Kaschrut

Geschäft mit den Siegeln

Die Rabbiner Rafi Feuerstein (l.) und Moshe Be’eri bei der Pressekonferenz von »Zohar« Foto: Flash 90

Was ist ein Koscherstempel? In meinen Augen ist ein »Hechscher« lediglich eine Bestätigung dafür, dass jemand denkt, der Inhalt einer Verpackung sei koscher. Das Wort bedeutet nur »in Ordnung«. Die entscheidende Frage ist, ob man Vertrauen in diesen »Jemand« hat oder nicht.

Ich erinnere mich an eine Begegnung in einem Supermarkt in London: Eine Frau durchwühlte die verschiedenen Käsepackungen in der Kühltruhe und fragte mich, ob ein bestimmtes Paket koscher sei. Ich zeigte ihr den hebräischen Hechscher eines sehr orthodoxen Rabbiners aus der Schweiz. »Ja«, antwortete sie, »das weiß ich, aber ich kenne diesen Rabbiner nicht. Ist er denn koscher?«

zohar Als liberaler Rabbiner bin ich der Ansicht, es wäre ein Fehler zu behaupten, »koscher« sei gleichbedeutend mit »orthodox«. Das sieht man auch daran, dass die modern-orthodoxe Organisation »Zohar« jetzt in Israel das Kaschrut-Monopol des ultraorthodox dominierten Oberrabbinats brechen und eine eigene Behörde gründen will, um Restaurants entsprechende Lizenzen auszustellen. Allerdings will Zo­har aus juristischen Gründen das Wort »Kaschrut« vermeiden und durch »Nahrungsmittelkontrolle« ersetzen.

Doch geht es wirklich nur um den Stempel? Ich kenne Juden, denen die Lebensbedingungen der Tiere vielleicht sogar wichtiger sind als die Schlachtmethode. Andere legen Wert darauf, dass in einem koscheren Geschäft die Mitarbeiter nicht unterdrückt und alle Rechnungen und Steuern ordentlich und pünktlich bezahlt werden.

Ich erinnere mich sogar an einen Rabbiner in Leeds, der die Aufsicht über die örtliche Bäckerei hatte, aber selbst nur Kekse aus Manchester essen wollte. Er hatte kein Vertrauen zu sich selbst! Trotzdem kassierte er für seinen Stempel. Für die anderen waren die Kekse offenbar koscher genug. Und so kommen wir zu dem Konzept »gut genug« oder »koscher genug«. Manche Juden trinken nur »Chalaw Israel«, andere spotten über »Milch von jüdischen Kühen«. Einige sagen: Es gibt viele Lebensmittel, die auch ohne Stempel koscher sind. Andere meinen, das sei doch nichts anderes als kommerzieller »Koscher-Style«.

monopole Die entscheidende Frage ist: Wie schädlich sind Monopole? Warum gibt es immer wieder Beschwerden darüber, dass irgendwelche Rabbiner Bestechungen annehmen – etwa große Menge kostenlose Lebensmittel als Gegenleistung für einen Stempel? Es hat sicherlich seinen Grund, wenn Zohar in Israel zukünftigen Mitarbeitern der »Nahrungsmittelkontrolle« verbieten will, in den von ihnen kontrollierten Restaurants umsonst zu essen. Doch wird das dem Geschäft mit den Stempeln ein Ende bereiten? Allein in Israel gibt es über 30 verschiedene Hechscherim, einschließend »Chatam Sofer Bnei Brak« und »Chatam Sofer Petach Tikwa«.

Ist diese Politik koscher? Ich glaube nicht. Und wer leidet am meisten darunter? Diejenigen Juden, deren Portemonnaie nicht unerschöpflich ist und die trotz allem koschere Lebensmittel essen möchten. Wir stehen also vor der Frage, ob Kaschrut »nur« rituell oder auch ethisch sein sollte. Meiner Meinung nach ist Ersteres ohne Letzteres unmöglich.

Interview

»Der Dialog mit dem Vatikan ist regelrecht eingeschlafen«

Maram Stern über den künftigen Papst und den stockenden jüdisch-christlichen Dialog

 29.04.2025

Halacha

Kann ein Jude die Beerdigung des Papstes besuchen?

Papst Franziskus wird diesen Samstag, an Schabbat, beerdigt. Observante Juden könnte das vor komplizierte Fragen stellen

von Vyacheslav Dobrovych  25.04.2025

Schemini

Offene Türen

Die Tora lehrt, auch Fremde freundlich zu empfangen

von Rabbiner Bryan Weisz  25.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  28.04.2025 Aktualisiert

Chol Hamoed

Nur Mosche kannte die Freiheit

Warum das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten ängstlich war

von Rabbinerin Yael Deusel  17.04.2025

Geschichte

Waren wir wirklich in Ägypten?

Lange stritten Historiker darüber, ob die Erzählung vom Exodus wahr sein könnte. Dann kamen die Archäologen

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Feiertage

Pessach ist das jüdische Fest der Freiheit - und der Frauen

Die Rolle und Verdienste von Frauen würdigen - dafür ist Pessach eine gute Gelegenheit, sagen Rabbinerinnen. Warum sie das meinen und welchen Ausdruck diese Perspektive findet

von Leticia Witte  11.04.2025