Leidenschaft

Der Eifersüchtige

Der Gott der Bibel ist ein leidenschaftlicher Gott – er duldet keine anderen Götter neben sich. Foto: Reuters

Wir Menschen sollen Gott nacheifern, so lehrt uns die jüdische Tradition. Wir sind als Abbilder Gottes geschaffen – und um unser Handeln zu inspirieren, erwähnen wir viele der typischen Taten Gottes im täglichen Gebet. Gepriesen sei Gott, der Müde stärkt, Hungrige ernährt, Gebeugte aufrichtet ..., damit auch wir inspiriert werden, Ähnliches zu tun! »Wie Gott ›barmherzig und gnädig‹ genannt wird, so sei auch du barmherzig und gnädig! Wie Gott ›gerecht‹ genannt wird, so sei auch du gerecht. Wie Gott ›treu‹ genannt wird, so sei auch du treu«, heißt es in Sifre Ekev.

Rache Nun ist Gott aber auch »ein eifersüchtiger Gott«, der die Verbrechen der Vorfahren rächen wird an den Kindern und Enkeln (2. Buch Mose 20,5). Ist Gott auch in puncto Eifersucht unser Vorbild? Dürfen wir uns an denen rächen, die Israel Böses antun? Oder gilt hier »Quod licet Jovi, non licet bovi«? (»Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt.«) Warnt nicht schon das biblische Buch der Sprüche Salomos: »Ein gelassenes Herz ist des Leibes Leben; aber Eifersucht ist Eiter in den Gebeinen« (Mischle 14,30)?

Heutzutage gilt es geradezu als schick, Gott – und jegliche Religiosität im Ganzen – erst einmal anzugreifen, bevor man zu verstehen versucht. Aus sicherer Distanz verurteilen und kritisieren Richard Dawkins, Christopher Hitchens und manchmal auch wir den biblischen Gott. Seine Existenz wird verneint, anstatt zu überlegen, wie man das Wort »Gott« im 21. Jahrhundert mit Inhalt füllen könnte.

Und auch, wenn man Gottes Existenz trotz allem akzeptiert – manchmal in kindlich metaphysischen Vorstellungen –, dann wird der biblische Gott oft scharf kritisiert, nicht zuletzt wegen seiner Eifersucht, die sich oft zu paaren scheint mit Grausamkeit und Intoleranz.

Zehnwort Die Vorstellung eines eifersüchtigen Gottes findet sich prägnant in den fälschlicherweise so genannten »Zehn Geboten« (Aseret Hadibrot, »Zehnwort«) und lautet in der Übersetzung Moses Mendelssohns: »Ich, der Ewige, dein Gott, bin ein eifervoller Gott, der das Verbrechen der Väter ahndet an Kindern, Enkeln und Urenkeln ...« (2. Buch Mose 20,5).

Vor allem das fünfte Buch der Tora unterstreicht wiederholt Gottes Eifersucht, um Israel zu lehren, sich auf keine Beziehungen mit Kanaans Ureinwohnern einzulassen. Sorge bereiten hier die kanaanäischen Götter, nicht die Menschen an sich. Später werden die Propheten Gottes Eifersucht immer wieder betonen. Doch was meint der Tanach eigentlich damit?

Wie man sich denken kann, beschäftigte diese Frage die Kommentatoren aller Zeiten. Raschi (1040–1105) erklärte, der Begriff »eifersüchtig« beziehe sich stets auf Gottes Leidenschaft, zu strafen.

Abraham Ibn Esra (1089–1167) versuchte das hebräische »el qana« (mit Alef) mit dem Wort für »schaffen/Besitz erwerben«, also »qanah« mit Heh, zu erklären: Gott sei ein eifersüchtiger Gott, denn er erschuf die Menschen, damit sie ihm dienen sollten. Wenn der Mensch aber nun Gott verlasse und Gottes Kreaturen verehre, tue er das Gegenteil von Gottes Willen. Im Gegenzug würde Gott daher Rache nehmen. Im Übrigen rede die Tora hier in der Sprache der Menschen, damit wir uns überhaupt vorstellen können, was gemeint ist.

Nachmanides (1194–1270) schließlich beobachtete, dass der Ausdruck »eifersüchtiger Gott« sich nur in Verbindung mit Götzendienst findet – eine wichtige Beobachtung. Die Wendung weise darauf hin, dass das Volk Israel Gottes Kostbarkeit und Eigentum, »am segula«, das auserwählte Volk, sei. Wenn nun das Volk, das ihm dient, sich anderen Göttern zuwendet, würde Gott eifersüchtig werden wie ein Mann es würde, wenn seine Frau mit jemandem anderen fortginge oder wenn sein Knecht einem fremden Herrn diente.

Verlustangst Allgemein gesagt bezeichnet die Wurzel des hebräischen Wortes für »Eifersucht«, q-n-a (qof-nun-alef), das heftige Gefühl, das durch die Furcht, etwas zu verlieren, hervorgerufen wird. Die Bibel versucht mit dieser Wendung, Leidenschaft zu beschreiben. Wer eifersüchtig ist, der liebt. Wer Gefühle der Rache empfindet, der wurde emotional tief verletzt.

