Dekalog

Das dritte Gebot

»Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür«, sang einst Marianne Rosenberg. Allerdings darf der Name G’ttes nicht ausgeschrieben werden. Foto: Thinkstock

Du sollst nicht aussprechen den Namen des Ewigen, deines G’t­tes, zur Nichtigkeit; denn nicht ungestraft lassen wird der Ewige den, der seinen Namen ausspricht zur Nichtigkeit.» So lautet das dritte der Zehn Worte. Und wie so oft haben wir es dem ersten Anschein nach mit einem relativ simplen Gebot zu tun, das bei genauerem Hinsehen nicht nur von brennender Aktualität ist, sondern obendrein eine der fundamentalsten Botschaften der Hebräischen Bibel beinhaltet. Worum also geht es hier?

Eine klassische rabbinische Auslegungstradition, die von Moses Maimonides im 12. Jahrhundert systematisiert wurde, stellt darauf ab, dass durch den dritten Ausspruch vor allem vergebliche oder lügenhafte Schwüre im Namen G’ttes verboten würden. So sei es etwa verboten zu schwören, dass etwas, worüber kein Zweifel besteht, tatsächlich so ist, oder aber, dass etwas, das bekannt ist, eben nicht so ist.

schwur Mit anderen Worten: Man dürfe zum Beispiel nicht in G’ttes Namen schwören, dass ein Stein ein Stein sei, weil dies schlicht unnütz wäre, und man dürfe ebenso wenig schwören, dass ein Stein ein Tisch sei, weil dies ein falscher Schwur wäre.
Problematisch an dieser Auslegung ist allerdings, dass die Tora zu einem späteren Zeitpunkt – nämlich im 3. Buch Mose – explizit das falsche Schwören im Namen G’ttes verbietet (3. Buch Mose 19,22).

Schon der Midrasch fragt deshalb, wa­rum man das Gesetz hier noch einmal habe erwähnen müssen (Pesikta Rabbati, Kapitel 22). Deshalb spricht einiges dafür, dass die Vorschrift im Rahmen der Zehn Gebote anders, mindestens aber umfassender zu verstehen ist, als diejenige im 3. Buch Mose.

Eine Bedeutung, die auch dem Leser in den Sinn gekommen sein dürfte, ist diejenige, wonach man den Namen G’ttes nicht ohne Grund verwenden soll. Wonach man ihn nicht leichtfertig oder umsonst aussprechen soll, also zur Nichtigkeit. Doch auch hier stehen wir vor einem Problem: Der Begriff, den wir regelmäßig benutzen, um G’tt zu benennen, ist: G’tt. Das ist aber gar nicht sein eigentlicher Name!

Der wiederum setzt sich nämlich aus den hebräischen Buchstaben Jud, Hej, Wav, Hej zusammen und wird von uns überhaupt nicht ausgesprochen. Nicht nur, weil die Ehrfurcht uns das verbietet, sondern weil wir außerdem gar nicht wissen, wie wir den Namen verbalisieren sollen.

hohepriester Das Bibelhebräisch ist ja bekanntermaßen eine reine Konsonantensprache, sodass uns die Vokale fehlen, um den Namen G’ttes zu vervollständigen. Tatsächlich wurde der eigentliche Name des Ewigen zu Zeiten des Jerusalemer Tempels nur ein einziges Mal im Jahr ausgesprochen. Und zwar am höchsten jüdischen Feiertag, und auch nur von dem amtierenden Hohepriester im Allerheiligsten des Tempels.

Allen anderen blieb hingegen nichts anderes übrig, als sich in Mutmaßungen zu ergehen und Ersatzbegriffe zu verwenden, um den Einzigen und Allmächtigen zu umschreiben. Um nun dem eigentlichen Namen also nicht zu nahe zu kommen und ihn – G’tt behüte – versehentlich auszusprechen, ging man dazu über, andere Begriffe zu gebrauchen, um das Unbeschreibliche zu beschreiben.

