lehrer Schemaja und Awtaljon auf sich aufmerksam.

Doch nie bewarb er sich aktiv darum, als führender Schüler von Schemaja und Awtaljon angesehen zu werden. Daher ist Hillel ein lebendiges Beispiel für die Weisung, die wir in der Mischna lesen: »Wer seinen Namen preist, wird seinen Namen verlieren« (Awot 1,13).

Ein Paradebeispiel für diese Weisung ist auch Hillels großer Vorfahr König David, der sich nicht selbst als König vorgeschlagen hat. Stattdessen ließ der Ewige den biblischen Propheten und letzten Richter Samuel den kleinen tapferen David zum König salben, der den Riesen Goliath, einen Vorkämpfer im Heer der Philister, geschlagen hatte.

So wie König David drängte sich auch Hillel nicht auf. Er machte sich im Beit Midrasch von Schemaja und Awtaljon nicht bemerkbar. Stattdessen erschuf der Herr eine Situation, in der Hillels Hingabe ans Toralernen in aller Unschuld präsentiert und Schemaja, Awtaljon und anderen Großen Israels zur Kenntnis gebracht wurde.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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