Ein geplanter Gesetzesvorschlag der ultraorthodoxen Sefardenpartei Schas sorgt für Aufruhr in Israel. Die kontroverse Einbringung schlägt vor, dass egalitäre Gottesdienste an der Kotel in Jerusalem verboten werden und sogar eine kriminelle Handlung darstellen soll. Zudem könnten Frauen, die sich nicht ausreichend züchtig kleiden, mit Geld- oder Gefängnisstrafen belangt werden.
Für Vergehen sollten demzufolge bis zu 10.000 Schekel (umgerechnet knapp 2700 Euro) oder Freiheitsentzug von bis zu einem halben Jahr fällig werden können. Auch das Musizieren oder Singen ohne vorherige Genehmigung sei dann strafbar, und ebenso würden Verstöße gegen den Schabbat auf dem Gelände geahndet.
STATUS QUO Bereits kurz nachdem die Parteiführung von Schas ihr Ansinnen am Donnerstag veröffentlicht hatte, äußerte sich Premierminister Benjamin Netanjahu und versprach, dass der Vorschlag »derzeit nicht aufgenommen« werde. In einem Video versuchte er zu beschwichtigen und betonte: »Der Status quo bleibt genauso, wie er heute ist«. Derzeit sind egalitäre Gottesdienste an einer dafür vorgesehenen Stelle, dem sogenannten Robinson-Bogen, ausdrücklich erlaubt.
Auch Justizminister Yariv Levin erklärte, dass dieser Entwurf am kommenden Sonntag, wenn eine Reihe von Gesetzesänderungen zur Abstimmung stehen, nicht vor das ministeriale Komitee zur Gesetzgebung gebracht wird. Levin sitzt dem Komitee vor.
»Wird dieses Gesetz verabschiedet, wird die Kotel anstelle eines Symbols der Einheit zu einem der Unterdrückung von Frauen, Diskriminierung säkularer Menschen und der Auflösung unseres Bündnisses mit der jüdischen Welt.«
oppositionsführer yair lapid
Obwohl die Koalition zurückruderte, führte die Diskussion über die mögliche Einschränkung der Ausübung der Religionsfreiheit am höchsten Heiligtum des Judentums, der Kotel, zu Entrüstung und Sorge im Land.
SCHANDTAT Offenbar von Netanjahu zurechtgewiesen, ruderte auch Schas letztendlich zurück und erklärte kleinlaut, dass der »Großteil der jüdischen Nation die Heiligkeit des Ortes respektiert, bis auf die kämpferischen Frauen, die nicht aufhören, das Gebiet zu politisieren«. Damit gemeint ist die Organisation Women of the Wall, die sich seit Jahren für Gleichberechtigung an der Klagemauer einsetzt. Die Gruppe nannte den Schas-Vorschlag eine »Schandtat«.
»Die Implikation des Gesetzes ist, dass Frauen zum ersten Mal per Gesetz daran gehindert werden, gemäß ihren Bräuchen zu beten, und dass jeder, der die Autorität des Rabbinats nicht akzeptiert, schlicht ein Krimineller wird«: Auch Oppositionsführer Yair Lapid kritisierte, dass die Gesetzgebung bedeute, dass die Kotel nicht länger allen gehören würde. »Die extremistische Regierung reißt die Nation Israel noch weiter auseinander«.
Doch sie könnten nicht entscheiden, wer weniger jüdisch oder mehr jüdisch sei, fügte er hinzu. »Wird dieses Gesetz verabschiedet, wird Israel kein freies Land mehr sein. Anstelle eines Symbols der Einheit wird die Klagemauer zu einem der Unterdrückung von Frauen, der Diskriminierung säkularer Menschen und der Auflösung unseres Bündnisses mit der jüdischen Welt.«
EINHEIT Sogar einige Koalitionsmitglieder kritisierten den Vorschlag. Darunter Kultur- und Sportminister Miki Zohar vom Likud, der hervorhob, dass die Kotel »der gesamten Nation Israel gehört und allen Juden heilig ist«. Es bestehe keine Notwendigkeit für Gesetze. Die Bewahrung des Status quo sei entscheidend für die Wahrung der Einheit der Nation.
Schas behauptete schließlich, man habe nie geplant, die Klauseln in Bezug auf Gefängnis- oder Geldstrafen für unanständige Kleidung tatsächlich zu verabschieden, und gab an, dies seien Überbleibsel eines alten Gesetzes, die »aus Versehen in den Entwurf gerutscht« seien.
Ministerpräsident Netanjahu schloss allerdings nicht aus, dass der Gesetzesentwurf in der Zukunft nicht doch noch zur Abstimmung gelangen könnte.