Wenn nun Begriffe wie «Jehowa» oder «der Herr» aber gar nicht den ursprünglichen und eigentlichen Namen G’ttes beinhalten, stellt sich die Frage, weswegen man sie dann nicht auch verschwenderisch und in alltäglichen Zusammenhängen benutzen darf?

Ersatzbegriffe Ganz einfach: Weil dies nun einmal diejenigen Ersatzbegriffe sind, die uns für den g’ttlichen Namen zur Verfügung stehen. Und es sind diejenigen, die wir mit dem Einen und Einzigen verbinden, durch die wir ihn zu erfassen und zu beschreiben suchen und die dem Eigentlichen am Nächsten kommen.

Und deshalb gilt das Gebot im Sinne der Tradition eben auch für diese Umschreibungen und insbesondere für das Wort «G’tt». Mit dem dritten Gebot wird aus rabbinischer Sicht also eine Art Schutzraum für G’tt geschaffen. Und dieser hängt unmittelbar mit den ersten beiden Geboten zusammen:

Das erste Gebot bezieht sich auf die geistige, die intellektuelle Sphäre. Es bezieht sich auf den Glauben an, die Kenntnis von, das Wissen über G’tt. Das zweite Gebot behandelt die körperliche, physische, materielle Sphäre, in der jegliche Verkörperung des Ewigen und der Götzendienst verboten werden, während das dritte Gebot nun den sprachlichen, den verbalen, den kommunikativen Rahmen regelt.

Die Gefahr liegt also letztlich darin, dass man G’tt profanisiert, dass man ihn entheiligt. Je häufiger und unbedachter der g’ttliche Name verwendet wird, desto wertloser und nichtssagender wird G’tt selbst.

Respekt Wie also soll man gegenüber dem Schöpfer des Universums noch Res­pekt, Ehrfurcht und Demut empfinden, wenn dessen Name in vielerlei Alltagssituationen gedankenlos dahingesagt wird? Wie soll man Liebe empfinden, wenn der Name G’ttes in Flüchen ebenso inflationär gebraucht wird wie in Schwüren oder Phrasen?

Die Verehrung und die Hochachtung, die man dem Einen und Einzigen entgegenbringt, muss unbedingt auch in der sprachlichen Sphäre ihren Niederschlag finden. Und ebendies wird nach Ansicht unserer Weisen durch die Beachtung des dritten Gebots erreicht.

Irritierend scheint bei diesem Verständnis allerdings der zweite Satz des Ausspruchs. Dort heißt es, dass der Ewige denjenigen nicht ungestraft lässt, dass er also demjenigen nicht verzeiht, der seinen Namen zur Nichtigkeit oder zum Falschen ausspricht.
Sicher: Der alltägliche, inflationäre Gebrauch des g’ttlichen Namens kann auf Dauer schwerwiegende Folgen haben. Und ohne Zweifel sind unnütze oder lügenhafte Schwüre dazu geeignet, das zwischenmenschliche Gewebe einer Gemeinschaft schrittweise zu zersetzen.

Dass diese Missbräuche allerdings so dramatisch sein sollen, dass der Ewige derart drastische Worte wählt, ist nicht ganz nachvollziehbar. Zumal sie nur im Zusammenhang mit dieser Vorschrift auftauchen. Soll der Verstoß gegen dieses Gebot denn wirklich schlimmer sein als der Verstoß gegen eines der anderen Gebote? Schlimmer als Götzendienst, schlimmer als Diebstahl, schlimmer als Mord? Warum bleiben nur die Verstöße gegen das dritte Gebot unverzeihlich und unentschuldbar?

Sünde Der amerikanische Autor Dennis Prager hat auf diese Frage eine bestechende Antwort gefunden, die bereits ein gut 1000 Jahre alter Midrasch ins Feld führte. Dort heißt es, dass Rabbi Bebai lehrte: Was ist die Bedeutung von «Du sollst den Namen des Herrn, deines G’ttes, nicht missbrauchen»? Es bedeutet, dass du nicht die Gebetsriemen anlegen sollst, dich in den Gebetsmantel hüllst und dann sündigen gehst» (Pesikta Rabbati, Kap. 22).

