Talmudisches

Heimlich schenken

Das Auspacken ist mit das Schönste am Schenken. Foto: iStock

»Wer Geschenke hasst, wird lange leben« (Sprüche 15,27). Ein wenig radikal wollte König Schlomo in diesem Vers darauf hinweisen, dass sich Autoritäten nicht durch Zuwendungen in ihrer politischen Urteilskraft trüben lassen dürfen. Keineswegs aber wollte er das Verschenken von Gaben unter Freunden verbieten. Denn wie wir anderen Stellen des Tanachs entnehmen, ist es löblich, den Nächsten und vor allem auch den Bedürftigen Geschenke, etwa an den Feiertagen, zukommen zu lassen (Nehemja 8,10; Esther 9,22).

Darauf basierend hat die aschkenasische Tradition spätestens im 17. Jahrhundert den Brauch entwickelt, Kindern an Chanukka Geld zu schenken. Parallel dazu kennt auch das Christentum den Brauch, Kinderherzen im Winter durch Weihnachtsgeschenke ein wenig zu erwärmen.

RICHTLINIEN Schon unsere Weisen haben sich für die Natur des Schenkens interessiert und nach möglichen Richtlinien gefragt, die dabei zu beachten sind. Eine solche Diskussion finden wir im Traktat Beiza 16a. Dort sagt Rabbi Chama: »Wer seinem Nächsten ein Geschenk zukommen lässt, muss ihn nicht darüber in Kenntnis setzen, so wie geschrieben steht: ›Und Mosche wusste nicht, dass die Haut seines Gesichtes strahlte‹« (2. Buch Mose 34,29).

Zur Erklärung: Die Tora berichtet, dass Mosche Rabbenu beim Abstieg vom Berg Sinai noch immer derart von der Heiligkeit des Ewigen erfüllt war, dass sein Gesicht auch unten weiter leuchtete.

Die aschkenasische Tradition, Kindern an Chanukka Geld zu schenken, wurde spätestens im 17. Jahrhundert entwickelt.

Das kontinuierliche Strahlen ist nach Rabbi Chama als ein Geschenk des Ewigen zu verstehen. Die Tora führt aber weiter aus, dass G’tt Mosche nicht über das Strahlen informierte. Und da es die allgemeine talmudische Regel gibt, dass wir immer aufgefordert sind, von G’ttes Taten zu lernen und sie als Vorbild in unser Leben zu integrieren, schlussfolgert Rabbi Chama, dass auch Menschen den Beschenkten nicht über die Gabe in Kenntnis setzen müssen.

DISKUSSION Die Gemara gibt sich jedoch mit dieser Aussage von Rabbi Chama nicht zufrieden. Und so wird im Verlauf der Diskussion eine weitere Erzählung angeführt: Als der Ewige den Schabbat offenbaren wollte, sprach er zu Mosche: »Mosche! Ein ganz besonderes Geschenk habe Ich in Meinem Schatz verborgen. Es heißt ›Schabbat‹, und Ich möchte es gerne Israel geben. Geh also und setze die Juden darüber in Kenntnis!«

Ein Widerspruch zu Rabbi Chama. Denn wir lernen, dass G’tt diejenigen, die er beschenkt, sehr wohl über die Gaben aufklärt. Folglich sollten auch wir es tun.

Dieser Widerspruch wird schließlich so aufgelöst, dass der Empfänger über den Erhalt des Geschenks zwar informiert wird, dies jedoch unterschiedlich er­folgen kann: Handelt es sich um eine Gabe, über die der Beschenkte später ohnehin Klarheit erlangen wird, wie etwa bei Mosches leuchtendem Gesicht, ist keine weitere Aufklärung nötig. Handelt es sich jedoch um ein Geschenk, von dem der Empfänger auch später nichts erfahren wird, sollte er darüber informiert werden.

Dies wird vom Talmud durch ein Beispiel veranschaulicht, das die Diskussion zuspitzt auf Geschenke für Kinder: Rabban Schimon ben Gamliel lehrt, dass, wenn man einem Kind auf der Straße ein Brot schenkt, man die Mutter informieren muss. Ein wenig humoristisch erklärt die Gemara, wie man dies am besten tut: Man reibe dem Kind ein wenig Öl auf die Stirn und streiche blaue Farbe um seine Augen. Dadurch wird die Mutter verstehen, dass der Kleine das Brot als Geschenk erhalten hat.

Wieso aber, könnte man fragen, war es unseren Weisen wichtig, dass der Empfänger stets über den Urheber der Gaben unterrichtet wird?

Wie Raschi erklärt, vermehrt man Liebe und Brüderlichkeit im jüdischen Volk, wenn Beschenkten die Möglichkeit gegeben wird, ihre Dankbarkeit auszudrücken. Denn dies ist eine noch größere Mizwa als das Schenken.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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