Talmudisches

Höher als 20 Ellen

Sukka-Bau in einem Berliner Hinterhof Foto: Marco Limberg

Talmudisches

Höher als 20 Ellen

Die Sukka der fremden Königin Helena

von Netanel Olhoeft  25.09.2017 19:45 Uhr

Am Anfang des Mischna-Traktats Sukka werden wir sehr unvermittelt mit einem Verbot konfrontiert: »Eine Sukka, höher als 20 Ellen, ist untauglich.« Doch fährt der Text fort: »Rabbi Jehuda (bar Ilai) erklärt sie für koscher.«

Diese knappe Aussage allein würde nicht genügen, um die Beweggründe der einander widersprechenden Parteien offenzulegen, nämlich: Aus welchem Grund verbietet die Mehrheit der Weisen eine Sukka, die ein Höhenlimit von zehn Metern überschreitet? Weshalb aber findet Rabbi Jehuda eine solche Laubhütte akzeptabel? All dies erfahren wir in der Mischna nicht.

tradition Doch, G’tt sei Dank, hat die Tradition nicht allein die Mischna überliefert, sondern auch diejenigen halachischen Stücke, die es dort nicht hineingeschafft haben, die sogenannten Baraitot. Diese außerhalb der Mischna überlieferten Lehrmeinungen können äußerst erhellend sein. So wird etwa in unserem Fall überliefert, dass die geschilderte Meinungsverschiedenheit auf einer Begebenheit aus der Zeit des Tempels beruht.

Die zum Judentum übergetretene Königin Helena aus Erbil im heutigen Kurdistan siedelte ins Heilige Land über, wo sie sich in Jerusalem einen prächtigen Palast errichten ließ. Da geschah es, dass sie sich zum Sukkotfest in der Stadt Lod eine entsprechend königliche Sukka baute, die die Höhe von 20 Ellen überschritt.

Als die Weisen jener Zeit Helena besuchten – womöglich mit einem inspizierenden Auge –, hatten sie an ihrer Hütte nichts auszusetzen. Also, argumentiert Rabbi Jehuda im Anschluss an diese Geschichte, könne es nicht sein, dass eine solche Sukka untauglich ist.

Halacha Die anderen Gelehrten aber, die ihm bereits in der Mischna widersprachen, möchten an der gängigen Überlieferung festhalten, wonach eine Sukka nicht höher als ungefähr zehn Meter sein darf. Daher bringen sie eine neue Deutung der Geschichte: Die Weisen, die der ehrwürdigen Königin einen Festbesuch abstatteten, hätten nämlich nur deshalb nichts an ihrer Sukka auszusetzen gehabt, weil Helena als Frau gemäß einem halachischen Prinzip überhaupt nicht dazu verpflichtet sei, in einer ordentlichen Sukka zu sitzen.

Denn unter Umständen, so die Überlegung, müssten Frauen ihren vielfältigen Mutterpflichten nachkommen und sind daher von verschiedenen Geboten ausgenommen, etwa von der Mizwa, fest in einer Sukka zu wohnen. In diesem Sinne habe Helena ihre persönliche Sukka nach ihrem eigenen Geschmack errichtet und nicht nach den striktesten halachischen Vorgaben. Damit habe Rabbi Jehudas Argument zur Anhebung der Sukka-Obergrenze keinen Halt in der Tradition und sei ungültig.

Doch Rabbi Jehuda will sich damit nicht zufrieden geben. Denn bekanntlich, so fährt er fort, habe die Königin sieben Söhne gehabt, die die Feiertage in der großen Sukka ihrer Mutter in Lod verbrachten. Daher sei es ausgeschlossen, dass die Weisen jener Zeit diese Sukka für koscher erklärt hätten, wenn hohe Festhütten nicht erlaubt gewesen wären.

Diskussion Dieses längere Hin und Her der halachischen Diskussion wird in der Folge von der Gemara noch durch weitere Überlieferungen ergänzt, die den kurzen Mischna-Text von verschiedenen Seiten beleuchten und auch den Bogen zu den Versen des Tanach zurückspannen.

In diesem Sinne ist dieser zunächst sehr kurz anmutende Mischna-Paragraf nicht nur ein knappes Gesetzesstatement, sondern ein Fenster, das uns einen tiefen Einblick in die Fülle der Tora gewährt und aufzeigt, wie alle Teile harmonisch zusammenlaufen.

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025