Jerusalem

Das falsche Grab

Der französische Archäologe Raymond Weill vermutete, dass die Höhle links König David und die rechts seinem Sohn Schlomo gehörte. Foto: Igor Itkin

Jerusalem

Das falsche Grab

Das Buch der Könige gibt Auskunft darüber, wo David wirklich begraben wurde

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  03.07.2025 09:23 Uhr

Als ich vor Kurzem mit meinem siebenjährigen Sohn Jerusalem besuchte, nahmen wir uns vor, so viele antike Stätten wie möglich zu besichtigen. In einer Woche legten wir 70 Kilometer zu Fuß zurück und sahen dennoch nicht alles. Wir konzentrierten uns auf die Altstadt: Kotel, Tempelberg, Davidstadt. Eines stand jedoch nicht auf unserer Liste: das Grab Davids auf dem Berg Zion. Denn dieses Grab, das von vielen dafür gehalten und verehrt wird, hat nichts mit König David zu tun. Das Gebäude und das Grab stammen aus dem Mittelalter und basieren auf falschen Annahmen christlicher Pilger.

Das echte Grab befindet sich an einem anderen Ort. Das Buch der Könige gibt Auskunft darüber, wo König David beigesetzt wurde: »Und David legte sich zu seinen Vätern und wurde in der Stadt Davids begraben« (1. Könige 2,10). Ebenso listet das Buch 13 weitere judäische Könige auf, die dort beigesetzt wurden.

Der ursprüngliche Siedlungskern Jerusalems

Die Davidstadt bildet den ursprünglichen Siedlungskern Jerusalems. Sie liegt südöstlich der heutigen Altstadt auf einem schmalen Hügel, der nach Süden abfällt. Dieser Ort wird im Tanach als Zion bezeichnet. Als David Jerusalem aus der Hand der Jebusiter eroberte, war die Stadt ein ummauertes Dorf. Weder der Tempelberg, also der Berg Morija, noch die heutige Altstadt waren damals Teil Jerusalems; sie kamen erst im Laufe der Jahrhunderte hinzu.

»Und David legte sich zu seinen Vätern und wurde in der Stadt Davids begraben.«

Als die Juden im 6. Jahrhundert v.d.Z. aus der babylonischen Gefangenschaft zurückkehrten, begannen sie unter der Führung von Nehemia mit dem Wiederaufbau der Stadtmauer und vollendeten ihn innerhalb von 52 Tagen. Sie teilten sich in Gruppen auf, und jede Gruppe übernahm einen Abschnitt der Mauer. Der Bericht über ihre Arbeit beginnt im nordöstlichen Teil Jerusalems und verläuft gegen den Uhrzeigersinn um die gesamte Stadt. Über die Gruppe, die für den südlichen Teil der Stadt zuständig war, heißt es: »Schallun baute die Mauer am Teich Schiloach zum Königsgarten, bis zu den Stufen, die von der Stadt Davids hinabführen« (Nehemia 3,16).

Der hier genannte Schiloach-Teich liegt am südlichsten Rand der Davidstadt, tiefer geht es nicht. Das nächste Team von Bauarbeitern, über das im Anschluss berichtet wird, muss also am südwestlichen Teil der Mauer gewerkelt haben: »Nach ihm besserte Nehemia die Mauer aus, bis zu der Stelle gegenüber den Gräbern Davids« (Nehemia 3,17). Dieser biblische Bericht verrät uns eindeutig, wo sich die Gräber der davidischen Könige befanden: im Südwesten der Davidstadt. Ihre Lage war den Juden nach dem Exil wohlbekannt, was sich zunächst nicht änderte.

So berichtet Josephus in seinen Antiquitates Judaicae (7:393), wie Antiochus VII. den Hohepriester Hyrkanus zur Zahlung einer Geldsumme zwang, damit dieser die Belagerung Jerusalems aufgibt. Um diese Summe aufzubringen, plünderte Hyrkanus das Grab Davids und entnahm die dort verborgenen Schätze. Auch König Herodes räumte Jahrzehnte später das Grab Davids aus, um an die verbliebenen Schätze zu gelangen.

Zerstörung des Tempels und Vertreibung der Juden aus Jerusalem

Erst mit der Zerstörung des Tempels und der Vertreibung der Juden aus Jerusalem ging das Wissen um die Davidstadt und die Gräber verloren. Im Mittelalter bezeichneten christliche Pilger den Hügel der heutigen Altstadt, auf dem sich das Armenische Viertel befindet, fälschlicherweise als »Berg Zion« und nahmen an, dass David dort bestattet sei. Die Altstadt war jedoch nie Teil von Davids Jerusalem.

