Bo

Den Esel auslösen

Der Tanach vergleicht die damaligen Ägypter mit dem Esel (Jecheskel 23,20). Foto: Getty Images/iStockphoto

Es geht in unserem Wochenabschnitt um die erstgeborenen Esel, die in biblischen Zeiten als heilig galten. Es soll hier kein Missverständnis entstehen. Die Esel werden dadurch nicht koscher und wurden auch nicht vergöttert. So wie wir die erstgeborenen Kinder und reinen Tiere beim Kohen, dem Priester, auslösen, also freikaufen und ihm das geborene Heilige in Form von Geld übertragen, war es in biblischen Zeiten eine Mizwa, den erstgeborenen Esel durch ein Schaf auszulösen und dem Kohen zu geben.

Falls dies nicht getan wurde, trug der Esel das Heilige weiter in sich, und man durfte ihn nicht als Lasttier benutzen.

MIZWA Es ist nicht leicht, dies zu verstehen. Auch Rabbi Chanina tat sich schwer damit. Er wunderte sich, warum gerade die Erstgeborenen der Esel und nicht erstgeborene Pferde oder Kamele ausgelöst, also freigekauft, werden sollen. Weil Chanina es nicht verstand, fragte er Rabbi Elieser und bat ihn um eine Erklärung für diese Mizwa.

Rabbi Elieser antwortete knapp, dies sei ein Befehl G’ttes – was nichts anderes bedeutet, als dass man hier nicht nach Erklärungen zu suchen habe. So hat es der Ewige angeordnet, und dem folgen wir.

Doch fügte Rabbi Elieser seiner Antwort noch eine Erklärung hinzu: Da die Esel beim Auszug aus Ägypten das Gold und das Geld für die Juden trugen und dadurch dem Volk geholfen haben, werden sie unter allen unreinen Tieren bevorzugt (Bechorot 5b).

Werden Tiere für ihre Taten belohnt? Falls ja, bedeutet es, dass G’tt ihnen eine Art Wahlfreiheit gibt, sie persönlich beobachtet und sie nicht nur nach Regeln leben lässt, die Er für die Natur verordnet hat.

Awraham Ibn Esra (um 1090–1167) vertritt diese Meinung. Die Esel werden von G’tt für ihre großzügige Hilfe belohnt. Maimonides, der Rambam (1138–1204), und Nachmanides, der Ramban (1194–1270), sehen es jedoch anders.

Der Esel ist kein auserwähltes Tier. Oft scheint gerade der Esel ein sehr einfaches Tier zu sein: weder besonders klug noch besonders schön. Das hebräische Wort »Chamor«, Esel, besteht aus denselben Buchstaben wie das Wort »Chomer«, das im Deutschen so viel wie »Grundmaterial« bedeutet und das rein Physische repräsentiert. Es ist das Gegenteil von »Zura« (Form), was den Geist repräsentiert, der dem Material Form gibt.

Der Tanach vergleicht die damaligen Ägypter mit dem Esel (Jecheskel 23,20), das Volk Israel aber mit dem Schaf (Jirmijahu 50,17). Deshalb wird der erstgeborene Esel mit einem Schaf ausgelöst.

gewohnheiten Aus der Geschichte des Auszugs aus Ägypten folgt die Notwendigkeit des Menschen, sich von seinen negativen Gewohnheiten zu befreien und sein Leben auf einen neuen Weg zu bringen. Solange er nicht nach dem Sinn, der Bedeutung in seinem Leben sucht, solange er lebt, nur um zu essen und anderen zu dienen, erfüllt er seine Bestimmung als Mensch noch nicht. Der Mensch wurde geschaffen, um gute und wichtige Ziele zu erreichen.

Die Ägypter haben andere Ziele als wir. Doch kann auch ein Mensch, der noch nicht nach Zielen gesucht hat, sich neue Ziele setzen und seine Situation verändern. Der eine Weg führt zum Leben, der andere nicht.

Viermal weist uns die Tora darauf hin, dass unsere Kinder fragen, warum wir Pessach feiern. Jedes Mal wird das Interesse der Kinder auf etwas anderes gelenkt: Mal sind es die Mazzot, nach deren Hintergrund sie fragen, mal erscheint ihnen die gesamte Vorbereitung als übertrieben.
Diesmal geht es um die Frage, warum hier ein Esel im Mittelpunkt steht.

Wir erklären den Kindern, wie schlimm es für uns damals war, unter der Herrschaft von Menschen zu leben, die keine anderen Ziele hatten als zu essen und bedient zu werden, die ihren Lebensmittelpunkt im Genuss sahen. Von all dem wollen wir uns trennen. Wir tragen es täglich in den Tefillin, um uns dies klar vor Augen zu halten.

Kraft Der Erstgeborene eines Menschen sowie der von einem reinen oder unreinen Tier, alle drei, die durch die erste Kraft gepflanzt worden sind, sollen durch den Kohen freigekauft werden.

Das Leben eines Menschen bekommt seine Bedeutung durch die Verbindung mit G’tt. Und wenn unsere Ernährung tierisch ist, gewinnt auch sie an Bedeutung, wenn wir uns dessen bewusst sind, dass dem Erstgeborenen etwas Heiliges anhaftet.

Der Esel symbolisiert unseren Besitz. Dieser bekommt seine Bedeutung erst, wenn wir ihn mit dem Heiligen verbinden, das heißt, wenn wir den Zweck unseres Besitzes mit den richtigen Zielen in unserem Leben verbinden (Rabbiner Samson Raphael Hirsch, 1808–1888).

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).


inhalt
Der Wochenabschnitt Bo schildert die letzten Plagen, mit denen G’tt die Ägypter heimsucht: Das sind zunächst Heuschrecken und Dunkelheit, dann kündigen Mosche und Aharon die Tötung aller ägyptischen Erstgeborenen an. Doch das Herz des Pharaos bleibt weiter hart. Die Tora schildert die Vorbereitungen für das Pessachfest und beschreibt dann die letzte Plage: Alle Erstgeborenen Ägyptens sterben, doch die Kinder Israels bleiben verschont. Nun endlich lässt der Pharao die Israeliten ziehen. Zum Abschluss schildert der Wochenabschnitt erneut die Vorschriften für Pessach und die Pflicht zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten.
2. Buch Mose 10,1 – 13,16

Wajischlach

Wahre Brüder, wahre Feinde?

Die Begegnung zwischen Jakow und Esaw war harmonisch und belastet zugleich

von Yonatan Amrani  13.12.2024

Talmudisches

Licht

Was unsere Weisen über Sonne, Mond und die Tora lehren

von Chajm Guski  13.12.2024

Hildesheimer Vortrag

Das Beste im Menschen sehen

Der Direktor der Yeshiva University, Rabbiner Ari Berman, zeigt einen Ausweg aus dem Frontendenken unserer Zeit

von Mascha Malburg  13.12.2024

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Wajeze

»Hüte dich, darüber zu sprechen«

Die Tora lehrt, dass man ein Gericht anerkennen muss und nach dem Urteil nicht diskutieren sollte

von Chajm Guski  06.12.2024

Talmudisches

Die Tora als Elixier

Birgt die Tora Fallen, damit sich erweisen kann, wer zur wahren Interpretation würdig ist?

von Vyacheslav Dobrovych  06.12.2024

Hildesheimer Vortrag 2024

Für gemeinsame Werte einstehen

Der Präsident der Yeshiva University, Ari Berman, betonte die gemeinsamen Werte der jüdischen und nichtjüdischen Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  05.12.2024