Verhalten

Die Sache im Blick

Mosche schaute nicht auf sich selbst. Deshalb ist er bis heute ein Vorbild an Bescheidenheit

von Rabbiner Avichai Apel  19.02.2013 12:24 Uhr

Konzentration aufs Wesentliche Foto: Thinkstock

Mosche schaute nicht auf sich selbst. Deshalb ist er bis heute ein Vorbild an Bescheidenheit

von Rabbiner Avichai Apel  19.02.2013 12:24 Uhr

Tue Gutes und rede darüber. Dieser Satz ist fast zur Regel geworden und gehört inzwischen zu den Grundlagen sozialen Verhaltens. Werbung machen heute nicht nur große Firmen, sondern auch gewöhnliche Leute. Nur wenige sind darauf bedacht, dass ihr Name nicht genannt wird, wenn sie sich für etwas eingesetzt haben.

Eine große Überraschung erwartet uns bei der Lesung der Parascha Tezawe. Von seiner Geburt an bis zum Buch Dewarim kommt Mosche Rabenu in jeder Parascha vor. Doch in Tezawe wird sein Name nicht genannt. Viele Wochenabschnitte beginnen sogar mit der Ankündigung: »Und der Ewige redete zu Mosche folgendermaßen«. Unsere heutige Parascha beginnt mit den Worten: »Ve ata tezawe« – »Und du sollst befehlen«. Allen ist klar, dass diese Worte an Mosche gerichtet sind. Doch warum bleibt sein Name unerwähnt?

Rabbiner Yakov Ben Asher, der Ba’al ha-Turim (1269–1343), weist auf die nachfolgende Parascha »Ki Tissa« hin. Nach der Sünde um das Goldene Kalb verkündete der Ewige: »Nun denn, lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und ich sie vernichte; und ich will dich machen zu einem großen Volk« (2. Buch Mose 32,10). Der Allmächtige sieht es nicht mehr als Möglichkeit an, über das jüdische Volk zu walten. Deshalb möchte er es gegen ein anderes Volk eintauschen, eines, das aus Mosche hervorgehen wird.

Mittelpunkt Viele würden das – salopp ausgedrückt – für einen guten Deal halten. Er ist gut für Mosches Karriere und ungemein praktisch. Er muss das bislang bekleidete Amt nicht aufgeben, und die Bedingungen bleiben dieselben. Bei vielen Menschen stehen die persönlichen Erwägungen im Mittelpunkt: Man prüft, was es zu verlieren und zu gewinnen gibt, ohne die Folgen für die Allgemeinheit in Betracht zu ziehen.

Mosches Reaktion auf G’ttes Wort leitet uns hin zu anderen ethischen Werten. Er bringt vor dem Heiligen, gesegnet sei Er, folgende Bedingung vor: »Nun denn, dass Du ihre Sünde vergebest! Wo aber nicht, lösche mich doch aus deinem Buch, das Du geschrieben hast« (2. Buch Mose 32,32).

Mosche bindet sein Schicksal an das des jüdischen Volks. Er kann sich keinen Zustand vorstellen, in dem das Volk Israel nicht mehr bestehe, er aber weiterleben soll. Mosche ist bereit, seine individuelle Existenz für das jüdische Volk aufzugeben. Dieses Denken und Verhalten wird in der Sprache der Tora und unserer Weisen in großer Ehre »Midat Ha’anwa« genannt, das Maß der Bescheidenheit.

Ego Bescheidenheit ist die Fähigkeit, das Ego zu beschränken. Wer bescheiden ist, dem geht es nicht um das eigene Auftreten, sondern um die Sache. Nicht die Erhöhung des eigenen guten Rufs steht im Mittelpunkt und auch nicht Erwägungen über den persönlichen Nutzen, sondern einzig die Sache selbst.

Wenn jemand sich selbst so sieht, werden sich seine Prioritäten sofort ändern. Ein bescheidener Mensch ist gewillt, eigene Fehler einzusehen. Er bringt mehr Geduld für seine Mitmenschen auf, da er ihnen Bedeutung beimisst, egal ob jung oder alt, weise oder nicht.

Wohl Mosche Rabenu versteht, dass es seine Aufgabe ist, für das Wohl und das Weiterbestehen des jüdischen Volkes zu sorgen. Er hält sich an dieses Ziel, selbst wenn er einen Preis dafür bezahlen muss. Er ist bereit, seine Individualität dafür aufzugeben und seine Karriere zu opfern.

Bescheidenheit fordert das Herabsetzen des eigenen Ichs zugunsten eines Ziels. Es gibt aber auch ein falsches Maß an Bescheidenheit: Wenn jemand seine eigene Bedeutung so stark herabsetzt, dass er überhaupt nicht mehr an sich selbst glaubt, gehen alle seine Kräfte verloren.

Mosche war eine der zentralen Figuren in der Geschichte des jüdischen Volkes. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass der Ewige die Tora »Mosches Lehre« nennt. »Gedenket der Lehre Mosches ..., dem ich aufgetragen zu Choreb an ganz Jisraël Satzungen und Rechte« (Maleachi 3,22).

Hochmut Nachdem Mosche darum gebeten hatte, seinen Namen zu löschen, wurde er tatsächlich aus der Parascha Tezawe entfernt. Dieser Abschnitt wird ausgerechnet in der Woche gelesen, in der der 7. Adar liegt, Mosches Geburts- und Todestag. Dadurch wird Mosches Leben hervorgehoben. Er ist die zentrale Persönlichkeit des jüdischen Volkes, sein Name wird ständig in der Tora erwähnt, stets in Zusammenhang mit dem Wohl des Volkes. Mosche war ohne Stolz und Hochmut für die Rolle, die er ausübte, deshalb verschwindet am Datum seiner Geburt und seines Todes sein Name, als ob er nie gewesen sei.

Für denjenigen, der diese Parascha lernt, sei hinzugefügt, dass ausgerechnet in Tezawe, wo die Gewänder der Priester einen so wichtigen Platz einnehmen, Mosches Bescheidenheit hervorgehoben wird. Kleider dienen der Ummantelung und Verdeckung. Sie geben dem Menschen das Gefühl, ehrfurchtgebietend zu wirken. Und ausgerechnet da kommt die Tora und erzählt uns von Mosches Bescheidenheit.

Ohne Gewänder sind wir alle gleich. Wer sich ein Gewand anlegt, muss es bescheiden tun, damit die Aufgabe hervorgehoben wird, die er ausführt. Der Mensch darf wegen eines Kleidungsstücks, das er trägt, nicht hochmütig werden.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Tezawe berichtet davon, wie den Kindern Israels aufgetragen wird, nur reines Olivenöl für das ewige Licht, das Ner Tamid, zu verwenden. Auf Geheiß des Ewigen soll Mosche seinen Bruder Aharon und dessen Söhne Nadav, Avihu, Eleazar und Itamar zu Priestern machen. Für sie übermittelt die Parascha Bekleidungsvorschriften. In einer siebentägigen Zeremonie werden Aharon und seine Söhne in das Priesteramt eingeführt. Dazu wird Aharon angewiesen, Weihrauch auf einem Altar aus Akazienholz zu verbrennen.
2. Buch Mose 27,20 – 30,10

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