Neulich beim Kiddusch

Flitterwochen im Steinbruch

Abgeschlagen: das Werk glückloser Bräutigame Foto: imago

Mein Cousin Benzi ist ungekrönter Weltmeister im Erfinden neuer Geschäftsideen – und ein gekonnter Bankrotteur. Sein neuestes in den Sand gesetztes Projekt ist die Vermarktung eines Wurstwasser-Wiederverwertungs-Filters. Zuvor hatte er einen Zehenspreiz-Assistenten zum besseren Auftragen von Nagellack auf den Markt gebracht, und davor war er mit einer neu gegründeten Agentur zur Vermittlung von Putz-, Koch- und Waschsklaven in den Schlagzeilen.

Wenn Benzi nicht gerade Pleite macht oder Verwandte anschnorrt, ist er mit großer Sicherheit auf diversen Besäufnissen, Partys, Orgien oder ausschweifenden Hochzeiten. So auch wieder heute Nacht, als es um drei Uhr morgens bei uns an der Tür klingelt. Wir sitzen gerade vor dem Fernseher und futtern Sesamkringel, als ein angeheiterter Benzi hereintorkelt, neben uns aufs Sofa plumpst, kommentarlos das restliche Gebäck in sich hineinschüttet und nach der Flasche Arrak vom Couchtisch greift.

Entfesselt »Was läuft’n da grad’?«, grunzt er und schnappt sich die Fernbedienung. »Das ist mein Lieblingssender, Gürünü-Dügünü-TV! Die bringen 24 Stunden nonstop türkische Hochzeiten«, erkläre ich knapp und entreiße ihm die Fernbedienung. Bloß nicht umschalten, wir sind alle total abhängig von dem Sender. Wir lieben die ausladenden Dekolletés, die entfesselte Stimmung und die klasse Musik. Das sieht schließlich auch Benzi ein, und seufzend lehnen wir uns alle drei zurück und genießen die Party.

Lütfalla heiratet gerade Aysegüll, anschließend sind Hava und Gürsel dran, und danach bekommt Fatma endlich ihren Deniz. Auch die türkischen Nachbarn aus dem oberen Stockwerk haben Gürünü-Dügünü laufen und sind heftig am abtanzen. Juchzen und lautes Trällern erschallt von oben, schließlich fliegen einige Sektgläser aus dem Fenster, segeln an unserem Balkon vorbei und landen klirrend auf den Autodächern unten auf der Straße.

Dann kommt eine Werbepause. Wie üblich laufen Promo-Spots von diversen Steinbrüchen, Ölmühlen und Schafstallbetreibern aus verschiedenen Käffern in der Türkei sowie ein Werbespot vom Kamisolu-Jugendknast im türkischen Göynük. »Das sind die beliebtesten Honeymoon-Destinations«, erkläre ich meinem Cousin. »Nach der megateuren Hochzeit ist das junge Paar derart abgebrannt, dass es ein paar Wochen in der Ölmühle oder im Schafstall arbeiten muss, um die Schulden abzustottern. Auch Putzarbeiten im Jugendknast sind anscheinend sehr lukrativ.« Danach folgen noch einige Werbespots von Ehestiftungsagenturen, es werden Fotos von moppeligen weiblichen Singles eingeblendet, am unteren Bildschirmrand flimmert die Hotline für potenzielle Ehemänner.

Funkstille Benzi starrt mit glasigen Augen auf den Bildschirm, greift wie in Trance nach dem Telefon und verschwindet aus dem Zimmer. Als Nächstes hören wir die Wohnungstür zuknallen. Für die nächsten Wochen ist Funkstille und Cousin Benzi wie vom Erdboden verschluckt.

Nach einigen Monaten erreicht uns eine Postkarte, darauf die steinige Kraterlandschaft eines türkischen Bergdorfs mit ein paar mickrigen Kakteen, auch einige trübselige Esel stehen in der Gegend rum. Davor posiert ein grinsender Benzi mit einer schnuckelig aussehenden Braut. Auf dem Foto sieht Benzi richtig gut aus: Er ist gebräunt, hat abgenommen und sich endlich neue Keramikkronen machen lassen. Im Hintergrund des Fotos sieht man einige verschwitzte Steinbruchknechte, die mit Spitzhacken zugange sind.

Laut Postkartentext ist Benzi ganz groß ins Hochzeitsfinanzierungsgeschäft eingestiegen. Die im Hintergrund knechtenden Kerle sind demzufolge allesamt glücklose Bräutigame, die sich mit ihrer Hochzeitsfete übernommen haben. Das Geschäft scheint zu florieren, ein rauschender Kiddusch im mondänen Lufturort Küçükkuyu in einem Monat wird avisiert, wir seien herzlich eingeladen.

Leider sind wir völlig abgebrannt, und eine Türkeireise ist nicht drin, kabele ich umgehend an Benzi. Die Antwort erreicht mich wenige Tage später per E-Mail: Benzi will uns die Reisekosten vorstrecken, wir können die Summe hinterher in seinem Steinbruch abarbeiten. Ich werde darüber nachdenken.

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025

Chaje Sara

Bewusster leben

Sara hat gezeigt, dass jeder Moment zählt. Sogar ihr Schlaf diente einem höheren Ziel

von Samuel Kantorovych  13.11.2025

Spurensuche

Von Moses zu Moses zu Reuven

Vor 75 Jahren starb Rabbiner Reuven Agushewitz. Er verfasste religionsphilosophische Abhandlungen mit einer Intensität, die an Maimonides und Moses Mendelssohn erinnert. Wer war dieser Mann?

von Richard Blättel  13.11.2025

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025