Jom Jeruschalajim

»Der Tempelberg ist unser«

6. Juni 1967: israelische Soldaten an der Westmauer Foto: ullstein / AP

Jom Jeruschalajim

»Der Tempelberg ist unser«

Warum die israelische Metropole die Hauptstadt aller Juden ist

von Rabbiner Avichai Apel  14.05.2012 08:21 Uhr

Eine 2.000 Jahre alte Prophezeiung ist vor 45 Jahren mit dem Ende des Sechstagekrieges in Erfüllung gegangen. Damit wurde ein Kreis geschlossen, der für das Volk Israel im babylonischen Exil endete. Der Verlust der Heimat und das Leben in der Fremde bedeuteten eine neue Etappe: Die Juden lebten nicht mehr in Eretz Israel, sondern auf unterschiedlichen Kontinenten und in Ländern über die ganze Welt verstreut.

Dieser Zustand endete mit der Rückkehr im Jahre 1967 (5727) nach Jerusalem. 2.000 Jahre lang lebten die Juden, wie den Propheten zu entnehmen ist, an den Flüssen Babyloniens, der Themse und des Rheins, und die Israeliten weinten in guten und schlechten Tagen in Erinnerung an die Stadt, die sie verlassen mussten, um ins Exil zu gehen – Jerusalem (Psalm 137).

Große Aufregung erfasste die Juden auf der ganzen Welt, als die Einnahme Jerusalems bekannt gegeben wurde und der Chef der Fallschirmjägereinheit, Generalleutnant Mordechai »Mota« Gur, erklärte: »Der Tempelberg ist in unseren Händen.« Diese Meldung veränderte die Stimmung, die während des Krieges in Israel herrschte. Eigentlich warteten Juden in aller Welt seit 1.000 Jahren auf diesen Augenblick, dann war Westjerusalem plötzlich wieder mit Ostjerusalem vereint, und die Juden hatten wieder Zugang zur Kotel, einem Überbleibsel des Tempels, um wieder vor der Klagemauer beten zu können.

Bedeutung Jerusalem, die Hauptstadt des Staates Israel, besitzt große Bedeutung für alle Juden der Welt. Worin liegt ihr Geheimnis? Und woher stammt der Name Jerusalem? Der Midrasch nennt zwei Menschen, die Jerusalem ihren Namen gegeben haben. Der Erste ist Abraham, der den Ort »Ire’e« nennt (1. Buch Moses 22,14: »Und Abraham nannte die Stätte ›Der Herr sieht‹. Daher sagt man noch heute: Auf dem Berge, da der Herr sieht.«).

Der zweite Namensgeber ist Melchisedek, König von Salem, der sie »Salem« nannte (1. Buch Moses 14,18). G’tt kombinierte die beiden Namen und machte daraus: Jerusalem (Bereschit Raba 56,16). Die Besonderheit Jerusalems liegt in seiner Kraft, Dinge zu vereinigen.

In der Amtszeit König Davids machte dieser Jerusalem zum Königssitz. David, der der zweite König in der Geschichte des jüdischen Volks war, entschied sich für Jerusalem als Residenzstadt, von der aus er regierte. In dieser Stadt errichtete sein Sohn Salomon später den Tempel. »Die Zeit aber, die David König gewesen ist über Israel, ist 40 Jahre: Sieben Jahre war er König zu Hebron und 33 Jahre zu Jerusalem« (1. Buch der Könige 2). Die meiste Zeit seiner Regentschaft verbrachte er in Jerusalem. Das tat er, um G’ttes Willen zu erfüllen und den Tempel in dieser Herrschermetropole aufzubauen.

Zentrum Seit Beginn seines Reichs verließ König David nie Jerusalem, und selbst nach Beginn des babylonischen Exils blieb das Zentrum der jüdischen Regierung in Jerusalem. Das drücken wir auch in unserem Gebet aus. Täglich wünschen wir die Rückkehr von König David nach Jerusalem, und wir beten: »Habe Gnade (G’tt) und kehre nach Jerusalem, Deiner Stadt, zurück. Mögest Du hier wohnen, wie Du es versprochen hast. Baue es jetzt, in unseren Tagen, wieder auf und für alle Zeit. Wiedererrichte die Majestät Davids, Deines Dieners. Gepriesen seiest Du, Ewiger, der Du Jerusalem wiedererrichtet.«

Die Platzierung des Tempels und des jüdischen Gerichtssystems in Jerusalem – repräsentiert durch den Hohen Rat, den Sanhedrin – verleiht der Stadt eine besondere Rolle. Im Tempel wurde ein spezieller Ort für ein Gerichtssystem geschaffen. Grund dafür war nicht die verkehrstechnische Erreichbarkeit Jerusalems, sondern die Tatsache, dass Jerusalem als Sitz des Tempels eine besondere Bedeutung besaß. Es war ein Treffpunkt zwischen G’tt und der Welt, ein Ort, um G’ttes Wort auf die Welt zu bringen.

