Schawuot

Ein folgenreicher Schritt

»Wohin du gehst, gehe ich … denn dein G’tt ist mein G’tt« (Ruth 1,16). Foto: imago

Zu Schawuot lesen wir in den Synagogen die Geschichte von Ruth. Dies passt zum Feiertag, an dem wir die Zehn Gebote am Berg Sinai erhalten haben. Denn zum einen hat Ruth als Konvertitin diese Gesetze G’ttes bewusst auf sich genommen und akzeptiert. Zweitens ist Ruth die Urgroßmutter von König David. Und der ist an Schawuot geboren und auch gestorben.

Die Geschichte um Ruth ereignete sich 973 v. u. Z. Damals wurde Israel von den Richtern regiert. Der Prophet Samuel hat das Buch Ruth aufgeschrieben. Ruths Name vor ihrem Übertritt zum Judentum ist nicht bekannt. Der hebräische Name Ruth bedeutet so viel wie voll oder gesättigt. Das erklärt sich aus der Gematria, der Zahlenwertberechnung des Namens. Das Wort Ruth hat einen Zahlenwert von 606. Dies wird nun so gedeutet, dass sie 606 Gebote und Verbote der Tora auf sich genommen hat, plus die sieben noachidischen Gebote. Zusammen ergibt das 613 Gebote, was der Anzahl aller Gebote und Verbote in der Tora entspricht.

Geschichte Hier nun ein etwas tieferer Einblick in die Geschichte. Dort heißt es: »Und es geschah in den Tagen, als die Richter richteten, da war eine Hungersnot im Lande. Und es ging ein Mann aus Bet Lechem in Jehuda, zu weilen in den Gefilden Moabs, er und sein Weib und seine beiden Söhne.« Dieser Mann war Elimelech, er kam aus Bet Lechem, war einer der wichtigsten und reichsten Menschen im israelischen Volk. Seine Frau hieß Naomi, die beiden Söhne Machlon und Kiljon. Nachdem Elimelech verstarb, blieb Naomi zurück mit ihren beiden Söhnen. Die nahmen sich Moabiterinnen zur Frau, Orpa und Ruth. Zehn Jahre später starben auch die beiden Söhne.

Mit den Moabitern hat es, wie auch mit den Ammonitern, eine besondere Bewandtnis: Diese beiden Völker stammen ab von Lot, dem Neffen Abrahams. Nach der Flucht aus Sodom und Gomorrha hatten ihn seine Töchter betrunken gemacht und mit ihm geschlafen. Aus dieser Beziehung entstanden zwei Söhne: Ammon und Moab, die späteren Stämme der Moabiter und Ammoniter.

Im 5. Buch Moses (23, 4) steht nun: »Es soll kein Ammoni und kein Moabi in die Gemeinde des Ewigen kommen. Auch das zehnte Geschlecht soll nicht in die Gemeinde des Ewigen kommen bis auf ewig.« Und wirklich gab es bis zur Geschichte von Ruth niemand aus dem Volk der Moabiter und der Ammoniter, der konvertiert wäre.

Volk Zurück zur Geschichte von Ruth: Nach dem zehnjährigem Aufenthalt in Moab entschied sich Naomi nach Bet Lechem zurückzugehen. Sie segnete ihre Schwiegertöchter und ermutigte sie, wieder zu heiraten und neue Familien zu gründen. Aber beide Schwiegertöchter gingen mit Naomi. Diese glaubte, dass die beiden sie nur ein Stück begleiten wollten und versuchte nochmals, sie zurückzuschicken. Orpa verlässt jetzt Naomi. Aber Ruth lehnt die Wünsche ihrer Schwiegermutter ab. Sie begleitet Naomi zurück nach Israel, um dort mit ihr zu wohnen. Hieraus lernt man, wie der Weg einer richtigen Konvertierung sein sollte: »Und Ruth sprach: Dringe nicht in mich dich zu verlassen, mich abzukehren von dir, denn wohin du gehst, gehe ich, und wo du weilest, weile ich, denn dein Volk ist mein Volk und dein G’tt ist mein G’tt. Wo du stirbst, sterbe ich und dort will ich begraben werden« (Ruth 1, 16–17).

Ehe Naomi und Ruth kommen gemeinsam ohne jeglichen Besitz nach Bet Lechem. Naomi versucht einen Schidduch zwischen Ruth und Boas, einem wichtigen und schon etwas älteren Herrn, zu vermitteln. Boas war Richter im Sanhedrin, dem höchsten Gericht der Israeliten zu dieser Zeit. Dessen Mehrheit hatte entschieden, dass das Verbot des Übertritts nur männliche Moabiter beträfe. Moabitische Frauen könnten konvertieren und auch geheiratet werden. So ging Boas also mit Ruth die Ehe ein, ihnen wurde Obed geboren. Von Obed kam Jischai, und von dem David.

David Jischai hatte sieben Söhne. Die Überlieferung erzählt, dass ihn wegen seiner moabitischen Großmutter Zweifel plagten, ob er wirklich zu 100 Prozent jüdisch sei. Wegen dieser Zweifel verließ er seine Ehefrau und lebte mit einer nichtjüdischen Magd zusammen. Seine Frau litt sehr darunter, denn ihr größter Wunsch war es, noch weitere Kinder zu bekommen. Die kanaanitische Magd sah ihr Leiden und sprach zu der Frau: »Komm, wir machen es so wie bei Rachel und Lea!«. Jischais Frau tauschte also – wie Jakobs Schwiegervater Rachel gegen Leah in der Hochzeitsnacht getauscht hatte – heimlich mit der Magd aus, und wurde von Jischai schwanger. Als der nach drei Monaten die Schwangerschaft seiner Frau bemerkte, dachte er, sie hätte ihn betrogen. Jischai besprach mit seinen Söhnen, dass die vermeintlich Schande nicht in die Öffentlichkeit gelangen sollte und das »uneheliche« Kind in der Familie bleiben solle. Nach der Tora wird so ein Kind als Mamser bezeichnet, aus der Gemeinde Israels ausgeschlossen und kann nicht jüdisch heiraten.

Aus diesem Grund klagt David immer über sein schweres Leben. Er war ausgestoßen aus Familie und Volk. Im 69. Psalm schreibt er: »Ein Entfremdeter bin ich meinen Brüdern geworden, und ein Unbekannter den Söhnen meiner Mutter.«

König Als G’tt den Propheten Samuel zur Familie Jischais sendet, um einen König für Israel auszuwählen, stellt der seine sieben Söhne vor. Jedoch nicht David, weil er sicher war, dass David ein uneheliches Kind ist. Doch G’tt lehnte sie alle ab. Da-raufhin erst holt er David und stellt ihn dem Propheten vor. Samuel sagt ohne Zögern, dass dieser derjenige ist, den G’tt auserwählt hat und salbt David zum König Israels. Doch Jischai und die Familie behandeln ihn weiterhin wie einen Schafhirten.

Seine Bewährungsprobe muss David im Kampf gegen Goliath bestehen. Damals half ihm G’tt, den weitaus größeren und besser bewaffneten Goliath zu besiegen. Dieser Kampf fand sozusagen zwischen Geschwistern statt, denn Goliath war der Urenkel von Orpa, der Schwester von Ruth, Ruth aber war die Urgroßmutter Davids.

In den heiligen Büchern steht, dass Davids Lohn für den Sieg über Goliath der sei, dass er zum König gewählt wurde und alle zukünftigen Könige aus seinem Geschlecht stammen, auch der Messias. Das alles ist Folge des gewissenhaften und konsequenten Übertritts von Ruth zum Judentum.

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Hof (Saale).

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