Talmudisches

Gamsu und der Wundersand

Es heißt, Abraham habe gegen seine Feinde eine Handvoll Sand geworfen – und dieser verwandelte sich in tödliche Pfeile. Foto: Getty Images

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Gamsu und der Wundersand

Wie die Juden im Heiligen Land Cäsar ein Geschenk machten

von Noemi Berger  14.05.2020 11:52 Uhr


Eines Tages erfuhren die Juden im Heiligen Land, dass Cäsar im Begriff war, ein grausames Dekret gegen sie zu erlassen. Die jüdischen Weisen und Führer kamen zusammen, um zu entscheiden, was zu tun ist. Sie beschlossen, dem Kaiser in Rom ein schönes Geschenk zu senden, um ihn den Juden gegenüber freundlicher zu stimmen.

Wer aber sollte dem König das Geschenk bringen? »Niemand ist geeigneter als Gamsu«, waren sich alle einig, denn er war ein großer und heiliger Mann, für den G’tt bereits viele Wunder vollbracht hatte.

TRUHE Also machte sich Gamsu auf den Weg. Kurz vor Rom übernachtete er in einem Gasthaus. Als er schlief, schlichen sich der Wirt und sein Sohn in Gamsus Zimmer, durchsuchten seine Sachen und fanden die Truhe mit kostbaren Edelsteinen und Perlen für den Kaiser. Sie leerten sie, steckten den kostbaren Inhalt in ihre Taschen und füllten die Truhe mit Sand.

Am nächsten Tag erschien Gamsu im kaiserlichen Palast, überbrachte dem Kaiser gute Wünsche vom jüdischen Volk sowie das kostbare Geschenk. Als Cäsar die Kiste öffnete, schäumte er vor Wut.

»Seht, was die Juden mir geschickt haben!«, sagte er zu seinen Dienern, hob eine Handvoll Sand aus der Kiste und ließ ihn durch seine Finger rieseln. »Denen werde ich eine Lektion erteilen, die sie nie vergessen werden. Was fällt ihnen ein, sich über den Kaiser lustig zu machen!«

Gamsu wurde in den Kerker geworfen und wartete auf seine Hinrichtung. Spät am Abend erschien der Prophet Elijahu in Gestalt eines Ministers vor dem Kaiser.

»Majestät«, sagte Elijahu, »Ihr denkt doch nicht, dass die Juden sich über Euch lustig machen und Euch gewöhnlichen Sand schicken würden?

Könnte es nicht sein, dass ihr Vorvater Abraham seine Feinde im Krieg mit solchem Sand besiegt hat? Es heißt doch, dass Abraham gegen seine Feinde eine Handvoll Sand warf, der sich in tödliche Pfeile verwandelte. Wäre es nicht ratsam, diesen Sand, den die Juden sandten, zu prüfen? Vielleicht handelt es sich ja um diese Geheimwaffe.«

KRIEG Cäsar führte damals gerade einen langen und kostspieligen Krieg, und es gelang ihm nicht, die Feinde zu besiegen. Also befahl er seinen Generälen, den Sand auszuprobieren. Und oh, Wunder über Wunder! Die Feinde flohen, und der Krieg war vorbei.

Daraufhin befahl der König, Gamsu freizulassen. »Ich hatte keine Ahnung, was für ein wunderbares Geschenk du mir gebracht hast«, sagte der Kaiser zu ihm. »Du darfst nun im Gegenzug um jeden kaiserlichen Gefallen bitten.«

Und so bat Gamsu den Kaiser, das Dekret gegen das jüdische Volk zurückzunehmen.

Der König gab der Bitte statt. Er befahl, Gamsus Truhe mit Gold und Diamanten zu füllen und gab sie dem jüdischen Gesandten mit.

DIEBE Auf dem Heimweg hielt Gamsu an derselben Herberge an, in der die Diebe das Geschenk für den Kaiser gestohlen und die Truhe mit Sand gefüllt hatten.

Der Wirt hatte von der Ehre und dem Reichtum gehört, die Cäsar dem jüdischen Weisen geschenkt hatte, und fragte: »Was hast du denn dem Kaiser in der Truhe mitgebracht?« − »Nur das, was ich von hier getragen habe«, antwortete Gamsu.

Der Wirt und sein Sohn beschlossen, dass sie es noch besser machen würden als der jüdische Weise. Sie schlugen eine Wand des Wirtshauses ein und zermahlten die zerbrochenen Gesteinsbrocken zu feinem Sand. Sie packten alles in große Kisten, die sie auf Esel luden, und machten sich auf den Weg zum kaiserlichen Palast.

Als sie vor Cäsar standen, sagten sie: »Dies ist die gleiche Art Sand, die der jüdische Weise Euch gebracht hat, und wir bringen noch viel mehr davon, um Eure Majestät zu erfreuen!«

Der Kaiser befahl, Proben des Sandes zu nehmen und ihn auf seine Wunderkraft zu prüfen. Aber diesmal blieb das Wunder aus. Also befahl der Kaiser, dass die beiden Diebe hingerichtet und begraben und mit ihrem eigenen Sand bedeckt werden sollten.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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