Talmudisches

Heimlich sündigen

Rabbi Chanina sagte: »Lieber begehe der Mensch eine Sünde heimlich, als den Namen des Himmels öffentlich zu entweihen.« Foto: Getty Images

Talmudisches

Heimlich sündigen

Wann wird das Verbot von Chilul Haschem übertreten?

von Yizhak Ahren  01.07.2022 08:23 Uhr

Der Talmud stuft die Entweihung des göttlichen Namens (hebräisch: Chilul Haschem) als das schwerste Verbrechen ein: »Wenn sich jemand Chilul Haschem zuschulden kommen ließ, so ist es nicht in der Macht der Teschuwa (Umkehr), es in der Schwebe zu lassen, des Versöhnungstages, es zu sühnen, und der Züchtigungen, es wegzuscheuern. Sie alle lassen es in der Schwebe, und nur der Tod kann Vergebung bringen (…)« (Joma 86a).

Sogleich will der Talmud wissen, welche Handlungen als Chilul Haschem gelten. So heißt es unter anderem: »Rav erwiderte: Bei mir, wenn ich Fleisch vom Metzger kaufe und ihm nicht sofort das Geld dafür gebe. Rabbi Jochanan erwiderte: Bei mir, wenn ich vier Ellen ohne Tora und Tefillin gehe.« In beiden Fällen geschieht nichts Verbotenes – und doch reden die Tora­lehrer von Chilul Haschem.

rebellisch Wie Maimonides, der Rambam (1135–1204), sowohl in seinem Mizwot-Buch (Verbot Nr. 63) als auch in seinem halachischen Kodex (Hilchot Jessode Hatora 5,10) ausführt, gibt es noch ganz andere Situationen, in denen das Verbot von Chilul Haschem übertreten wird: Wer in rebellischer Absicht eine Sünde begeht, der entweiht den göttlichen Namen. Und Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) spricht von der »Ertötung der Anerkennung Gottes und Seiner Lehre« (Chorew 614).

Bemerkenswert ist im Talmud eine Feststellung von Rabbi Abahu im Namen Rabbi Chaninas: »Lieber begehe der Mensch eine Sünde heimlich, als den Namen des Himmels öffentlich zu entweihen, denn es heißt (Jecheskel 20,39): ›Und ihr, Haus Israel, so spricht der Ewige, geht hin und dient jeder seinem Götzen, da ihr auf Mich doch nicht hören wollt, aber Meinen heiligen Namen entweiht nicht« (Kidduschin 40a).

Gleich danach steht in der Gemara ein Ratschlag des Tannaiten Rabbi Ilay: »Sieht jemand, dass der böse Trieb sich seiner bemächtigt, so gehe er zu einem Ort, wo man ihn nicht kennt, kleide sich schwarz, hülle sich schwarz und folge dem Trieb seines Herzens. Aber er entweihe nicht öffentlich den Namen des Himmels!«

Was hat es mit der schwarzen Kleidung auf sich? Der mittelalterliche Kommentator Raschi (1040–1105) schreibt, dass schwarze Bekleidung die Würde des Trägers mindert, und vielleicht werde dadurch der böse Trieb abgeschwächt. Sollte dieser Mensch aber dennoch sündigen, so wird niemand ihn beachten, da man ihn nicht für eine wichtige Person hält.

ERLAUBNIS Rabbenu Chananel (990–1055) erklärt, dass Rabbi Ilay keineswegs eine Erlaubnis zum Sündigen in der Fremde gegeben hat. Vielmehr war er überzeugt, dass Reise und schwarze Kleidung die geplante Sünde verhindern würden. Allerdings widersprechen die Tosafot (zu Chagiga 16a) der Ansicht von Rabbenu Chananel: Nach ihrer Interpretation lehrt Rabbi Ilay, man solle lieber diskret sündigen als öffentlich den göttlichen Namen entweihen. Beim Sündigen seien also Abstufungen zu beachten.

Dass Chilul Haschem nicht nur bei Handlungen in der Öffentlichkeit (also vor mindestens zehn Menschen) vorkommt, lehrt folgende Mischna: »Rabbi Jochanan Ben Broka sagt: Wer den Namen Gottes im Geheimen entweiht, den bestraft man mit Entlarvung. Bei Irrtum findet ebenso wohl Chilul Haschem statt wie bei Wissentlichem« (Sprüche der Väter 4,5).

Rabbiner Seckel Bamberger (1863–1934) kommentiert: Wenn jemand öffentlich jede Übertretung der Tora meidet und nur im Geheimen gegen Gott und die Gebote handelt, dann wird der Ewige es fügen, dass er entlarvt und von der Gesamtheit als Heuchler erkannt wird.

gleichsetzung Wie ist die Gleichsetzung von Irrtum und Vorsätzlichkeit bei Chilul Haschem in der Mischna zu verstehen? Maimonides erklärt, dass der Sünder in beiden Fällen von Chilul Haschem öffentlich bestraft wird – doch nicht in demselben Maße, denn die jeweilige Schuld ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Aus der zitierten Mischna zieht Rabbiner Samson Raphael Hirsch einen praktischen Schluss: »Jeder, auf den die Menschen als mustergültiges Beispiel hinblicken, hat mehr als jeder andere sich nicht nur vor wissentlicher Sünde, sondern auch vor jedem irrtümlichen Unrecht mit ängstlicher Sorge zu hüten.«

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