Hoschana Rabba

Die große Runde

Gebetszeremonie an Hoschana Rabba in Bnei Brak Foto: Copyright (c) Flash 90 2013

Hoschana Rabba oder die »große Hoschana« ist der siebte Tag des Laubhüttenfestes (Sukkot). Gemäß der Mischna (Sukka 4,5) wurden zu Zeiten des Tempels riesige Weidenruten um den Altar gelegt. Eine festliche Umrundung des Altars erfolgte, zu der die Gläubigen einen Vers aus den Psalmen vortrugen: »Hoschana« – »O Herr, erlöse uns« (Psalm 118,25).

In Erinnerung an dieses Ritual wurde es Brauch, an Sukkot bei jedem Morgengebet in der Synagoge Hoschanot, also Umrundungen der Bima, mit dem Feststrauß (Palmenzweig, Etrog, Bachweide und Myrtenzweige) in der Hand zu machen. Während dieser Umrundungen werden spezielle Gebete rezitiert, in denen G’tt ersucht wird, sein Volk vor allem vor Hunger und Dürre zu beschützen.

Am siebten und letzten Tag von Sukkot werden statt einer einzigen ganze sieben Umrundungen gemacht – deswegen auch der Name Hoschana Rabba. Danach wird der Feststrauß weggelegt, und man schlägt mit der Bachweide auf den Boden. Die übliche Erklärung hierfür ist, dass dieses eine symbolische Bitte um Regen bedeutet.

Obwohl Hoschana Rabba von der Tora nicht anders als alle anderen Zwischenfeiertage von Sukkot behandelt wird, gibt es dennoch viele Bräuche, die diesen Tag speziell machen.

Höhepunkt
Viele Details wurden unter dem Einfluss der Kabbala eingeführt. Sie sieht diesen Tag als Höhepunkt der Hohen Feiertage, die mit Rosch Haschana anfangen und mit Jom Kippur fortgesetzt werden. Zu einem Teil des G’ttesdienstes werden Melodien der Hohen Feiertage gesungen, der Vorbeter trägt das Sargenes, die weiße Totenrobe, und im Gebet selbst wird immer wieder auf die »Besiegelung« des Schicksals aller Menschen für das nächste Jahr verwiesen.

Es stellt sich die Frage, was diesen Tag so besonders macht. Warum ist gerade Hoschana Rabba auserkoren, ein Höhepunkt der Hohen Feiertage zu sein? Warum ist es scheinbar von Vorteil, an diesem Tag von G’tt gerichtet zu werden?

Der Zohar, das bedeutendste Schriftwerk der Kabbala, beschreibt Hoschana Rabba als einen Gerichtstag, ähnlich Jom Kippur, da an diesem Tag die Beschlüsse von Jom Kippur erst rechtskräftig werden. Die Mystiker lehren, dass unser Schicksal an Jom Kippur besiegelt wird, die Klageschrift, welche die Entscheidung des Gerichts enthält, aber erst am siebten Tag von Sukkot abgesegnet wird, an Hoschana Rabba. Bis zu diesem Zeitpunkt also hat man noch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.

Der Midrasch fasst es folgendermaßen zusammen: »G’tt sprach zu Awraham: ›Ich werde deinen Nachkommen einen speziellen Tag der Vergebung geben, Hoschana Rabba. Wenn ihnen nicht an Rosch Haschana vergeben wird, lass sie es an Jom Kippur versuchen. Spätestens aber an Hoschana Rabba werde ich ihnen verzeihen.‹«

Doch was macht diesen Tag so besonders, dass G’tt uns garantiert, dass uns an diesem Tag alle Sünden vergeben werden? Eine der Ursachen hierfür ist, dass wir an diesem Tag von der Laubhütte zurück in unsere Häuser ziehen. Symbolisch nehmen wir so die spirituellen Lehren von Sukkot mit in unser alltägliches Leben. Außerhalb des Landes Israels, wo Sukkot acht und nicht nur sieben Tage dauert, verbringen wir noch einen zusätzlichen Tag in der Sukka.

Simcha Und was ist die spirituelle Lehre, die wir an Sukkot lernen? Eines der wohl kuriosesten Gebote an Sukkot ist die Verpflichtung, während ganz Sukkot in einem dauerhaften Zustand von »Simcha« zu sein. Normalerweise übersetzt man das Wort Simcha mit »Freude« oder »Spaß«. Dies würde in diesem Zusammenhang aber nur wenig Sinn ergeben. Also, was bedeutet Simcha genau?

Wir finden im 5. Buch Mose inmitten der schlimmen Ermahnungen und Zukunftsprophezeiungen etwas Merkwürdiges. Die Ermahnungen im Wochenabschnitt Ki Tawo beginnen mit der Einleitung: »Wenn du aber auf die Stimme des Ewigen (…) nicht hörest, dann werden alle die nachfolgenden Flüche über dich kommen« (5. Buch Mose 28,15). Etwas später lesen wir einen anderen Grund für alles Schreckliche: »Weil du dem Ewigen (...) nicht in Simcha gedient hast« (5. Buch Mose 28,47). Also, was ist nun wirklich der Grund für alles Schreckliche?

Rabbiner Samson Raphael Hirsch erklärt, dass Simcha nicht Freude oder Spaß meint. Die sprachliche Wurzel bedeutet immer einen Zustand der Nähe. Die Ursache für die Leiden, die im 5. Buch Mose prophezeit werden, sind nicht, dass wir G’ttes Gebote technisch nicht einhalten. Seine Gebote sind dazu da, uns ihm näherzubringen. Simcha bedeutet also eine Nähe zu G’tt – eine enge Beziehung zu Ihm zu haben.

Sukkot ist der Feiertag, der uns diese Lehre am stärksten verdeutlicht. Wenn wir für sieben oder acht Tage in der Sukka essen, schlafen und leben, wird uns schnell bewusst, dass wir von G’tt umgeben und Ihm nah sind. Und wenn wir es schaffen, diese Denkweise auch nach Hoschana Rabba »hinüberzuretten« ins gerade angebrochene Jahr, dann gibt es keinen Grund mehr für G’tt, uns schlechte Voraussetzungen für dieses Jahr zu schaffen – denn nichts anderes bedeutet ja ein negatives Urteil.

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Fürth.

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