Neulich beim Kiddusch

Die Saugnapfmethode

»Irgendwelche Anrufe, während ich weg war?« Ich knalle die Eingangstür hinter mir zu. Mein Manne Alain fläzt sich frustriert auf dem Sofa und leert gerade sein drittes Schälchen Salzmandeln.«Keine Anrufe in den letzten 24 Stunden außer drei Mal deine Mutter und einmal der Typ, der den Gaszähler abliest.« Das heißt,wir sind immer noch nirgendwo eingeladen worden zu den Chagim!

Ich plumpse enttäuscht neben Alain aufs Sofa. Zwei Tüten Erdnussflips plus ein dutzend Rogelech später schweigt uns das Telefon noch immer an – und wir werden langsam richtig nervös. »Weißt du noch, letztes Jahr?«, meint Alain verträumt. »Wir waren jeden Tag woanders zu Gast: Rosch Haschana bei den Süssholtzens. Alles lief ganz toll. Bis Estelle mit dem Küchensieb den Guppyteich leergefischt und die Tierchen dann ins Süssholtzsche Ehebett schlafen gelegt hat. Seitdem reden die nicht mehr mit uns. Von Einladungen ganz zu schweigen.« »Und dann Sukkot bei den Steinreichs«, erinnere ich mich. »Als Sammy unbedingt testen musste, ob die Laubhütte auch echt wasserdicht ist und die Sprinkleranlage vom Blumenbeet direkt in die Sukka umgeleitet hat. Es gab eine Riesenüberschwemmung, Frau Steinreich erlitt einen Nervenzusammenbruch und seitdem verbringen sie die Feiertage in Eilat im Hotel.«

Kiddusch-Sucking Sieht so aus, als stehen wir dieses Jahr überall auf der roten Liste. Es gibt also nur noch eine Möglichkeit: Kiddusch-Sucking – die unfehlbare Saugnapfmethode, schon oft bewährt, mit der wir uns bei einer nichtsahnenden Familie, die uns noch nicht kennt, ganz einfach selber einladen.

Und so tauchen wir ein paar Tage später geschniegelt und gebügelt auf dem Neujahrskiddusch der Gemeinde auf, quatschen das nächstbeste Ehepaar an, Rosenblum heißen die, wir machen ein bisschen Smalltalk und sondieren vorsichtig die Lage, was das Rosenblumsche Mittagessen betrifft. Es stellt sich heraus, dass sie selbst irgendwo eingeladen sind, aber jemanden suchen, der über Mittag bei ihnen zu Hause auf ihren Toby aufpasst. Dafür, verspricht Frau Rosenblum, gibts dann auch einen leckeren Imbiss. Alain und ich zwinkern uns zu: Imbiss! Bingo! Erst als sich herausstellt, dass Toby ein räudiger, schlechtgelaunter Bernhardiner ist und der Imbiss bei Rosenblums aus einem Sortiment Weight-Watchers-Tiefkühlmenüs besteht, beschließe ich, am morgigen Feiertag etwas völlig unerhörtes, noch nie dagewesenes zu tun: Ich werde selbst kochen!

improvisiert Zwar herrscht bei uns in Kühlschrank und Speisekammer gähndende Leere – aber da muss man halt improvisieren. Der große Moment ist da. Kaum dass sich der Rest meiner Family müde von der Synagoge nach Hause und auf unser Sofa geschleppt hat, schmettere ich betont gut gelaunt: »Essen ist fertig! Wollt ihr eure Pfannkuchen mit Ölsardinenfüllung oder mit Essiggürkchen garniert?« Ein Sturm der Empörung ist die Antwort auf meine Mühen. Schon befürchte ich, dass meine Lieben, Feiertag hin oder her, zum nächsten Burger King abwandern, da entdeckt eins der Kinder ganz hinten in der Speisekammer etwas golden glänzendes, gläsernes: die Fünf-Kilo-Nutella-Jubiläumsedition! Das festliche Mittagessen ist gerettet, schon bald schmilzt eine dicke Nutella-Schicht auf den familiären Pfannkuchen, alle seufzen wohlig auf – und ich habe das sichere Gefühl, dass 5771 ein ganz besonders süßes Jahr werden wird.

Talmudisches

Um Wunder bitten

Was unsere Weisen über die Rettung aus Gefahren lehren

von Diana Kaplan  24.01.2025

Ethik

Der Wert eines Lebens

In Israel entbrennt angesichts der dramatischen politischen Lage auch unter Rabbinern eine jahrzehntealte Debatte neu: Zu welchem Preis darf man jüdische Geiseln auslösen?

von Mascha Malburg  24.01.2025

Halacha

Begraben im Meer

Am 24. Januar 1968 verschwand ein israelisches U-Boot vom Radar. Der Fall warf auch religiöse Fragen auf

von Rabbiner Dovid Gernetz  24.01.2025

Waera

»Damit ihr Meine Macht erkennt«

Was sich hinter der Struktur des Textes verbirgt, der von den zehn Plagen berichtet

von Chajm Guski  23.01.2025

Schemot

Augenmaß des Anführers

Mosche lehrt uns, dass Barmherzigkeit nicht absolut sein darf

von Rabbiner Avichai Apel  17.01.2025

Talmudisches

Intimität

Was unsere Weisen über den Respekt gegenüber der Privatsphäre eines Ehepaars lehrten

von Rabbiner Avraham Radbil  17.01.2025

Perspektive

Toda raba!

Glücklich wird, wer dankbar ist. Das wussten schon die alten Rabbiner – und dies bestätigen auch moderne Studien

von Daniel Neumann  17.01.2025

Berlin

Chabad braucht größere Synagoge

»Wir hoffen auch auf die Unterstützung des Senats«, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 15.01.2025

Ethik

Eigenständig handeln

Unsere Verstorbenen können ein Vorbild sein, an dem wir uns orientieren. Doch Entscheidungen müssen wir selbst treffen – und verantworten

von Rabbinerin Yael Deusel  10.01.2025