Religionsfreiheit

Die Kotel nur noch für Orthodoxe?

Egalitärer Gottesdienst vor der Klagemauer Foto: Flash90

Ein geplanter Gesetzesvorschlag der ultraorthodoxen Sefardenpartei Schas sorgt für Aufruhr in Israel. Die kontroverse Einbringung schlägt vor, dass egalitäre Gottesdienste an der Kotel in Jerusalem verboten werden und sogar eine kriminelle Handlung darstellen soll. Zudem könnten Frauen, die sich nicht ausreichend züchtig kleiden, mit Geld- oder Gefängnisstrafen belangt werden.

Für Vergehen sollten demzufolge bis zu 10.000 Schekel (umgerechnet knapp 2700 Euro) oder Freiheitsentzug von bis zu einem halben Jahr fällig werden können. Auch das Musizieren oder Singen ohne vorherige Genehmigung sei dann strafbar, und ebenso würden Verstöße gegen den Schabbat auf dem Gelände geahndet.

STATUS QUO Bereits kurz nachdem die Parteiführung von Schas ihr Ansinnen am Donnerstag veröffentlicht hatte, äußerte sich Premierminister Benjamin Netanjahu und versprach, dass der Vorschlag »derzeit nicht aufgenommen« werde. In einem Video versuchte er zu beschwichtigen und betonte: »Der Status quo bleibt genauso, wie er heute ist«. Derzeit sind egalitäre Gottesdienste an einer dafür vorgesehenen Stelle, dem sogenannten Robinson-Bogen, ausdrücklich erlaubt.

Auch Justizminister Yariv Levin erklärte, dass dieser Entwurf am kommenden Sonntag, wenn eine Reihe von Gesetzesänderungen zur Abstimmung stehen, nicht vor das ministeriale Komitee zur Gesetzgebung gebracht wird. Levin sitzt dem Komitee vor.

»Wird dieses Gesetz verabschiedet, wird die Kotel anstelle eines Symbols der Einheit zu einem der Unterdrückung von Frauen, Diskriminierung säkularer Menschen und der Auflösung unseres Bündnisses mit der jüdischen Welt.«

oppositionsführer yair lapid

Obwohl die Koalition zurückruderte, führte die Diskussion über die mögliche Einschränkung der Ausübung der Religionsfreiheit am höchsten Heiligtum des Judentums, der Kotel, zu Entrüstung und Sorge im Land.

SCHANDTAT Offenbar von Netanjahu zurechtgewiesen, ruderte auch Schas letztendlich zurück und erklärte kleinlaut, dass der »Großteil der jüdischen Nation die Heiligkeit des Ortes respektiert, bis auf die kämpferischen Frauen, die nicht aufhören, das Gebiet zu politisieren«. Damit gemeint ist die Organisation Women of the Wall, die sich seit Jahren für Gleichberechtigung an der Klagemauer einsetzt. Die Gruppe nannte den Schas-Vorschlag eine »Schandtat«.

»Die Implikation des Gesetzes ist, dass Frauen zum ersten Mal per Gesetz daran gehindert werden, gemäß ihren Bräuchen zu beten, und dass jeder, der die Autorität des Rabbinats nicht akzeptiert, schlicht ein Krimineller wird«: Auch Oppositionsführer Yair Lapid kritisierte, dass die Gesetzgebung bedeute, dass die Kotel nicht länger allen gehören würde. »Die extremistische Regierung reißt die Nation Israel noch weiter auseinander«.

Doch sie könnten nicht entscheiden, wer weniger jüdisch oder mehr jüdisch sei, fügte er hinzu. »Wird dieses Gesetz verabschiedet, wird Israel kein freies Land mehr sein. Anstelle eines Symbols der Einheit wird die Klagemauer zu einem der Unterdrückung von Frauen, der Diskriminierung säkularer Menschen und der Auflösung unseres Bündnisses mit der jüdischen Welt.«

EINHEIT Sogar einige Koalitionsmitglieder kritisierten den Vorschlag. Darunter Kultur- und Sportminister Miki Zohar vom Likud, der hervorhob, dass die Kotel »der gesamten Nation Israel gehört und allen Juden heilig ist«. Es bestehe keine Notwendigkeit für Gesetze. Die Bewahrung des Status quo sei entscheidend für die Wahrung der Einheit der Nation.

Schas behauptete schließlich, man habe nie geplant, die Klauseln in Bezug auf Gefängnis- oder Geldstrafen für unanständige Kleidung tatsächlich zu verabschieden, und gab an, dies seien Überbleibsel eines alten Gesetzes, die »aus Versehen in den Entwurf gerutscht« seien.

Ministerpräsident Netanjahu schloss allerdings nicht aus, dass der Gesetzesentwurf in der Zukunft nicht doch noch zur Abstimmung gelangen könnte.

Wajikra

Zeichen der Zuwendung

So wie sich die Engel gegenseitig rufen, wird Mosche vom Ewigen gerufen

von Rabbinerin Gesa Ederberg  24.03.2023

Talmudisches

Urteile, die zum Himmel schreien

Was unsere Weisen über die Gerichtsbarkeit in der Stadt Sodom lehrten

von Yizhak Ahren  24.03.2023

Interview

»Unser Einfluss wird größer«

Ilana Epstein über die Rolle der Rebbetzin, Veränderungen und ein Treffen in Wien

von Imanuel Marcus  23.03.2023

Debatte

Für die Freiheit des Glaubens

Moskaus früherer Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt sprach in Berlin über die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine für das jüdische Leben in Europa

von Gernot Wolfram  23.03.2023

Konferenz

Rat für Ratgeberinnen

Rebbetzins aus ganz Europa tauschten sich in Wien über ihre Herausforderungen im Alltag aus

von Stefan Schocher  23.03.2023

Technologie

Beten mit Handy

Warum spezielle Apps viel mehr sein können als Siddurim auf dem Smartphone

von Chajm Guski  21.03.2023

Kleidung

Wann ist ein Jude religiös?

Äußerlichkeiten können in die Irre führen – auch die Befolgung der zwischenmenschlichen Gesetze ist von zentraler Bedeutung

von Daniel Neumann  17.03.2023

Talmudisches

Korpulente Rabbiner

Was unsere Weisen über Leibesfülle und körperliche Gesundheit lehrten

von Vyacheslav Dobrovych  17.03.2023

Wajakhel–Pekude

Herausforderungen angehen

Die Tora lehrt: Der Mensch muss den ersten Schritt tun, dann wird G’tt ihm helfen

von Shlomo Rottman  17.03.2023