Chuppa

»Ich bleibe eine Fragestellerin«

Unterm Schleier: eine traditionelle Chuppa Foto: Flash 90

Ich bin eine Denkerin, eine Philosophin, eine Fragestellerin und gleichzeitig orthodoxe Jüdin. Warum betone ich das? Weil eine traditionelle, zudem verheiratete jüdische Frau meist nicht als intellektuell angesehen wird. Und es stimmt auch, dass sehr viel unserer Zeit und Kraft in die Familie fließt, da sie im Judentum den Fokus bildet. Trotzdem komme ich nicht mit dem Klischee zurecht, welches man uns orthodoxen Frauen so häufig zuschreibt. In meiner Gemeinde sind wir traditionell im Lebensstil, aber weltoffen in unserem Denken und unseren Anschauungen.

Natürlich ist dem Judentum ein gewisser patriarchaler Charakter über die Jahrtausende angewachsen. Doch ich erinnere an G’ttes Forderung an unseren Stammvater: »Höre, Awraham, auf die Stimme deiner Frau, Sara.«

Stimmen und Perspektiven jüdischer Frauen

Die Stimmen und Perspektiven jüdischer Frauen sind in unserer Tradition wichtig. Das erlebe ich auch in meinem religiösen Alltag. Und doch empfinde ich Ungereimtheiten, insbesondere mit dem Ritual der Eheschließung. Wieso, fragte ich mich häufig, bleibt die Frau dabei stumm? Warum ist sie so unbeteiligt, so regungslos, so passiv? Die Braut lässt sich den Ring anstecken, und der Bräutigam spricht einen rituellen Satz unter der Chuppa. Religionstheoretisch beruht diese Passivität darauf, dass die Frau keine Verpflichtung hat zu heiraten und nur der Mann sich dabei aktiv zeigen soll, um seine Mizwa zu erfüllen. Doch bedeutet das wirklich, dass sie dabei so in den Hintergrund rücken muss?

Bei einigen Hochzeiten ist die Braut quasi von oben bis unten verhüllt. Sie erscheint mir austauschbar. Unscheinbar. Unwichtig? Das ist sie doch gerade in der jüdischen Familie nicht!

Was mich besonders stört, ist, dass der Ehevertrag von jeher eine Männersache ist, obwohl es doch im Grunde einzig und allein um die Rechte der Frau geht. Mein Bräutigam verpflichtet sich, mich zu ernähren, mich zu kleiden und mich als Ehemann zu beglücken. Doch zwei männliche Zeugen unterschreiben das rituelle Dokument.

Ich fragte mich: Worum geht es bei der Eheschließung überhaupt?

Ich fragte mich: Worum geht es bei der Eheschließung überhaupt? Im Talmud, im Teil Kidduschin, wird über das Erwerben (hebräisch: Kinjan) gesprochen. Der Bräutigam erwirbt mithilfe des Eheringes seine Braut. Das klingt erst einmal besitzergreifend. Allerdings ist dabei wichtig, was die beiden sich während des »Deals« denken: Der Mann muss im Sinn haben, sich um die Frau zu sorgen, und die Braut denkt daran, dass sie ihm ihr volles Vertrauen schenkt, ebendies zu tun.

Eine gute Ehe bedarf viel Arbeit, aber dann birgt sie auch die Chance darauf, wirklich glücklich zu werden. Im ersten Buch Mose erschafft G’tt dem Menschen eine Partnerin und spricht die berühmten Worte: Es ist nicht gut, allein zu sein. Ganz im Gegensatz zu den Werten unserer heutigen individualistischen Gesellschaft will die Tora uns sagen, dass es besser ist, nicht nur für uns selbst zu sorgen, sondern einen Lebenspartner zu erwählen, um den wir uns hingebungsvoll kümmern – und er sich um uns.

Der jüdische Ehevertrag ist eine Absicherung für die Frau

Der jüdische Ehevertrag ist dabei im Prinzip eine Absicherung für die Frau und eine sehr wichtige juristische Angelegenheit. Jedoch hat das jüdische Gericht heutzutage nur wenig Macht, die Rechte der Braut durchzusetzen. Auch weiß nicht jede Frau über diese Rechte Bescheid. Das führt im tragischsten Fall dazu, dass Frauen, die sich scheiden lassen wollen, sich damit herumärgern, dass ihre Männer ihnen den Scheidebrief verwehren und sie nicht erneut religiös heiraten können.

In einigen jüdischen Gemeinden ist es deswegen Brauch, den jüdischen Ehevertrag, die Ketuba, in die jeweilige Sprache des Landes zu übersetzen und notariell beglaubigen zu lassen. Somit ist auch die Frau involviert, sie weiß, was darin steht und hat auch rechtlichen Anspruch darauf.

Aber war mir das alles so bewusst, als ich das erste Mal heiratete? Ich war gerade erst 20 Jahre alt und wusste noch überhaupt nicht, worauf ich mich einlasse. Die Ehe hielt nicht.

Bevor ich in diesem Jahr ein zweites Mal geheiratet habe, habe ich viel gelesen und bin bewusster unter den Hochzeitsbaldachin getreten. Ich habe mich entschieden, nicht allein zu sein, so wie die Tora es mir empfiehlt – aber ich bleibe auch in der Ehe eine Denkerin, eine Philosophin, eine Fragestellerin … und natürlich, orthodoxe Jüdin.

Lech Lecha

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