Talmudisches

Himmlisches Strafrecht

Symbol irdischeer Gerichtsbarkeit: die blinde Justitia mit der Waage Foto: Getty Images

Es gibt Dinge, die zwar laut Gesetz nicht ausdrücklich strafbar sind, sich aber dennoch vom ethischen Standpunkt aus verbieten. Hier stehen das Strafrecht des irdischen Gesetzes und die Verantwortlichkeit vor dem himmlischen Gericht einander gegenüber.

Vier wichtige Beispiele für solche Fälle nennt uns der Talmud im Traktat Bava Kama 55b/56a: nämlich das Einreißen eines Zauns vor dem Vieh eines anderen, sodass es fortläuft; das Verursachen eines Brandes auf einem fremden Getreidefeld dadurch, dass die Getreidehalme nahe an ein Feuer gebracht werden; das Anwerben von Zeugen für eine Falschaussage und schließlich die Unterlassung einer Zeugenaussage für oder gegen einen Beschuldigten, also ein Verschweigen der Wahrheit.

Aber sind dies nicht auch Dinge, die durchaus von einem menschlichen Gericht geahndet werden sollten? Handelt es sich doch schließlich um Sachbeschädigung, Brandstiftung, Meineid, falsches Zeugnis.

Nun, im Normalfall ist dies so, doch gibt es Grenzfälle, die dann dem himmlischen Richter zukommen. Darunter fällt das Einreißen eines bereits stark schadhaften Zauns, der womöglich bei nächster Gelegenheit von selbst umgefallen wäre, oder ein Feuer, das kein normaler Wind, sondern ein ungewöhnlich starker Wind auf ein anderes Feld überspringen lässt. Hier handelt es sich nicht um strafbaren Vorsatz, sondern höchstens um Fahrlässigkeit.

Was ist, wenn jemand zum Wohle anderer falsche Zeugen bestellt?

Anders mag es bei den Zeugenaussagen sein; hier geht der Talmud von Geldzahlungen aus, die jemand durch die Aussage falscher Zeugen zugesprochen bekommt. Wenn sich derjenige, der die Zeugen bestochen hat, damit selbst bereichert, ist er dafür selbstverständlich haftbar. Was aber, wenn er selbst gar nichts davon hat, sondern dies zugunsten einer anderen Person tut, also quasi uneigennützig? Dann musste er das Geld unter Umständen nicht zurückzahlen, da er es ja gar nicht selbst erhalten hat. Ersatzpflichtig war hier wohl eher der Begünstigte.

Und der unwillige Zeuge? Es waren grundsätzlich zwei Zeugen vor Gericht erforderlich, um einen Sachverhalt klären und daraufhin ein entsprechendes Urteil fällen zu können. Und wenn nur einer bereit ist, auszusagen, und ein zweiter die Zeugenaussage stillschweigend verweigert? Das irdische Gericht kann dem Betreffenden ja nicht nachweisen, dass er tatsächlich die Wahrheit kennt, solange er es für sich behält. Damit kann er auch nicht haftbar gemacht werden. Dem Ewigen verantwortlich bleibt er gleichwohl.

Nun gehen die Überlegungen in der Gemara noch weiter. Wenn der Zaun doch sowieso schon so schadhaft war, dass das Vieh jederzeit von selbst hätte ausbrechen können, wieso soll einen dann das himmlische Gericht dafür belangen? Und woher hätte denn einer wissen sollen, dass ein so starker Wind aufkommen und ausgerechnet in die falsche Richtung blasen könnte?

Das mag durchaus richtig sein. Zweifelhaft ist dagegen die Argumentation zugunsten dessen, der falsche Zeugen anheuert, mit der Aussage, es sei doch wohl die Schuld der Zeugen, dass sie sich gegen Geld auf eine Falschaussage eingelassen hätten. Das ist fast so, als wollte man sagen, wenn einer dem Vieh seines Nächsten Gift vorsetzt, ist dann nicht auch das Tier selbst schuld, wenn es davon frisst? Und wenn einer die Scherben seines zerbrochenen Krugs auf der Straße liegen lässt, wäre dann nicht ebenso derjenige selbst schuld, der sich daran verletzt? Sogar die verweigerte Zeugenaussage könnte letztlich noch ihr Gutes haben, denn womöglich hätte eine Aussage bloß dazu geführt, dass einer vor Gericht alles abgestritten und sich seinerseits der Falschaussage oder sogar eines Meineids schuldig gemacht hätte.

Solche fragwürdigen Argumente werden allerdings zurückgewiesen, und Rabbi Jehoschua sagt sehr richtig, die Entscheidung liege am Ende doch in den Händen des himmlischen Gerichts, das allein die letzte Wahrheit kennt.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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