Talmudisches

Chochma, Bina, Daat

Foto: Getty Images/iStockphoto

Im Traktat Brachot (33a) macht der Talmud eine grandiose Aussage: »Rabbi Elazar sagte: Jeder, der Wissen (hebräisch: Daat) erworben hat, dem wird angerechnet, als hätte er den Tempel in Jerusalem wiederaufgebaut.«

Auf den ersten Blick scheint diese talmudische Aussage wie eine der vielen motivierenden Aussagen im Talmud, die alltägliche Errungenschaften mit kosmischen Errungenschaften gleichsetzen. So heißt es unter anderem: »Jeder, der Tora lernt, wohltätig ist und zur Synagoge geht, dem wird angerechnet, als hätte er jede einzelne Generation des Volkes Israel aus dem Exil gerettet« (Brachot 8a).

Allerdings heißt es auch: »Jeder, der eine Synagoge in seiner Stadt hat und sie nicht besucht, dem wird angerechnet, als hätte er sich selbst und alle seine Nachkommen ins Exil geschickt« (ebenfalls Brachot 8a).

Dimension unserer alltäglichen Taten

Will der Talmud uns nur motivieren und übertreibt daher die Dimension, die unsere alltäglichen Taten haben? Vielleicht aber drücken sich die Weisen genauer aus, als es auf den ersten Blick scheint, und geben mit ihren Vergleichen einen Einblick in mystische Wahrheiten, die in der Genauigkeit ihrer Wortwahl atemberaubend sind.

Schauen wir uns als Beispiel die oben genannte Aussage an: »Jeder, der Wissen erworben hat, dem wird angerechnet, als hätte er den Tempel in Jerusalem wiederaufgebaut.«

Das Wort, das der Talmud für »Wissen« verwendet, ist Daat. Es gibt auch andere Wörter, die man hätte benutzen können, das Wort »Daat« drückt im Hebräischen allerdings eine sehr konkrete Art von Wissen aus.

Wir unterscheiden zwischen »Chochma«, »Bina« und »Daat«. Während Chochma die Fähigkeit ist, Wissen aufzunehmen, beschreibt Bina die Fähigkeit, das Gelernte in einen Kontext zu stellen. Daat ist die Fähigkeit, das Wissen mit den Emotionen und Handlungen zu verbinden.

Ein Beispiel: Jemand findet heraus, dass Zigaretten ungesund sind. Dieses Wissen ist nun Teil der Chochma. Daraufhin versteht die Person, dass sie, weil Zigaretten ungesund sind, mit dem Rauchen aufhören sollte. Sie stellt also einen persönlichen Bezug zum Wissen her. Dieser Bezug heißt Bina. Wissen zu nutzen, sodass es zum Handeln führt, ist Daat.

Die chassidische Chabad-Bewegung hat ihren Namen aus dem Akronym der drei Worte »Chochma«, »Bina« und »Daat« gewonnen. Daat ist also nicht nur Wissen, sondern die Fähigkeit, Wissen anzuwenden. Wer weiß, dass man etwas nicht tun sollte, und es dennoch tut, hat zwar Chochma und Bina, aber kein Daat.

Ausdruck für die Ideale des Kopfes

Während Chochma und Bina mit dem Kopf assoziiert werden, da sie rein intellektueller Natur sind, wird das Handeln mit dem restlichen Körper assoziiert, der im Idealfall ein Ausdruck für die Ideale des Kopfes ist. Der Weg vom Kopf zu den anderen Organen führt über den Hals und den Nacken, die mit Daat assoziiert werden.

Über das Zusammentreffen von Josef mit Benjamin sagt die Tora: »Er fiel seinem Bruder Benjamin um den Nacken und weinte; auch Benjamin weinte an seinem Nacken« (1. Buch Mose 45,14). Laut dem mittelalterlichen Kommentator Raschi ist hier nicht der körperliche Nacken Benjamins gemeint, sondern der Tempel, der sich künftig auf Benjamins Gebiet befinden würde. Josef weinte um die Zerstörung des Tempels.

Der Jerusalemer Tempel wird im Talmud immer wieder als »Nacken« bezeichnet, denn er ist das Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde, Geist und Materie, gleich dem Nacken, der den Kopf und den von ihm regierten Körper verbindet.

Jeder Mensch gleicht einem kleinen Universum. Wer lernt, Wissen anzuwenden, wer also Daat erwirbt, der nutzt seinen Nacken als Verbindung des Wissens im Kopf mit den Handlungen des Körpers. In diesem kleinen Universum steht der Tempel bereits – der gleich dem Nacken die Ideale des Himmels (Kopf) mit dem Leben der Erde (Körper) verbinden soll.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Balak

Stärke in Zeiten der Entscheidung

Wie eine uralte Prophezeiung Israels Wesen prägt

von Yonatan Amrani  11.07.2025

17. Tamus

Das ist erst der Anfang

Nun beginnt die jährliche Trauerzeit. Sie soll auf Größeres vorbereiten

von Rabbiner Raphael Evers  11.07.2025

Meinung

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  10.07.2025

Nachruf

Er bleibt eine Inspiration für uns alle

Der langjährige Zürcher Gemeinderabbiner Marcel Ebel ist verstorben. Eine Würdigung von seinem Nachfolger

von Rabbiner Noam Hertig  10.07.2025

Talmudisches

Eifersucht: Das bittere Wasser

Unsere Weisen und ein altes Ritual

von Chajm Guski  10.07.2025

Nahost

»Öl ins Feuer des anwachsenden Antisemitismus«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt wirft der evangelischen Kirche moralisches Versagen vor und kritisiert eine Erklärung des Weltkirchenrats, in der Israel »dämonisiert« werde

 05.07.2025

Chukat

Ein Tier, das Reinheit schafft

Wir können die Mizwa der Roten Kuh nicht verstehen – aber ihre Bedeutung erahnen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  04.07.2025

Talmudisches

Die weibliche Idee hinter König David

Was Kabbalisten über Eschet Chajil, die tüchtige Frau, lehren

von Vyacheslav Dobrovych  04.07.2025