Talmudisches

Die drei Eide

Verschiedene Autoren weisen darauf hin, dass die drei Eide nicht isoliert betrachtet werden dürfen; denn sie sind innig miteinander verknüpft. Foto: Getty Images/iStockphoto

Talmudisches

Die drei Eide

Was es mit den Schalosch Schewuot auf sich hat

von Yizhak Ahren  26.11.2020 15:49 Uhr

Im Traktat Ketuwot (111a) ist von drei Eiden die Rede − hebräisch: Schalosch Schewuot. Sie werden aus drei Versen im Hohelied Salomos abgeleitet, das unsere Weisen als Allegorie für die Liebesbeziehung zwischen Gott und Israel betrachten.

Ein Vers wird im folgenden Kapitel wiederholt: »Ich beschwöre euch, o Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder den Hirschkühen des Feldes, dass ihr die Liebe nicht weckt noch aufregt, bis es ihr gefällt« (2,7 und 3,5). Und der dritte Vers lautet: »Ich beschwöre euch, o Töchter Jerusalems, was weckt ihr die Liebe, was regt ihr sie auf, bevor es ihr gefällt« (8,4).

ISRAEL Was ist der Inhalt der Schalosch Schewuot? Der Talmud schreibt über den ersten Eid: »dass Israel nicht wie eine Mauer hinaufziehe«. Nach Raschis (1040−1105) Erklärung ist damit gemeint: Man solle aus dem Exil nicht gemeinsam mit Gewalt ins Land zurückkehren. Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808−1888) gab folgende Interpretation: »Dass Israels Söhne nie die Wiederherstellung ihres Staates durch sich selbst versuchen sollten.«

Was besagt der zweite Eid? »Dass der Heilige, gepriesen sei Er, Israel beschwor, sich nicht gegen die Völker der Welt aufzulehnen.« Und was ist der Gegenstand des dritten Eides? »Dass der Heilige, gepriesen sei Er, die Völker der Welt beschwor, Israel nicht übermäßig zu unterdrücken.«

Zwei der Schalosch Schewuot richten sich also an das Volk Israel im Exil.
Der dritte Eid betrifft diejenigen Staaten, die Juden aufgenommen haben.

ANweisung In der Frage, ob die Lehre von den Schalosch Schewuot eine halachische Anweisung war, die heute noch gültig ist, gehen die Meinungen der Toragelehrten auseinander. Nach Ansicht des Satmarer Rebben, Rabbiner Joel Teitelbaum (1886−1979), sind die Schalosch Schewuot verbindliche Vorschriften, auf die er sich in seinem ideologischen Kampf gegen den politischen Zionismus berief.

Der streitbare chassidische Meister hatte nichts dagegen, dass einzelne Juden ins Heilige Land einwandern, wohl aber hielt er die Errichtung eines jüdischen Staates vor der Ankunft des Messias für eine schwere und folgenreiche Sünde.

Rabbiner Menachem M. Kasher (1895− 1983), Rabbiner Schlomo Aviner (geboren 1943), Rabbiner Ouri Cherki (geboren 1959) und andere Autoren haben die antizionistischen Ausführungen von Rabbiner Teitelbaum scharf kritisiert. Sie bestreiten kategorisch, dass die Schalosch Schewuot als verbindliche Halacha zu sehen sind. Man solle sie vielmehr als lehrreiche und warnende Worte der Aggada verstehen, die uns die Wirklichkeit des Exils verdeutlichen.

sichtweise Als Beweis für diese Sichtweise haben einige Toralehrer darauf hingewiesen, dass Maimonides, der Rambam (1138−1204), in seinem Kodex Mischne Tora die Schalosch Schewuot unerwähnt lässt. Auch im Schulchan Aruch von Rabbiner Joseph Karo (1488−1575) findet man die drei Eide nicht.

Rabbiner Samson Raphael Hirsch weist jedoch in seinem deutschsprachigen Mizwot-Buch Chorew (Altona 1837) auf die drei Eide hin (Paragraf 608). Diese »antizionistische« Passage aus der Zeit vor dem politischen Zionismus macht klar, dass Hirsch nicht immer in den Spuren von Rambam und Rabbiner Joseph Karo wandelte.

Rabbiner Hirschs Enkel Isaac Breuer (1883−1946) korrigierte die Position seines Großvaters, als er unter Berücksichtigung der neueren historischen Entwicklung Hirschs Losung »Tora-im-Derech-Eretz« in »Tora-im-Derech-Eretz-Israel« änderte.

EXIL Gegen die Gültigkeit der Schalosch Schewuot in unserer Zeit haben verschiedene Autoren das juristische Argument vorgebracht, dass wir die drei Eide nicht isoliert betrachten dürfen; denn sie sind innig miteinander verknüpft. Wenn die Völker der Welt ihren Teil des »Exil-Vertrags« nicht halten − man denke beispielsweise an die Schrecken der Schoa −, dann kann man von der anderen Partei nicht verlangen, dass sie weiterhin ihren Teil des Vertrags erfüllen soll.

Bekanntlich gibt es Antizionisten der verschiedensten Art. Diejenigen, die sich auf die Talmudstelle in Ketuwot (111a) berufen, sollten jedenfalls wissen, dass sie eine Position vertreten, die von angesehenen Autoritäten als falsch bezeichnet worden ist.

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  25.11.2025

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025