Jesaja prophezeit, dass in Zukunft nicht nur die Tora aus Jerusalem kommen wird, sondern auch Frieden. Der Schriftprophet schreibt: »Dies ist’s, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem: Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des G’ttes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem.«

»Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.« (Jesaja, Kapitel 2)

Gebetsstadt Einen weiteren Aspekt Jerusalems gibt König Salomon in seinem Gebet während der Einweihung des Tempels wieder. König Salomon richtet alle Gebete der Welt auf Jerusalem. Und er bittet G’tt, dass jeder, der an G’tt durch Jerusalem betet, in seinem Gebet erhört wird. König Salomon sieht keinen Unterschied zwischen dem Gebet von Juden und Nichtjuden. Jeder, der sich an G’tt wendet, werde Gehör finden. Im Buch der Könige ist es im Kapitel 8 in den einzelnen Versen nachzulesen.

Vers 28: »Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, Herr, mein G’tt, damit du hörest das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.« Vers 29: »Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag, über der Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein. Du wollest hören das Gebet, das dein Knecht an dieser Stätte betet.« Vers 41: »Auch wenn ein Fremder, der nicht von deinem Volk Israel ist, aus fernem Lande kommt um deines Namens willen.« Vers 42: »Denn sie werden hören von deinem großen Namen und von deiner mächtigen Hand und von deinem ausgereckten Arm, wenn er kommt, um zu diesem Hause hin zu beten.« Vers 43: »So wollest du hören im Himmel, an dem Ort, wo du wohnst, und alles tun, worum der Fremde dich anruft, auf dass alle Völker auf Erden deinen Namen erkennen, damit auch sie dich fürchten wie dein Volk Israel, und dass sie innewerden, dass dein Name über diesem Hause genannt ist, das ich gebaut habe.«

Dieses Gebet wird teilweise bereits gegenwärtig verwirklicht, da Menschen aus der ganzen Welt, Präsidenten, Könige, Prominente und Religionsführer kommen, um an der Klagemauer zu beten. Die Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 (5708) war ein erster Schritt. Aber noch 29 Jahre mussten wir warten, bis die Stadt befreit wurde und das Volk Israel in die Altstadt zurückkehren konnte. Wir hoffen, nach Jerusalem zurückzukehren und seine Schönheit als das geistige Zentrum des Volkes Israel wiederzuerleben.

»Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorren meine Rechte. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich nicht lasse, Jerusalem meine höchste Freude zu sein.« Nächstes Jahr in Jerusalem!

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.

Berlin

»Ein Stück Heimat«

Was blieb übrig nach den NS-Verbrechen? Und was hatte es lange vorher gegeben? Das Leo-Baeck-Institut sammelt seit 70 Jahren Briefe, Tagebücher und Co. Und ist mit seinen Themen Einwanderung und Flucht brandaktuell

von Leticia Witte  19.05.2025

Emor

Im Schadensfall

Wie die Tora lehrt, Menschlichkeit und Gerechtigkeit miteinander zu verbinden

von Jacob Rürup  16.05.2025

Talmudisches

Erinnern und Gedenken

Was unsere Weisen über die Dinge sagen, die wir im Gedächtnis bewahren sollen

von Rabbiner Netanel Olhoeft  16.05.2025

Berlin

»So monströs die Verbrechen der Nazis, so gigantisch dein Wille, zu leben«

Leeor Engländer verabschiedet sich in einer berührenden Trauerrede von Margot Friedländer. Wir dokumentieren sie im Wortlaut

von Leeor Engländer  15.05.2025

Schulchan Aruch

Mit Josef Karo am gedeckten Tisch

Ein mittelalterlicher Rabbiner fasste einst die jüdischen Gesetze so pointiert zusammen, dass viele Juden sich bis heute an seinem Kodex orientieren

von Vyacheslav Dobrovych  15.05.2025

Chidon Hatanach

»Mein Lieblingsbuch ist Kohelet«

Wie es zwei jüdische Jugendliche aus Deutschland zum internationalen Bibelwettbewerb nach Israel geschafft haben

von Mascha Malburg  15.05.2025

Vatikan

Leo XIV. schreibt an Oberrabbiner in Rom

Eine seiner ersten persönlichen Botschaften hat Papst Leo XIV. an die Jüdische Gemeinde Rom geschickt. Und eine gute und enge Zusammenarbeit versprochen

von Anna Mertens  13.05.2025

Acharej Mot – Kedoschim

Nur in Einheit

Die Tora lehrt, wie wir als Gemeinschaft zusammenleben sollen

von Rabbiner Raphael Evers  09.05.2025

Talmudisches

Von reifen Feigen

Wie es kam, dass Rabbi Josi aus Jokrat kein Mitleid mit seinen Kindern hatte

von Rabbiner Avraham Radbil  09.05.2025