Idomeni

»Gegen die Indifferenz der Welt«

Joelle Spinner (M.) mit einem syrischen Paar, das nach Griechenland floh Foto: PR

Frau Spinner, Sie sind nach Idomeni gereist, um dort Flüchtlingen zu helfen. Sind Sie mit einer Gruppe unterwegs?
Ich bin alleine angereist, mit einem Flug nach Thessaloniki. Ich habe aber vorher Kontakt mit einer Schweizer Gruppe und mit IsraAid aufgenommen. Mich macht die Situation von Menschen, die an einer Grenze festsitzen, sehr betroffen – gerade als Enkelin von Holocaust-Überlebenden.

Was tun Sie vor Ort genau?
Am Sonntag war ich mit IsraAid in einem Camp. Es sind einige Helfer hier, arabische und jüdische Israelis, die alle gut Arabisch sprechen. Hier sind sehr viele internationale Freiwillige, aber die meisten können nur Hilfsgüter verteilen, weil sie nicht mit den Leuten reden können.

Was haben Sie selbst erlebt?
Am Samstag wurde im Diavata Camp ein Junge geboren. Die Ärzte von IsraAid haben das Baby auf die Welt gebracht. Wir haben die Frau einen Tag nach der Geburt im Krankenhaus besucht und sie gefragt, was sie braucht. Interessanterweise braucht sie einen Mohel! Der Junge soll am siebenten Tag nach der Geburt beschnitten werden – das ist bei vielen Muslimen aus Syrien üblich. IsraAid will jetzt helfen, die Beschneidung zu organisieren, möglicherweise mit Hilfe des Rabbiners von Thessaloniki, der auch Mohel ist.

Wie werden Helfer außerdem aktiv?
Ein siebenjähriger Junge, dessen Vater gestorben ist, wurde sehr depressiv und hat sein Zelt zwei Wochen lang nicht verlassen. Ein Helfer von IsraAid, Jussuf, hat sich eine Stunde in das Zelt gesetzt und mit ihm gesprochen, bis das Kind bereit war, herauszukommen. Jetzt besucht der Helder den Jungen jeden Tag. Am Montag war ich mit Schweizer Helfern unterwegs. Sie haben in einem anderen Camp eine Aufladestation für Handys installiert, damit die Menschen mit ihren Angehörigen in Kontakt bleiben können.

Wie ist die Situation in Idomeni jetzt?

Es sind immer noch Zehntausende Menschen hier. Am Sonntag haben 250 italienische Freiwillige etwas Krawall gemacht. Das waren Antifa-Aktivisten, die Flüchtlinge angestiftet haben, die Grenze zu stürmen, weil sie Bilder für die Presse haben wollten. Sie meinten es gut, aber sie haben den Flüchtlingen dabei falsche Hoffnungen gemacht. Die Aktivisten kamen für ein paar Tage über Ostern und waren dann wieder weg. Und die Flüchtlinge wurden enttäuscht, weil sich die Grenze doch nicht geöffnet hat.

Wie erleben Sie die Stimmung unter den Flüchtlingen?
Sie sind sehr gastfreundlich und laden die Helfer in ihre Zelte zum Essen ein, obwohl sie selbst fast nichts haben. Das beeindruckt mich sehr!

Sie haben gesagt, Sie sind Enkeltochter von Holocaust-Überlebenden …
… ja, und meine Familie weiß, was geschlossene Grenzen, unsichere Lebensbedingungen und die Indifferenz der Welt bedeuten können. Natürlich ist die heutige Situation nicht mit damals vergleichbar, die Camps in Idomeni sind offen, und niemand wird umgebracht. Aber diese Menschen sitzen vor geschlossenen Grenzen, und die Welt kümmert sich nicht darum. Wir als Juden müssen diesen Menschen helfen, auch wenn sie nicht unbedingt so sind wie wir. Das erwarten wir in einer Notsituation schließlich auch von anderen.

Was soll mit den Menschen in Idomeni passieren? Sollte man die Grenze zu Mazedonien wieder öffnen?

Ich glaube nicht, dass das etwas bringen würde, denn dann würden ja noch mehr Flüchtlinge kommen. Aber man müsste bei den Menschen, die jetzt in Griechenland festsitzen, jeden einzelnen Fall erfassen. Zwei Kinder, deren Mutter schon in Deutschland ist, sollten jedenfalls nicht alleine in Griechenland bleiben müssen.

Das Gespräch führte Ayala Goldmann.

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