Perspektive

Geist und Garten

Die Gartenkultur ist unparteiisch und in jeder Religion fest verwurzelt. Foto: imago

Die Weisheit der Kabbala ist heute sehr umstritten. Viele behaupten, sie solle nur für jüdische Männer über 40 zugänglich sein. Andere meinen, die Zeit sei reif, diese Geheimlehre allen Menschen nahezubringen. Zugleich spricht nichts dagegen, die Lehren der deutschen Gartenkultur aufzunehmen und sie mit der Kabbala zu verbinden. Durch eine kleine Änderung des Blickwinkels kann die deutsche Gartenkultur dazu beitragen, die eigenen jüdischen Wurzeln tiefer im Innern zu fühlen. Damit könnte man tiefere Wurzeln auf deutschem Boden schlagen und die Kultur dieses Landes auf einzigartige Weise bereichern.

Als jüdischer amerikanischer Kaufmann und Marketingexperte mit 35-jähriger Erfahrung in der Gartenbaubranche wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass ich eines Tages Autor sein würde. Im Laufe meiner Karriere habe ich Geschäftsbeziehungen zu vielen der größten Markenartikler geknüpft. Durch diese Begegnungen wurde mir bewusst, dass Hobby-Gärtner bei ihrer Arbeit ein intensives Gefühl für die Natur, den darin wirksamen Geist und letztlich auch für Gott entwickeln, das Nichtgärtnern fehlt. So wird der Garten zu einem bevorzugten Ort, wo das Natürliche mit dem Übernatürlichen kommunizieren kann.

herkunft Dass mich solche Vorstellungen anzogen, war im Hinblick auf meine familiäre Herkunft kein Zufall. Als Enkel des Mannes, der den »Ross Root Feeder« erfand, kam ich schon früh mit ihnen in Berührung. Dank dieses Wurzelbewässerers ist es möglich, den tiefsten Wurzeln einer Pflanze Wasser und Nährstoffe zuzuführen. Dementsprechend können auch die Wurzeln unserer Seele behandelt, bewässert und mit neuen guten Gedanken genährt werden. Ich befand mich gleichsam an der Schnittstelle zwischen zwei Welten. Insofern war ich geradezu prädestiniert, dieses Thema näher zu erforschen.

Daraus entwickelte sich die Idee für ein Buch über den Garten. Als ich meine diesbezüglichen Vorstellungen mit dem Programmleiter und Herausgeber des Allegria Verlages in Berlin besprach, schlug ich ihm vor, ein esoterisches Buch zu schreiben, das die jüdische Weisheit der Kabbala anhand von botanischen Archetypen und Metaphern darstellt. So entstand eine Philosophie des Gartens und ein Handbuch für den spirituell ausgerichteten Gärtner.

einsichten In diesem Buch wird ein Bogen geschlagen von der deutschen Gartenkultur über die Schrebergärten, Friedrich Fröbels Kindergarten-Konzeption, Rudolf Steiners Anthroposophie bis zur grünen Umweltbewegung. All diese Bestrebungen zielen darauf ab, einerseits ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur herzustellen, andererseits körperliche, seelische und geistige Dimension des Individuums miteinander in Einklang zu bringen. Die daraus resultierenden Einsichten verband ich sowohl mit den Visionen Martin Luther Kings von Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit wie auch mit den geistigen Wurzeln meines jüdischen Erbes, den Weisheiten der Kabbala.

Dieser eigentümlichen Mischung entsprang die Idee, die globale Friedensinitiative »Weed Out Hate« (Jätet den Hass) ins Leben zu rufen, die mehr ist als eine glückliche Fügung. Die Botschaft lautet: Um die Samen des Friedens zu säen, muss man zunächst den inneren Hass jäten. Es handelt sich also um eine Kampagne an der Basis, bei der ich davon träume, dass Präsident Barack Obama und seine Gattin alle Kinder dieser Welt aufrufen, im Garten des Weißen Hauses ein Unkraut auszurupfen – zu ihrem eigenen Wohl, aber auch zum Wohl ihres Landes und des Planeten im Ganzen.

