Bilderverbot

Getrennte Sphären

Warum es Tradition ist, in manchen Bereichen auf Abbildungen zu verzichten

von Yosef Dobrovych  31.08.2023 09:55 Uhr

Zwei Löwen, die die Tafeln mit den Zehn Geboten bewachen: In vielen Synagogen sind solche Darstellungen üblich. Foto: Chris Hartung

Warum es Tradition ist, in manchen Bereichen auf Abbildungen zu verzichten

von Yosef Dobrovych  31.08.2023 09:55 Uhr

In vielen Synagogen sehen wir Darstellungen von Löwen oder den Symbolen der zwölf Stämme auf dem Toraschrein oder an den Fenstern. Doch könnte es sein, dass diese Art der bildlichen Darstellungen nicht mit dem jüdischen Religionsgesetz übereinstimmt? Oder kennt das Bilderverbot etwa Ausnahmen?

Um diese Fragen richtig beantworten zu können, müssen wir einen Blick auf alle relevanten Verse der Tora, die dazugehörigen Überlieferungen im Talmud und selbstverständlich ebenfalls auf die Rechtsentscheidungen der großen Gelehrten in diesem Kontext werfen.

zehn gebote Aber erst einmal gilt es klarzustellen: Ja, das Judentum kennt ein striktes Bilderverbot. Die Bestätigung dafür finden wir in den Zehn Geboten. Da heißt es: »Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht« (2. Buch Mose 20, 4–5).

Das Verbot, Bildnisse zu machen, ist also eng mit dem des Götzendienstes verknüpft, sodass in der Tat darüber diskutiert werden darf, ob jetzt wirklich alle Bilder und Statuen verboten sind oder nur solche, die exklusiv für den Götzendienst angefertigt werden.

Um Antworten zu finden, sollten wir gleich einige Verse weiterlesen und uns dann die Überlieferungen des Talmuds anschauen. Denn noch im selben Kapitel der Tora heißt es: »Ihr sollt euch keine Götter machen neben mir – auf Hebräisch ›Iti‹, was wörtlich übersetzt eigentlich ›mit mir‹ heißt, hier aber im Sinne von ›neben mir‹ gemeint ist« (2. Buch Mose 20,23).

Laut dem Talmud (Avoda Zara 43a) bezieht sich das hebräische Wort »Iti« auf die Diener Gʼttes, und zwar diejenigen, die »mit ihm« sind, womit genau die Kräfte gemeint sein sollen, die Gʼtt nutzt, um unser Leben zu lenken: die Engel und Planeten.

Himmelskörper Neben der Darstellung von Götzenbildern, womit alle Artefakte gemeint sind, die der Anbetung und Verehrung von Götzen dienen und die bereits im ersten zitierten Vers als verboten genannt werden, wird darüber hinaus auch die Darstellung von Engeln und Himmelskörpern untersagt – selbst dann, wenn diese nicht angebetet werden sollen (Rambam, Gesetze des Götzendienstes 3,11).

Ein Blick in den Mischna-Kommentar des Rambam (Avoda Zara 3,3) zeigt, dass sich dieses Verbot der Darstellung von Himmelskörpern nicht auf das Malen oder jede andere Form der Darstellung von Sonne, Mond und anderen Planeten bezieht, sondern auf die metaphorischen Darstellungen der Planeten abzielt, und zwar so, wie sie im Rahmen des Götzendienstes damals üblich waren.

So bildete man früher beispielsweise den Saturn als alten Mann figürlich ab. Genau das ist aber nicht erlaubt. Im Umkehrschluss heißt dies, dass realistische Darstellungen von Himmelskörpern nicht verboten sind. Für einen Juden ist es übrigens absolut unproblematisch, bei der Raumfahrtbehörde NASA zu arbeiten. Neben den Engeln und Himmelskörpern sieht der Talmud in dem Wort »Iti« auch einen Bezug zu Menschen sowie Gegenständen, die im Tempel benutzt wurden.

maschiach Vielleicht nehmen die Weisen die Menschen und Tempel in die Liste der Kräfte, welche »neben/mit« Gʼtt sind, weil der Mensch und diejenigen, welche den Dienst vor Ort auf der Erde ausüben und so zu Veränderungen des »Himmlischen« beitragen, die Ankunft des Maschiach vorbereiten sollen, die ja laut Talmud an unsere Taten geknüpft ist.

Die Darstellung von Menschen ist nur dann verboten, wenn diese »hervorsteht«, also ein dreidimensionales Bild erzeugt wird. Doch dazu gibt es eine Vielzahl von Kommentaren und sehr unterschiedliche Einschätzungen, weshalb jeder Fall separat betrachtet werden sollte. Dagegen bezieht sich das Verbot der Darstellung des Tempels exklusiv auf exakte Nachbauten der Tempelobjekte (Schulchan Aruch).

Das Fazit lautet: Jedes Bild, das mit dem Zweck geschaffen wurde, es anzubeten, ist definitiv verboten. Darüber hinaus gibt es Artefakte, die ebenfalls verboten sind, auch wenn eine Anbetung nicht im Spiel ist. Dazu zählen Darstellungen von Engeln sowie solche von Planeten, die metaphorisch gemeint sind, sowie – mit einigen Ausnahmen – dreidimensionalen Darstellungen von Menschen sowie genaue Kopien der Gegenstände, die sich im Tempel in Jerusalem befanden.

grabsteine Ist alles andere nun erlaubt? Wie sieht es beispielsweise mit zweidimensionalen Bildern auf Grabsteinen aus? Mit Gemälden oder Zeichnungen, die Rabbis zeigen oder sogar Propheten in der Synagoge? Und – um zurück zu unserer ersten Frage zu kommen – mit Bildern von Löwen auf dem Toraschrein?

Rabbi Chaim Yosef David Azulai, bekannt als der Chida (1724–1806), schreibt, dass Abbildungen jeder Art von Orten des Gebets, womit nicht nur Synagogen, sondern auch Lehrhäuser und Friedhöfe gemeint sind, entfernt werden sollten, weil der Eindruck entstehen könnte, die Betenden würden sich vor den Bildern verbeugen.

Viele Rabbiner schließen sich seiner Meinung an und argumentieren ähnlich. Andere dagegen sind weniger streng und sehen darin überhaupt kein Problem. Letztendlich bleibt es dem Rabbiner einer Gemeinde überlassen, eine konkrete Entscheidung zu treffen.

Schönheit Das Bilderverbot hat die jüdische Kunst und Kultur auf jeden Fall nachhaltig geprägt. Statuen oder Büsten von Politikern wird man in Israel nur sehr schwer finden. Zur Verzierung von Objekten wurden oft Verse der Schrift anstelle von Bildern verwendet.

Ich denke, die Schönheit in der Botschaft des Bilderverbotes lässt sich folgendermaßen umschreiben: Bilder und Statuen sind dazu da, um Konzepte und Personen erfahrbarer und greifbarer zu machen. Das Judentum lehrt uns, dass Gʼtt der Einzige ist, der angebetet werden sollte.

Gʼtt ist aber nicht greifbar. Kein Gedanke kann ihn in Gänze erfassen, und kein Bild kann ihn gerecht wiedergeben – daher sollten Orte des Gebets und Orte des Bildnisses klar getrennte Sphären sein!

Der Autor ist Religionslehrer und Sozialarbeiter der Jüdischen Gemeinde Osnabrück.

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