Talmud

Das Geld der Waisen

»Wo hast du das Geld der Waisen versteckt?« Foto: Getty Images/iStockphoto

Talmud

Das Geld der Waisen

Wie Rabbi Abbas Sohn von einem Versteck träumte

von Rabbiner Avraham Radbil  25.06.2021 12:40 Uhr

Im Traktat Brachot 18b diskutiert der Talmud darüber, ob die Toten mitbekommen, was in unserer Welt passiert, und ob sie die Zukunft der Menschen vorhersehen können.

Der Talmud erzählt von Rabbi Abba, bei dem viele Menschen das Geld der Waisen zur sicheren Aufbewahrung hinterlegten, denn er war sehr verantwortungsvoll und glaubwürdig. Als er plötzlich starb, war sein Sohn Schmuel nicht bei ihm und erfuhr also nicht, wo sich das Geld befand – sowohl das eigene als auch das für die Waisen hinterlegte.

Versteck Da Schmuel das Geld nach dem Tod seines Vaters nicht zurückgab, weil er das Versteck nicht kannte, wurde er von anderen im Ort »Der Sohn, der das Geld der Waisen verzehrt« genannt.

Eines Nachts träumte er, wie er auf den Friedhof ging zum Grab seines Vaters und zu den Toten rief: »Ich will Abba sprechen!« Die Toten erwiderten: »Hier gibt es viele, die Abba heißen.« Da sagte Schmuel: »Ich will Abba bar Abba sprechen.« Sie sagten zu ihm: »Es gibt hier auch viele Menschen namens Abba bar Abba.« Er rief: »Ich will Abba bar Abba, den Vater von Schmuel, sprechen. Wo ist er?« Da antworteten sie: »Steig zu uns in die Jeschiwa schel Maala (in der Höhe) auf, dort wirst du ihn finden können.«

Als er nach oben aufgestiegen war, sah er seinen Freund Levi vor der Jeschiwa schel Maala sitzen, abseits vom Rest der Seelen der Verstorbenen. Er fragte ihn: »Warum sitzt du draußen? Warum bist du nicht in die Jeschiwa aufgestiegen?« Er antwortete: »Weil sie mir sagten, dass sie mir wie dir genauso viele Jahre, wie du nicht in die Jeschiwa von Rabbi Afes eingetreten bist und ihn dadurch beschämt und verärgert hast, keinen Eintritt in die Jeschiwa in der Höhe gewähren werden.«

Jeschiwa Inzwischen kam Rabbi Abba, und Schmuel bemerkte, dass sein Vater abwechselnd weinte und lachte. Schmuel sagte zu seinem Vater: »Warum weinst du?« Sein Vater antwortete: »Weil du bald stirbst und hierher zu uns kommen wirst.« Schmuel fuhr fort und fragte: »Warum lachst du dann?« Sein Vater antwortete: »Weil du in dieser Welt sehr wichtig und angesehen bist.« Schmuel sagte zu ihm: »Wenn ich wichtig bin, dann sollen sie meinem Freund Levi Zutritt zur Jeschiwa gewähren.« Und so gewährten sie Levi Zutritt zur Jeschiwa.

Dann fragte Schmuel seinen Vater: »Wo hast du das Geld der Waisen versteckt?« Er sagte zu ihm: »Geh und hole es aus dem Mühlenhaus, dort ist es in Säcken vergraben. Du musst aber wissen, dass das oberste und das unterste Geld, das du finden wirst, unseres ist, und das Geld in der Mitte gehört den Waisen.«

Schmuel sagte zu ihm: »Warum hast du das so gemacht?« Er antwortete: »Wenn Diebe das Geld stehlen würden, würden sie das Geld von oben, also unser Geld, stehlen, weil sie es als Erstes sehen würden. Wenn aber die Erde etwas davon verschlingen würde, dann würde sie von unserem Geld verschlingen, welches ganz unten liegt.«

Traum Da erwachte Schmuel aus seinem Traum, fand das vergrabene Geld und gab es den Waisenkindern zurück.

Also, sagt die Gemara, können wir anhand dieser Geschichte sehen, dass die Toten offenbar wissen, wie auch in diesem Fall Schmuels Vater, wann andere Menschen sterben.

Und da Schmuel nicht am darauffolgenden Tag starb, konnte der Engel Duma, der kurz vor ihrem Tod die Menschen oben ankündigt, sie nicht über seinen Tod eindeutig informiert haben.

Die Gemara antwortet: Vielleicht ist Schmuel anders, denn weil er so wichtig und angesehen war, wurde sein Ankommen in der Welt der Seelen viel früher angekündigt. Also kann die oben gebrachte Geschichte kein Beweis dafür sein, dass die Toten die Geschehnisse in unserer Welt vorhersehen können.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Balak

Stärke in Zeiten der Entscheidung

Wie eine uralte Prophezeiung Israels Wesen prägt

von Yonatan Amrani  11.07.2025

17. Tamus

Das ist erst der Anfang

Nun beginnt die jährliche Trauerzeit. Sie soll auf Größeres vorbereiten

von Rabbiner Raphael Evers  11.07.2025

Meinung

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  10.07.2025

Nachruf

Er bleibt eine Inspiration für uns alle

Der langjährige Zürcher Gemeinderabbiner Marcel Ebel ist verstorben. Eine Würdigung von seinem Nachfolger

von Rabbiner Noam Hertig  10.07.2025

Talmudisches

Eifersucht: Das bittere Wasser

Unsere Weisen und ein altes Ritual

von Chajm Guski  10.07.2025

Nahost

»Öl ins Feuer des anwachsenden Antisemitismus«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt wirft der evangelischen Kirche moralisches Versagen vor und kritisiert eine Erklärung des Weltkirchenrats, in der Israel »dämonisiert« werde

 05.07.2025

Chukat

Ein Tier, das Reinheit schafft

Wir können die Mizwa der Roten Kuh nicht verstehen – aber ihre Bedeutung erahnen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  04.07.2025

Talmudisches

Die weibliche Idee hinter König David

Was Kabbalisten über Eschet Chajil, die tüchtige Frau, lehren

von Vyacheslav Dobrovych  04.07.2025