Während der Arbeit am Manuskript haben mir mehrere Menschen mitgeteilt, dieses »Jätet den Hass«-Konzept werde in Deutschland heftige Diskussionen auslösen. So meinte Ulrich Sahm, Korrespondent in Jerusalem: »Grüne beklagen, dass Unkraut doch Teil der Natur sei und geschützt werden müsse.« Andere bemängelten, Nazis hätten die Juden zum Unkraut erklärt, das auszurotten sei. Als amerikanischer Jude und Kenner der deutschen Mentalität hätte ich nicht damit gerechnet, dass meine gut gemeinte Kampagne gegen Hass ausgerechnet bei deutschen Naturfreunden und Geschichtskennern auf Bedenken stoßen würde. Doch erfreulicherweise deuten die Rezensionen zu dem Buch in die entgegengesetzte Richtung. Unvoreingenommene, am Geistigen orientierte Leser, die sich eingehend damit auseinandersetzen, bezeichnen es als ebenso erfrischend wie erhellend.

Ich bin der Meinung, daß die Öko-Ethik, wenn sie Unkräuter als schützenswerte Wildkräuter auffasst, eine Gegenreaktion zu der bösen Rhetorik früherer Generationen darstellt. Im Laufe der Geschichte hat es immer wieder Versuche gegeben, die etymologischen Wurzeln der in der Tora benutzten Begriffe durch Hass-Propaganda zu vertuschen. Gartenpflege ist ein exzellentes Mittel, die innere Rhetorik der Bibel und deren Terminologie aufzudecken. Dabei zeigt sich, dass Begriffe wie ausmerzen, jäten, ausrupfen sehr wohl zutreffen hinsichtlich des Verlangens, inneres Unkraut zu entfernen. Jeder Landwirt weiss, dass Unkraut getilgt werden muss, um die Ernte zu optimieren. Warum sollte es anders sein mit dem Wunsch, die wahren Früchte der Verbindung zwischen Gott und Natur zu empfangen?

schöpfung Die Gartenkultur ist unparteiisch und in jeder Religion fest verwurzelt. In der Gartenbranche gilt die Pflege von Pflanzen eher als eine christliche Beschäftigung. Doch auch in der Tora finden sich Hinweise auf einen sorgsamen Umgang mit der Natur, eben weil sie Gottes Schöpfung ist.

Als amerikanischer »Außenseiter« bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass die deutsche Gartenkultur äußerst reich ist und sehr viel zu bieten hat. Die Gartenpflege und ihre Rituale scheinen für viele Menschen hierzulande eine Art von unmittelbar erfahrener und regelmäßig ausgeübter Religion zu sein. Wenn dem so ist, spricht nichts dagegen, dass die Liebe zum Garten auch aus jüdischen Quellen gespeist wird.

Als Juden sind wir ein Licht für die Nationen. Durch die Einbettung einer spirituellen Gartenphilosophie in unsere täglichen Rituale können wir eine neue Richtung vorgeben, wie man Hass jätet, um die Samen des Friedens zu säen.

Marc Daniels: »Der Himmelsgarten – Das Handbuch des spirituellen Gärtners«, Allegria Berlin, 192 Seiten, 18 €

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Wajeze

»Hüte dich, darüber zu sprechen«

Die Tora lehrt, dass man ein Gericht anerkennen muss und nach dem Urteil nicht diskutieren sollte

von Chajm Guski  06.12.2024

Talmudisches

Die Tora als Elixier

Birgt die Tora Fallen, damit sich erweisen kann, wer zur wahren Interpretation würdig ist?

von Vyacheslav Dobrovych  06.12.2024

Hildesheimer Vortrag 2024

Für gemeinsame Werte einstehen

Der Präsident der Yeshiva University, Ari Berman, betonte die gemeinsamen Werte der jüdischen und nichtjüdischen Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  05.12.2024

Naturgewalt

Aus heiterem Himmel

Schon in der biblischen Tradition ist Regen Segen und Zerstörung zugleich – das wirkt angesichts der Bilder aus Spanien dramatisch aktuell

von Sophie Bigot Goldblum  05.12.2024

Deutschland

Die Kluft überbrücken

Der 7. Oktober hat den jüdisch-muslimischen Dialog deutlich zurückgeworfen. Wie kann eine Wiederannäherung gelingen? Vorschläge von Rabbiner Jehoschua Ahrens

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  05.12.2024

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024