Chaje Sara

Freundlich distanziert

Den Abstand wahren Foto: Getty Images

Der Wochenabschnitt Chaje Sara hat zwei zentrale Themenblöcke: Saras Beerdigung sowie die Brautschau und spätere Hochzeit Jizchaks. In diesem Wochenabschnitt können wir uns alle wiedererkennen − es geht um das alltägliche Leben: Hochzeiten und Beerdigungen gehören genauso dazu wie Geburten und Bar- oder Batmizwa-Feiern. Es sind feste Bestandteile unserer Tradition und unserer Identität. Aber auch schwere, teilweise unlösbare Fragen, wie die, wo die Heimat jedes Einzelnen liegt und wie weit man sich assimilieren kann oder darf, sind Teil unseres Alltags seit Generationen. Das prägte unsere Vorfahren, und das prägt auch uns.

Jedes Mal, wenn wir diesen Wochenabschnitt lesen, Jahr für Jahr, sollen wir uns die Fragen stellen: Was steht für uns heute in diesen Worten? Was ist die Message? Wie beeinflusst uns der uralte Text heute und jetzt?

Generationenwechsel Der Wochenabschnitt zeigt uns, wenn auch nicht sehr direkt, einen Umbruch. Es geht um einen Generationenwechsel bei den Urvätern. Der Text beginnt mit Saras Tod und endet mit dem Tod Awrahams. Aber der Generationenwechsel vollzieht sich etwas früher und auch wirklich unauffällig: Als Awrahams Knecht mit Riwka aus Aram zurückkehrt, berichtet er dem Sohn Jizchak und nicht Awraham von der Erfüllung seiner Aufgabe. Damit endet die Ära des großen Urvaters, des ersten Monotheisten und des Begründers eines bis heute gültigen Bundes.

In der Tora wird sehr wenig über den Knecht berichtet. Wir erfahren ein paar Kapitel früher, dass sein Name Elieser ist und dass er wohl ein treuer Diener war. Trotzdem erfährt man vergleichsweise wenig über ihn und über seinen Status. Aber allein die Tatsache, dass er von Awraham auserwählt wird, die Frau für Jizchak, seinen Sohn, zu suchen, zeigt, dass dieser Mann wohl ein sehr enger Vertrauter war.

Elieser war Kanaaniter, einer von jenen, mit denen sich Awraham laut unseren Weisen nicht vermischen wollte. Elieser war aber stets darum bemüht, von Awraham zu lernen und ein gefälliges Leben zu führen.
Deshalb kann man ihn, den Sklaven Elieser, als Gegenentwurf zu Lot sehen.

Der Neffe Awrahams hat als enger Verwandter Awrahams alle Chancen, doch nutzt er sie nicht, sondern wird zur Schande für die Familie: Er fällt moralisch auf die niedrigste Stufe und endet auch dort.

Elieser hingegen schafft den Aufstieg. Er wird vom einfachen Sklaven zu Awrahams engstem Vertrauten. Unsere Weisen sagen, er sei vom »Verfluchten« zum »Gesegneten« geworden, denn er nutzte seine Chance und wuchs geistig.

Als guter Diener meistert er auch die schwerste Aufgabe seines Lebens, eine, für die er seinen Treueschwur gegenüber Awraham erneuert und ihn sogar erweitern musste. Aber als guter Diener schafft er auch diese Aufgabe.

Über Eliesers weiteren Verbleib erfahren wir nichts, aber man kann sich vorstellen, dass er auch Awrahams Sohn weiterhin treu diente.

GESELLSCHAFT Trotz des zuvor erwähnten Bruchs und des sehr engen Verhältnisses zu Elieser, einem Fremden, der Awraham treu zur Seite steht, sieht man in Awrahams Verhalten bei der Suche nach einer Frau für seinen Sohn Jizchak, dass er vor einer essenziellen Frage steht: Was ist die Identität? Soll er sich assimilieren? Oder doch nur integrieren? Dürfen er, Awraham, und seine Nachfolger Teil der Gesellschaft sein, in der sie leben?

Die Antwort lautet: nein. Wenn es nach unserem Urvater Awraham geht, so darf man es nicht. Bei der Suche nach seiner zukünftigen Schwiegertochter setzt er klare Grenzen und hat eindeutige Vorstellungen: Sie muss aus seiner alten Heimat kommen, auch wenn sie nicht derselben Religion wie er und sein Sohn angehört.

Die Verfasser der frühen Midraschim sehen darin Awrahams Wunsch, die Familie in seiner Heimat zum richtigen Glauben zu bekehren − wenn auch nicht die ganze Familie, so doch zumindest die zukünftige Schwiegertochter. Sie soll aus derselben Sippe kommen, aber sie soll nicht der alten Religion angehören.

