Interview

Fünf Minuten mit …

Joel Berger Foto: Pressefoto Kraufmann

Interview

Fünf Minuten mit …

Rabbiner Joel Berger zu jüdischem Humor, Witzen über Gott und Streit um Dieter Nuhr

von Ayala Goldmann  03.11.2014 18:34 Uhr

Herr Rabbiner Berger, darf man über Gott lachen?
Warum denn nicht? Sie wissen doch haargenau, dass wir Juden sehr häufig mit Gott, über Gott und überhaupt über alles lachen.

Lacht Gott auch über uns?
Bestimmt. Es gibt einen Psalmvers (2,4): »Joschew ba-Schamajim jisschak« – »Er sitzt im Himmel und lacht.« Der Talmudtraktat Awoda Sara (3b) legt es noch weiter aus.

Der Humorist Dieter Nuhr ist angezeigt worden, weil er nach Ansicht eines Salafisten angeblich den Islam beleidigt haben soll. Was sagen Sie dazu?

Das finde ich irgendwie weit hergeholt. Herrn Nuhr halte ich nicht für einen Humoristen, sondern für einen Unterhalter. Humor habe ich bei ihm noch nicht erkennen können. Bei uns in Ungarn hieß es: »Beim Humor verstehe ich keinen Spaß.« Dass Herr Nuhr sich Themen sucht, bei denen sich eine Minderheit beleidigt fühlt, ist für beide Seiten negativ. Herr Nuhr kann offenbar kein besseres Thema finden, und Angehörige des Islam fühlen sich von einem Herrn Nuhr beleidigt. Beide haben zum Humor nicht die richtige Einstellung, das ist meine Meinung.

Aber muss man Dieter Nuhr verklagen, nur weil man seinen Humor nicht mag?
Verklagen halte ich für ungeeignet. Damit kann man nichts bewirken. Und sein Humor wird dadurch auch nicht besser. Wenn sich jemand über das Judentum lustig macht, würde ich ihn nicht verklagen, sondern dagegenhalten.

Dieter Nuhr soll gesagt haben, im Islam sei die Frau frei – vor allem frei davon, alleine entscheiden zu müssen. Angenommen, er hätte dasselbe über das Judentum behauptet, wären Sie dann beleidigt?
Ich nicht. Ich würde ihm sagen: Schlagen Sie mal die Bibel auf und lesen Sie über die Erzmütter Israels, über Sara, Riwka, Rachel und Lea, die ihre Männer absolut beherrscht haben. Diese Frauen waren völlig frei in ihren Entscheidungen. Aber es kann schon sein, dass manche Juden sich von einer solchen Aussage beleidigt fühlen würden. Jeder hat eben eine andere Empfindlichkeit.

Wo sind bei Ihnen die Grenzen des Humors? Der französische Film »Monsieur Claude und seine Töchter« macht sich über die Zeremonie lustig, nach einer Beschneidung die Vorhaut zu vergraben. Zum Schluss wird die Vorhaut von einem Hund aufgefressen. Könnten Sie über eine solche Szene lachen?
Es könnte witzig oder beleidigend sein, es kommt immer auf den Kontext an. Was ich viel beleidigender fand, waren die ernsten Diskussionen der vergangenen Zeit über die Beschneidung und das Schächten. Da haben sich Leute sehr ernsthaft über Dinge ausgelassen, die sie nicht kapieren. Respekt und Toleranz sind wichtig, um mit anderen Menschen umzugehen.

Dieter Nuhr beklagt, dass Kabarettisten sich heute gar nicht mehr trauen, Witze über Muslime zu machen, weil viele Muslime so schnell beleidigt seien. Sehen Sie das auch so, dass man hier übertriebene Vorsicht walten lässt?

Ja, aber das ist unser Fehler. Wir ziehen den Schwanz ein, sogar namhafte Journalisten tun das. Und nicht nur gegenüber Muslimen. Vor 30 Jahren hat auf Radio Bremen jemand Papst Johannes Paul II. »Eiliger Vater« statt »Heiliger Vater« genannt, weil dieser Papst so viel unterwegs war. Da haben sich alle Kirchenfunkredaktionen furchtbar aufgeregt, obwohl das eine harmlose Sache war. Heute würde man sich über andere Sachen aufregen.

Was ist der selbstkritischste jüdische Witz, den Sie an dieser Stelle erzählen würden?
Da gibt es einige. Zum Beispiel den: »Lieber Gott, du hast uns als auserwähltes Volk bezeichnet. Das hat uns nichts gebracht – außer Ärger. Könntest du nicht vielleicht ein anderes Volk auserwählen?«

Mit dem ehemaligen Landesrabbiner von Württemberg sprach Ayala Goldmann.

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025