Erziehung

Es ist schön, jüdisch zu sein!

Schon früh bekommen jüdische Kinder auch Feindseligkeit zu spüren. Umso wichtiger ist es, positive Assoziationen zu schaffen. Foto: Getty Images

Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Leben für orthodoxe Juden in den USA nicht leicht. Arbeiter mussten in der Regel sechs Tage die Woche schuften – auch am Schabbat. So kam es, dass viele strengreligiöse Juden jede Woche am Freitag ihren Job verloren und am Montag einen neuen suchen mussten.

Obwohl sie dies für ihren Glauben taten – und somit eigentlich stolz auf ihre Entscheidung sein konnten –, seufzten viele zu Hause: »S’is schwer zu sajn a Jid« (jiddisch: Es ist schwer, ein Jude zu sein). Für Kinder aus diesen Familien entwickelte sich jener Satz zu einer Art Mantra. So kam es, dass sich viele vom religiösen Leben ihrer Eltern entfernten und sogar dem Judentum insgesamt den Rücken kehrten.

In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Welt – vor allem für Juden – stark verändert. Von einem Tag auf den nächsten ist Antisemitismus weltweit wieder so deutlich spürbar wie seit 80 Jahren nicht mehr. Was können wir in diesen Zeiten tun, damit unsere Kinder nicht ebenfalls mit dem Gefühl aufwachsen, es sei schwer, jüdisch zu sein?

Eine Lehre aus der Psychologie

Zunächst sollten wir uns eine einfache Lehre aus der Psychologie vor Augen führen: Menschen erinnern sich in der Regel an sehr schöne oder sehr traurige Momente in ihrem Leben. Um das Judentum zu einem positiven Anker für uns und unsere Kinder zu machen, sollten Tätigkeiten, die mit jüdischem Leben verbunden sind, Freude bereiten.

Ein Besuch im jüdischen Theater, ein Treffen mit jüdischen Freunden oder ein gemeinsamer Ausflug in ein israelisches Restaurant können solche positiven Erlebnisse sein. Wenn jemand zum Beispiel regelmäßig Schabbat-Kerzen zündet, sollte das für die Kinder eine authentisch freudige Erfahrung sein. Man kann die Kinder selbst Kerzen zünden lassen, ihnen danach eine besondere Süßigkeit geben, die es nur am Schabbat gibt, oder gemeinsam etwas lesen oder spielen.

Wir können freudige Erinnerungen an jüdische Traditionen schaffen.


Solche Momente führen zu einer positiven Assoziation mit einer jüdischen Tradition – und damit mit dem Judentum insgesamt. Diese Freude kann auch im größeren Rahmen stattfinden: Wenn Kinder und Jugendliche sich zu großen jüdischen Veranstaltungen treffen – wie etwa der Jewrovision –, erfahren sie gelebtes Judentum im Umfeld von Freunden und Gemeinschaft. Auch das stärkt die positive Verbindung.

Wir können stolz auf unsere große Familie sein

Wir sind eine Gemeinschaft – eine große Familie. Wenn jemand aus der eigenen Familie einen Bestseller schreibt, ist man in der Regel stolz auf diese Person und ihre Leistung. Wenn jemand aus unserer großen jüdischen Familie bedeutende Beiträge zum öffentlichen Leben leistet, darf das ebenfalls mit Stolz erfüllen, den wir mit unseren Kindern teilen können.

Viele wichtige Erfindungen und Errungenschaften gehen auf jüdische Frauen und Männer zurück. Jedes Mal, wenn wir einen USB-Stick benutzen, könnten wir stolz sein – denn diese Technik wurde von einem jüdischen Israeli erfunden. Oder wir erzählen unseren Kindern von Koryphäen wie Gertrude Elion, die maßgeblich an der Entwicklung zahlreicher Medikamente beteiligt war und dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Der Stolz, der daraus erwächst, sich mit diesen Menschen verbunden zu fühlen, kann gerade in einer Zeit, in der Juden weltweit wieder Zielscheibe von Hass sind, stärkend wirken.

Jeder einzelne Jude auf dieser Welt ist Teil einer großen Geschichte.


Jeder einzelne Jude auf dieser Welt ist Teil einer großen Geschichte. Wir sind ein Glied in einer Kette, die mit Awraham, unserem Vorvater, begann. Zu wissen, dass man nicht Anfang und Ende in sich selbst ist, sondern Teil einer jahrtausendealten Tradition, die weitergeführt werden kann und die die Generationen vor uns mit jenen nach uns verbindet – das erfüllt mit einem Gefühl der Verantwortung, einer Aufgabe.

Was wir tun, ist nicht irrelevant. Unsere Entscheidungen haben Einfluss – auf andere Menschen und vor allem auf unsere eigenen Nachkommen. Immer wieder versuchten andere Völker, die Juden auszulöschen. Doch es gab stets Gruppen von Juden, die bereit waren, sich dem entgegenzustellen und zu kämpfen.

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Deswegen sind wir heute noch hier. Wir können diese Verbindung zu jenen aufrechterhalten, die sich widersetzt haben. Wir sind ein Volk, das so viel Negatives erlebt hat – und dennoch nicht verschwunden ist. Das stiftet Hoffnung: Wir werden auch in Zukunft weiterleben!

Wenn man die Freude über jüdische Rituale, den Stolz, Jude zu sein, und das Bewusstsein der persönlichen Verbindung zu früheren Generationen miteinander verbindet, kann eine starke, positive Beziehung zum eigenen Judentum entstehen – eine, die selbst der aktuellen Welle des Antisemitismus standhält. Mit dieser Grundhaltung können wir unseren Kindern gelebte Vorbilder werden und ihnen ganz authentisch sagen, wie schön es ist, jüdisch zu sein: »S’is schejn zu sajn a Jid!«

Die Autorin ist Sozialarbeiterin und Lehrerin an der Lauder Beth-Zion Schule in Berlin. Sie hat fünf Kinder.

Ki Tawo

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