Der Midrasch meint, Awraham habe sich sehr gesorgt um den restlichen Teil seiner Familie. Es sei ihm wichtig gewesen, dass sich auch die Mutter seiner künftigen Enkel vom Götzendienst abwendet.

ABGRENZUNG Für Awraham war dies eine klare Abgrenzung. Er lebt unter den Fremden, macht mit ihnen Geschäfte − doch was seine Familie angeht, will er keinerlei Vermischung mit ihnen haben. Und so geschieht es auch später mit Jakow, der in Haran seine beiden Frauen Rachel und Lea findet.

Awrahams Verhalten ist mehr als verständlich, er ist um die Zukunft seines noch so kleinen und schwachen Glaubens besorgt, er will ihn stärken und möchte, dass seine Familie diesen Glauben behält. Was eignet sich da besser als eine Frau, die in die Fremde kommt und neuen Begebenheiten ausgesetzt ist, die sie annehmen muss?

Awraham unterscheidet zwischen Assimilation und Integration. Er ist gut verwurzelt in der kanaanitischen Welt, er treibt dort Handel, kauft sich ein Grundstück und zeigt, dass er bleiben möchte. Aber er will nicht Kanaaniter werden.

Awraham steht vor denselben Anforderungen, vor denen auch wir immer wieder stehen: vor der Frage, was ist unsere Identität, und wie bewahren wir sie? Wie behalten wir unser jüdisches Erbe, und in welcher Form geben wir es an die nachfolgenden Generationen weiter? Es sind grundlegende Fragen und schwere Herausforderungen, vor denen Awraham steht und vor denen wir jeden Tag stehen.

Gerade im Buch Bereschit, dem 1. Buch Mose, werden die handelnden Personen immer wieder vor solche Grundsatzfragen gestellt. An ihren Geschichten und Erfahrungen sehen wir, dass sie keine abgehobenen Superhelden sind, sondern normale Menschen mit normalen, menschlichen Problemen. Unsere Urmütter und Urväter lebten ein menschliches Leben mit Freuden und Niederschlägen, mit einem normalen Alltag. Daraus können wir lernen: Es geht ums Jetzt, um ein Leben in der realen Welt, auch für uns heute.

Der Autor ist Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).


INHALT
Der Wochenabschnitt Chaje Sara berichtet von dem gleichnamigen Priester, der durch seinen Einsatz den Zorn Gottes abwandte. Dafür wird er mit dem »Bund des ewigen Priestertums« belohnt. Die kriegsfähigen Männer werden gezählt, und das Land Israel wird unter den Stämmen aufgeteilt. Mosches Leben nähert sich dem Ende. Deshalb wird Jehoschua zu seinem Nachfolger bestimmt. Am Schluss der Parascha stehen Opfervorschriften.
4. Buch Mose 25,10 – 30,1

Basel

Basler Rabbiner übersetzt Talmud-Traktat über Purim 

Zu seinem Abschied hat Moshe Baumel das kürzeste Talmud-Traktat ins Deutsche übersetzt

von Peter Bollag  25.03.2024

Wajikra

Sozial gestaffelt

Die Tora lehrt, dass arme Menschen für ihre Vergehen Tauben statt Schafe oder Ziegen opfern müssen

von Rabbiner Avraham Radbil  22.03.2024

Purim

Der große Plot-Twist

Von der Megillat Esther lernen wir, das Schicksal zu wenden und unsere Zukunft besser zu gestalten

von Rabbiner Akiva Adlerstein  22.03.2024

Berlin

Purim für Geflüchtete

Rabbiner Teichtal: »Jetzt ist es wichtiger denn je, den Geflüchteten die Freude am Feiertag zu bringen«

 21.03.2024

Berlin

Neue Ausstellung über Sex im Judentum

Zu sehen sind rabbinische Schriften, Skulpturen, Filme, Fotografien, tiktok-Videos, Ritualgegenstände und Gedichte

 21.03.2024

Talmudisches

Vom Wert der Arbeit

Was unsere Weisen darüber lehrten, warum man seinen Beruf schätzen sollte

von Yizhak Ahren  21.03.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 18.03.2024

Pekudej

Ort des Gebens

Die Tora lehrt, warum »das jüdische Haus« von so grundlegender Bedeutung ist

von Rabbiner Bryan Weisz  15.03.2024

Talmudisches

Die Eule – Symbol der kommenden Zeit

Was unsere Weisen über den nachtaktiven Vogel lehren

von Chajm Guski  15.03.2024