Der Gott der Bibel ist kein Stoiker, er ist emotional. Und Gefühle sind in der biblischen Tradition – anders als bei den klassischen griechischen Philosophen – nicht negativ besetzt. Negativ ist allenfalls, wofür man die Gefühle empfindet. Gottes Leidenschaft gilt dem Leben und allem, was dem Leben auf Dauer dient. Andere »Götter« jedoch sind – wenn auch scheinbar hochattraktiv – nur kurzfristige Modeerscheinungen zu naheliegenden Zwecken.

Gottes Eifersucht begann mit dem Propheten Hosea (7. Jahrhundert). Hosea verglich die Beziehung zwischen Gott und Israel mit einer Ehe. Da Israel in jener Zeit – wie damals üblich – verschiedene Götter verehrte, jeweils mit verschiedenen Zuständigkeiten, versuchte der Prophet Hosea, seinen Zeitgenossen die glühende Eifersucht des Gottes von König David zu beschreiben.

Gott will sein geliebtes Israel nicht mit allen möglichen anderen Gottheiten teilen. Gott allein ist für alles zuständig, sowohl für Frieden und Liebe als auch für Krieg, sowohl für das Wetter und die Erhaltung des Lebens als auch für das Sterben. Alles Leben geht auf ein und dieselbe Quelle zurück, so lehrten Hosea und nach ihm etliche andere der biblischen Propheten, und auch die Tora. Im Folgenden wird Gottes Eifer für Israel und seine Eifersucht auf andere Gottheiten das Begleitmotiv des Monotheismus.

ELUL Der jüdische Monat Elul, der uns auf die Hohen Feiertage vorbereitet, wird manchmal als Akronym eines Verses aus dem Hohelied Salomos (Schir haSchirim) gedeutet: »Ani ledodi wadodi li« (»Ich gehöre meinem Geliebten, und er ist mein«). Gemeint ist hier die Liebesbeziehung zwischen Gott und dem Volk Israel. Um diese Beziehung geht es, wenn von Gottes Eifersucht die Rede ist. Die Eifersucht bringt die Innigkeit der Beziehung zum Ausdruck, aber auch die Sensibilität, die durch sie entsteht, wie innerhalb der Beziehung zwischen Liebenden.

Hat Religiosität nicht generell sehr viel Ähnlichkeit mit Liebe? Bereitwillig opfern wir Zeit, Geld oder Dinge. Wir gewinnen Selbstvertrauen und Mut und lernen Neues über uns kennen – sowohl, wenn wir verliebt, als auch, wenn wir religiös sind. Wir wachsen über uns hinaus, strahlen Zuversicht und Lebensfreude aus, fühlen uns angenommen und stark. Liebe zu Gott drückt sich für uns Juden in Liebe zum Judentum aus. Die jüdische Religion ist Beziehung. Sie wird mit anderen gelebt, in der Gemeinschaft eines Volkes.

Doch in einer Zeit, in der Individualismus Konjunktur hat, wirkt es manchmal absurd, die Ziele einer Gemeinschaft mit Leidenschaft zu verfolgen. Religion hat es daher heutzutage schwer. Doch auch heute sollte uns Gottes Leidenschaft für Israel inspirieren, im Gegenzug Leidenschaft für Gott und Leidenschaft für das Leben zu entwickeln.

Spott In der Antike fiel die Vorstellung von Gottes Eifersucht zunächst dem griechischen Denken des Abendlandes zum Opfer und wurde negativ gedeutet. In der Moderne muss sie sich gegen einen selbstbewussten Atheismus verteidigen und gegen den Spott, mit der jede Religiosität oft ins Lächerliche gezogen wird.

Doch Gottes Eifersucht ist die biblische Weise, seine Liebe zu Israel zu beschreiben. Sie soll tatsächlich unser Vorbild sein. Auch wir sollen für Gott, die Quelle des Lebens, mit Leidenschaft Partei ergreifen. Unser Grundsatztext, das Schema, sagt, wir sollen Gott lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen.

Die Eifersucht, von der die Bibel in Bezug auf Gott spricht, ist nicht egoistisch motiviert und nicht materialistisch begründet. Es geht nicht darum, mehr haben zu wollen oder seinen Besitz bedroht zu sehen, es geht nicht um Neid. Es geht um das Gefühl der Leidenschaft und Liebe, um die Angst, seinen Partner eventuell verlieren zu können, um die Bereitschaft, alles daran zu setzen, dass eine Beziehung nicht zerstört wird.

Passion Vielleicht sollten wir daher das hebräische q-n-a heutzutage nicht mehr mit »Eifersucht« übersetzen, sondern mit »Leidenschaft«, wie es zum Beispiel die amerikanische »JPS translation« von 1985 tat (»el qana’« wurde mit »impassionate God« wiedergegeben).

Der Gott der Bibel ist ein leidenschaftlicher Gott, der mit Israel leidet, der alles daran setzt, Israel nicht zu verlieren, der Partei ergreifen wird, wenn es bedroht ist. Und so soll auch unsere Religiosität leidenschaftlich und ganzheitlich sein, eine Leidenschaft für das Leben!

Die Autorin ist Dozentin für Liturgie am Leo Baeck College in London.

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  15.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025