Nach dieser Interpretation geht es hier also vor allem um diejenigen Menschen, die als religiöse, fromme Menschen auftreten und gleichzeitig sündigen. Die sich als g’ttesfürchtig verkaufen und für jeden erkennbar den Gesetzen des Ewigen zuwiderhandeln.

Verstärkt und ergänzt wird diese Sichtweise durch eine präzisere Übersetzung des Gebots. Genau genommen ist im Hebräischen nämlich gar nicht vom Aussprechen des g’ttlichen Namens die Rede, sondern vom Tragen oder dem Herumtragen.

Worum es hier also eigentlich gehe, so Prager, sei der tatsächliche und vorsätzliche Missbrauch des g’ttlichen Namens vor aller Augen. Worum es eigentlich gehe, seien Menschen, die Unrecht begehen und dabei den Namen des Ewigen im Munde führen. Denn was bringt Religion im Allgemeinen und was bringt G’tt im Speziellen mehr in Verruf als angeblich religiöse Menschen, die Böses tun?

Terror Am anschaulichsten wird dies bei den islamistischen Terroristen, die foltern, vergewaltigen, morden, während sie «Allah ist groß!» rufen. Die Schrecken und endloses Leid verbreiten, während sie vorgeben, dies im Namen G’ttes zu tun. Nicht minder dramatisch sind die Beispiele der christlichen Kreuzritter des Mittelalters und der Inquisitoren, welche den Namen G’ttes massiv besudelt haben.

Und eben das ist es, was der Ewige mehr als alles andere verabscheut: die Ermordung unschuldiger Menschen, das Säen von Hass, die Verbreitung von Leid in Seinem Namen durch vermeintlich fromme Menschen. Denn das ist letztlich ein massiver Angriff auf die fundamentalste Idee der Hebräischen Bibel: das Ideal des ethischen Monotheismus, also eines einzigen G’ttes, dessen unbedingte Forderung an uns Menschen darin besteht, ihm dadurch zu dienen, dass wir moralisch und gerecht, also einfach gut handeln.

Und nichts stellt eine größere Gefahr für die Verwirklichung dieses Ideals, also für eine bessere Welt unter der Herrschaft G’ttes dar, als Menschen, die nicht nur schlecht, unmoralisch und unmenschlich handeln, sondern zu allem Überfluss vorgeben, dies auch noch im Namen G’ttes zu tun. Rabbiner Joseph Telushkin erklärt deshalb, dass ein areligiöser Mensch, der Schlechtes tue, vor allem sich selbst diskreditiere. Ein dem Anschein nach religiöser, g’ttergebener Mensch allerdings, der Böses tue, bringe damit obendrein auch G’tt in Verruf.

Da der Ewige aber nun einmal zwingend auf religiöse Menschen angewiesen sei, die als Seine Botschafter wirken, die als Vorbilder dienen, die Seinen Namen und Seine fundamentalen Ideen für eine bessere Welt unter den Menschen bekannt machen, sei der Missbrauch Seines Namens absolut unverzeihlich und könne nicht ungestraft bleiben.

Der Autor ist Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024

Halacha

Die Aguna der Titanic

Am 14. April 1912 versanken mit dem berühmten Schiff auch jüdische Passagiere im eisigen Meer. Das Schicksal einer hinterbliebenen Frau bewegte einen Rabbiner zu einem außergewöhnlichen Psak

von Rabbiner Dovid Gernetz  11.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Schemini

Äußerst gespalten

Was die vier unkoscheren Tiere Kamel, Kaninchen, Hase und Schwein mit dem Exil des jüdischen Volkes zu tun haben

von Gabriel Rubinshteyn  05.04.2024

Talmudisches

Die Kraft der Natur

Was unsere Weisen über Heilkräuter lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  05.04.2024