Halacha

Die Seele aus der Maschine

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Halacha

Die Seele aus der Maschine

Befruchtung im Reagenzglas, Leihmutterschaft und ein künstlicher Mutterleib: Die moderne Medizin stellt die Rabbiner vor große Fragen

von Rabbiner Dovid Gernetz  22.08.2024 09:33 Uhr

»Wir präsentieren EctoLife – die weltweit erste Einrichtung eines künstlichen Mutterleibs.« Mit diesen Worten beginnt das Video, das vor Kurzem weltweit für großes Aufsehen sorgte. Darin wird ein futuristisches, scheinbar existierendes Unternehmen vorgestellt, das in der Lage sein soll, Babys in »künstlichen Mutterleiben« heranwachsen zu lassen und auf die Welt zu bringen.

In dem Clip schweben animierte Säuglinge in mit Fruchtwasser gefüllten runden Behältern, angeschlossen an Geräte, die ihr Wachstum vorantreiben. Bis zu 30.000 Kinder pro Jahr könne diese, ausschließlich mit erneuerbaren Energien betriebene, Einrichtung »produzieren«, heißt es in dem Video. Paaren mit medizinischen Problemen könnten sich so den langersehnten Kinderwunsch erfüllen. Mithilfe einer App ließe sich das Wachstum des Kindes im künstlichen Mutterleib mitverfolgen, und ein »Elite-Paket« bietet an, das Kind gentechnisch zu modifizieren.

Erbt das Kind seine Jüdischkeit von der Eizelle oder der Leihmutter?

Das Video verbreitete sich innerhalb kürzester Zeit wie ein Lauffeuer auf allen Social-Media-Plattformen, und überall stellte man sich dieselbe Frage: Ist das echt? Es dauerte eine Weile, bis endlich klargestellt wurde, dass EctoLife nicht wirklich existiert und dass es sich dabei um eine animierte Zukunftsvision des Berliner Wissenschaftskommunikators und Filmemachers Hashem-Al-Ghaili handelt.

Bisher ist es zwar nur eine Vision, aber das heißt nicht, dass dieses Konzept nicht umgesetzt werden kann. Andrew Shennan, Professor für Obstetrik am King’s College in London, und Joyce Harper, Professorin für Reproduktionswissenschaft am Institut für Frauengesundheit des University College London, sagten der britischen HuffPost, dass der gegenwärtige Stand der Wissenschaft dieses Verfahren theoretisch ermöglichen würde, jedoch gebe es noch technische Probleme, für die zurzeit noch keine konkreten Lösungen vorhanden seien. Aber es hänge nicht nur von der wissenschaftlichen Bereitschaft ab, sondern es müsse auch auf politischer Ebene entschieden werden, inwiefern dieses Konzept und insbesondere das »Elite-Projekt« den ethischen und moralischen Werten unserer Gesellschaft entspricht.

Was ist die Position des Judentums hinsichtlich einer künstlichen Schwangerschaft und Geburt? Um dies zu verstehen, muss man zunächst auf die halachische Diskussion über die Leihmutterschaft eingehen.

Generell gibt es halachische Autoritäten (unter ihnen Rabbi Eliezer Waldenberg und Rabbi Moshe Sternbuch), die eine In-vitro-Fertilisation (IVF) sehr problematisch finden. Andere (unter ihnen Rabbi Schlomo Zalman Auerbach und Rabbi Yosef Schalom Elyashiv) erlaubten unter bestimmten Umständen IVF, zögerten jedoch bei der Leihmutterschaft. Aber es gibt auch prominente Rabbiner, unter ihnen Israels einstiger sefardischer Oberrabbiner Ovadia Yosef, die die Leihmutterschaft befürworten.

Die Problematik bei der Leihmutterschaft besteht nämlich darin, die halachische Mutter des Kindes zu bestimmen.

Es gibt drei Faktoren, die bei der Bestimmung der Mutterschaft maßgebend sein könnten: die Besitzerin der Eizelle, der Ort der Befruchtung und die Gebärende des Kindes. Bis vor Kurzem waren alle drei Faktoren stets in der »natürlichen Mutter« vereint, sodass nirgends, weder in der Mischna oder im Talmud noch in den Schriften der Rischonim, der Gelehrten des Mittelalters, und der Acharonim, der Gelehrten der Neuzeit, explizit geschrieben steht, welcher Faktor die »halachische Mutter« bestimmt.

Die heutigen Rabbiner, die sich mit dieser Frage befassten, versuchten Parallelen zwischen diesem Fall und den Fällen im Talmud zu ziehen und richteten sich oft nach ihrem halachischen Instinkt.

Rabbi Ovadia Yosef und Rabbi Avigdor Nebenzahl sind der Meinung, dass die Besitzerin der Eizelle die halachische Mutter ist. Rabbi Eliezer Waldenberg und Rabbi Zalman Nechemia Goldberg sind hingegen der Ansicht, dass es die Gebärende ist.

Aber es gibt auch Rabbiner, unter ihnen Rabbi Schlomo Zalman Auerbach und Rabbi Yosef Schalom Elyashiv, die diesbezüglich keine klare Entscheidung trafen und aus Zweifel beiden, der Besitzerin der Eizelle und der Gebärenden, den Status der halachischen Mutter gaben. Dies scheint so von den meisten Batei Din (jüdischen Gerichtshöfen) adaptiert worden zu sein. Praktisch bedeutet dies, dass ein Kind, das von einer nichtjüdischen Leihmutter geboren wurde, einen Giur lechumra (Konversion aus Zweifel) benötigen wird, obwohl die Eizelle von einer jüdischen Frau stammt.

Zurück zu EctoLife: »Hinsichtlich der Leihmutter-Diskussion würde EctoLife es erleichtern, die halachische Mutter zu bestimmen, weil die Frage nach der Gebärenden wegfällt und nur die Besitzerin der Eizelle als Faktor bleiben würde«, sagt Rabbi Yosef Zvi Rimon. Der Rosch Jeschiwa des Jerusalem College of Technology (JCT) und Oberrabbiner von Gush Etzion ergänzt: »Zuvor müssten die halachischen Autoritäten noch entscheiden, ob dieses Konzept nicht unter das Verbot von Kilaim (Mischung der Arten), so wie es vom Ramban (Wajikra 19,19) erklärt wird, fallen würde.« Laut diesem sind Veränderungen im Fortpflanzungsprozess der Natur durch die Hand des Menschen untersagt, weil man damit demonstriert, G’tt zur Hand gehen zu müssen.

Besucht der Engel das Ungeborene nur im Mutterleib oder auch in der künstlichen Kapsel?

»Auf jeden Fall denke ich, dass wir auf EctoLife oder ein ähnliches Konzept nur in Ausnahmefällen zurückgreifen würden (anstelle der Leihmutterschaft), denn es würde nicht der jüdischen Haschkafa (Weltanschauung) entsprechen, die natürliche Schwangerschaft und Geburt, die aus der Sicht der Kabbala (und auch der Medizin) sehr bedeutungsvoll sind, durch eine Maschine zu ersetzen«, findet Rabbi Yosef Zvi Rimon.

Und scherzend fügt er hinzu: »Ich bin mir nicht sicher, ob der Engel, der dem Kind im Mutterleib die gesamte Tora beibringt (siehe Talmudtraktat Nidda 30b), auch in die künstliche Kapsel kommen wird.«

Der Autor ist Assistenz-Rabbiner der Gemeinde Kahal Adass Jisroel und Dozent am Rabbinerseminar zu Berlin.

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