Laborfleisch

Die Erfindung des koscheren Cheeseburgers

Milchig-parve? Cheeseburger aus dem Labor Foto: Thinkstock

Laborfleisch

Die Erfindung des koscheren Cheeseburgers

Künstlich gezüchtetes Rinderhack kann als parve gelten. Es darf mit Käse gegessen werden, sagen Experten

von Talia Lavin  12.08.2013 20:57 Uhr

Als vor Kurzem der erste im Labor produzierte Hamburger vorgestellt und einem Geschmackstest unterzogen wurde, war das ein vielversprechendes Ereignis für Umweltaktivisten, Tierliebhaber und Vegetarier. Aber auch eine andere Gruppe hatte Grund, begeistert zu sein: Verbraucher, die Wert auf koscheres Essen legen!

Denn der Labor-Hamburger wurde aus Muskelstammzellen einer Rinderschulter hergestellt, die in Petrischalen vermehrt wurden. Daraus wuchsen winzige Muskel- stränge. Etwa 20.000 solcher Stränge waren nötig, um die gut 140 Gramm schwere Frikadelle für den Burger zu erzeugen. Finanziert wurde das Projekt durch den Google-Gründer Sergy Brin, vorgestellt von Mark Post von der Universität Maastricht in den Niederlanden. Tierschützer feierten das Event als ersten Schritt zu human hergestellten Fleischprodukten. Und eine Studie der Universität Amsterdam zeigt, dass Laborfleisch die ökologischen Folgen der Fleischproduktion erheblich abmildern kann.

Für Juden, die sich an die Kaschrutregeln halten, könnten die »Kulturburger« etwas ganz anderes bewirken – nämlich die Tür zu völlig neuen Essgewohnheiten aufstoßen: Wir sprechen möglicherweise von der Geburtsstunde des koscheren Cheeseburgers!

Parve Denn laut Menachem Genack, dem Geschäftsführer der Koscher-Abteilung der Orthodoxen Union in den USA, könnte das im Labor erzeugte Fleisch als parve gelten, also weder als milchig noch als fleischig. (Anmerkung der Redaktion: Nach den jüdischen Speisegesetzen ist ein koscheres Produkt, in dem ein kleiner, nicht koscherer Rest enthalten ist, immer noch koscher, wenn es sich bei der Zutat um weniger als den 60. Teil des Gesamtproduktes handelt –»batel be-schischim«. Diese Regel könnte im Falle eines Cheeseburgers auf die wenigen Stammzellen des Rindfleisches angewendet werden, die im Labor massiv vermehrt wurden.) Unter Beachtung der traditionellen Speiseregeln könnte der Labor-Burger also gemeinsam mit Milchprodukten verzehrt werden.

Allerdings müssen in Zukunft mehrere Schlüsselbedingungen erfüllt werden, um koscheres Parve-Rindfleisch zu erzeugen. Die Stammzellen müssen von einem Tier stammen, das auf koschere Weise geschlachtet wurde – sie dürfen keinem lebenden Tier entnommen werden, betont Menachem Genack. Das Prinzip, das dieser Theorie zugrunde liegt, wird in der Halacha auch auf den Status von Gelatine angewandt: Obwohl sie von einem Tier stammt, gilt sie nicht als fleischig (die Orthodoxe Union zertifiziert manche Arten von Rindergelatine als parve).

Genack zieht noch eine weitere Quelle heran: Ein Gelehrter aus dem Wilna des 19. Jahrhunderts, der als Heshek Shlomo bekannt ist, schrieb, dass das Fleisch eines Tieres, das in einer magischen Beschwörung besungen wird, als parve betrachtet werden kann. Die gleiche Logik kann natürlich auch auf moderne »genetische Zauberei« angewendet werden.

Trotzdem warten die Koscher-Chefs derzeit noch, bevor sie die Parve-Backbleche anheizen. Der Labor-Burger kostet nämlich 250.000 Euro, und seine Herstellung dauerte zwei Jahre. Bis er marktreif ist, wird es noch lange dauern – ob koscher oder treife. Selbst bei einer Massenproduktion könnte Labor-Hackfleisch immer noch 25 Euro pro Pfund kosten, sagen Experten.

Existenz »Ich glaube erst daran, wenn ich ihn sehe«, sagt Jeff Nathan, oberster Küchenchef bei »Abigael›s« am Broadway, einem koscheren Restaurant in Manhattan. »Bis ich diesen Burger nicht in der Hand halte und ihn berühren, riechen und probieren kann, glaube ich nicht, dass er existiert.«

Auch wenn selbst gezüchtetes Rind einmal Allgemeingut werden sollte, könnte es sein, dass die Konsumenten gar nicht interessiert sind, mutmaßt Elie Rosenfeld, Sprecher von »Empire Kosher«, dem größten koscheren Geflügelhersteller in den USA: »Seit Jahren gibt es Parve-Burger aus Tofu und Gemüse auf dem Markt«, hat Rosenfeld beobachtet. »Aber die Verbraucher wollen lieber etwas Handfestes, ein ganzheitliches und echtes Produkt.«

Dennoch setzt Nathan prinzipiell Hoffnung in das Potenzial von Parve-Fleisch. »Ich bin für Experimente und Wissenschaft sehr offen«, sagt er. »Mal sehen, wie es uns in Zukunft schmecken wird!«

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