Im 11. Jahrhundert errichteten Kreuzfahrer ein gotisches Kenotaph, ein leeres Grab zur Erinnerung an eine Person, das bis heute dort steht. Im 12. Jahrhundert berichtete der jüdische Reisende Benjamin von Tudela über diesen Ort. Das heutige Gebäude wurde ebenfalls im Mittelalter auf den Überresten einer alten Kirche oder Synagoge errichtet. Christen glauben, dass Jesus sein letztes Abendmahl im oberen Geschoss gefeiert hat. So verbreitete sich die Tradition, diesen Ort als heilige Stätte zu verehren, von Christen über Muslime bis hin zu den Juden. Und das bis heute.

Leider ist die Höhle in einem desolaten Zustand, Kinder nutzen sie als Spielplatz.

Das echte Grab wurde hingegen erst 1913 vom französischen Archäologen Raymond Weill entdeckt. Er war der erste jüdische Archäologe, der im Heiligen Land gegraben hatte. Dabei folgte er dem biblischen Bericht des Nehemia und konnte so den richtigen Ort lokalisieren. Weill fand mehrere Höhlen, identifizierte sie als Königsgräber und hielt die größte von ihnen für das Grab von König David. In dieser Höhle befindet sich eine Vertiefung, die möglicherweise für einen Sarkophag vorgesehen war. Nach der Zerstörung des Tempels wurde der Ort von den Römern allerdings als Steinbruch benutzt, was eine Rekonstruktion unmöglich macht.

Archäologen kamen Zweifel, ob es sich um Gräber oder Zisternen handelt

Zunächst wurden Weills Schlussfolgerungen akzeptiert. In jüngster Zeit kamen jedoch einigen Archäologen Zweifel, ob es sich um Gräber oder doch um Zisternen handelt. Doch diese Höhlen ähneln in ihrer Form und Art keinen bekannten Zisternen. Außerdem steht außer Frage, dass die Höhlen im Laufe der Jahrhunderte für verschiedene Zwecke umgestaltet und genutzt wurden. Ungeachtet dieser Kritik halten viele Archäologen Weills These für realistisch.

Trotz Beschilderung ist es nicht leicht, diesen Ort zu finden. Da die Römer einen Teil der Höhle abgetragen haben, muss man zwei Meter über eine Holzpalette klettern. Leider ist die Höhle selbst in einem desolaten Zustand. Sie wird von den Kindern aus der Nachbarschaft als Spielplatz genutzt. Überall liegen Flaschen und anderer Müll herum.

Letztlich lässt sich jedoch nicht beweisen, dass es sich dabei um die Gräber der davidischen Dynastie handelt. Eines ist jedoch klar: Das Grab auf dem heutigen Berg Zion ist eine Erfindung des Mittelalters.

Der Autor ist Rabbiner und unterrichtet an einer Schule in Berlin.

Sukka

Gleich gʼttlich, gleich würdig

Warum nach dem Talmud Frauen in der Laubhütte sitzen und Segen sprechen dürfen, es aber nicht müssen

von Yizhak Ahren  06.10.2025

Chol Hamo’ed Sukkot

Dankbarkeit ohne Illusionen

Wir wissen, dass nichts von Dauer ist. Genau darin liegt die Kraft, alles zu feiern

von Rabbiner Joel Berger  06.10.2025

Tradition

Geborgen unter den Sternen

Mit dem Bau einer Sukka machen wir uns als Juden sichtbar. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Nachbarn erklären können, was uns die Laubhütte bedeutet

von Chajm Guski  06.10.2025

Sukkot

Fest des Vertrauens

Die Geschichte des Laubhüttenfestes zeigt, dass wir auf unserem ungewissen Weg Zuversicht brauchen

von Rabbinerin Yael Deusel  06.10.2025

Sarah Serebrinski

Sukkot: Freude trotz Verletzlichkeit

Viele Juden fragen sich: Ist es sicher, eine Sukka sichtbar im eigenen Vorgarten zu bauen? Doch genau darin – in der Unsicherheit – liegt die Botschaft von Sukkot

von Sarah Serebrinski  05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025

Übergang

Alles zu jeder Zeit

Worauf es in den vier Tagen zwischen Jom Kippur und Sukkot ankommt

von Vyacheslav Dobrovych  03.10.2025

Kirche

EKD: Gaza-Krieg nicht zum Anlass für Ausgrenzung nehmen

Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs: »Offene und gewaltsame Formen des Antisemitismus, besonders in Gestalt israelbezogener Judenfeindschaft, treten deutlich zutage«

 03.10.2025

Ha’asinu

Mit innerer Harmonie

Nur wer sich selbst wertschätzt und seine Fähigkeiten kennt, kann wirklich wachsen

von Abraham Frenkel  03.10.2025