Vorbild

Bestes Beispiel

Mustergültig: Richard Harris als Avraham in dem Spielfilm »Die Bibel« (USA, Italien, Deutschland 1993) Foto: cinetext, (M) Frank Albinus

Die Parascha beginnt mit zwei Wörtern, die den gleichen Wortstamm haben: Lech Lecha. Nimmt man nach der Gematria die Gesamtsumme der vier Buchstaben von beiden Wörtern, erhält man die Zahl 100. Das könnte man als Beweis dafür sehen, dass Avraham, wenn er sein Land verlässt, einen großen Lohn erhält. Tatsächlich wird Avraham mit 100 Jahren Vater von Jitzchak.

In unserem Abschnitt unterzieht G’tt Avraham sechs Prüfungen (von insgesamt zehn). Dabei geht es darum, dem Ewigen zu zeigen, inwieweit Avraham bereit ist, Ihm zu dienen, ohne Fragen nach dem Sinn und Warum zu stellen. Wenn der Mensch durch verschiedene Prüfungen geht, nähert er sich G’tt an und geht gestärkt daraus hervor.

Aufforderung Unser Abschnitt startet mit der Aufforderung an Avraham, sein Land, seine Heimat und sein Elternhaus zu verlassen. Der Text erläutert nicht, wer die Person Avraham ist. Umgekehrt heißt es bei Noach: »Noach war ein gerechter Mann, tadellos in seiner Zeit.« Allerdings haben wir am Ende des vergangenen Wochenabschnitts gelesen, wie Avraham geboren wurde und dass sein Vater Terach hieß. Der Abschnitt berichtet davon, dass Avrahams Bruder Haran noch vor dem Vater in Ur-Kasdim starb.

Raschi (1040–1105) bringt einen Midrasch, der davon erzählt, wie Terach sich bei König Nimrod darüber beschwert, dass sein Sohn Avraham alle seine Götzen zerschlagen hat. Als Strafe legt der König fest, Avraham solle verbrannt werden. Doch G’tt schützt ihn vor den Flammen. Darum nennt man den Platz Ur-Kasdim (Ur bedeutet Feuer).

Ramban (1194–1270), bekannt auch als Nachmanides, sagt aus diesem Grund im Kapitel 15, Vers 7: »Ich bin der Ewige, der dich aus Ur-Kasdim herausgeführt hat, um dir dieses Land zum Erbsitz zu geben.« In der Tora steht »hozeticha«; das ist das gleiche Wort, das die Tora beim Auszug aus Ägypten verwendet. Wenn die Tora nur gemeint hätte, Avraham werde aus der Stadt herausgeführt, hätte man zum Beispiel »lekachticha« verwendet.

Prüfung Warum steht in der Tora nicht eindeutig geschrieben, dass es sich bei Avrahams Verbrennung um eine Prüfung handelte? Warum ist das die einzige Prüfung, von der im Morgengebet geschrieben ist (Nechemja 9, 6-11)? Eine Antwort gibt uns Rabbiner Zwi Medinov. Er sagte, von Avrahams erster Prüfung stehe deshalb nichts in der Tora, weil wir sonst gedacht hätten: G’tt beschützt ihn ja, da wird er alle weiteren Prüfungen schon auch bestehen. Doch wir sollen verstehen, dass Avraham deshalb alle Prüfungen bestanden hat, weil er G’tt von ganzem Herzen liebte und ihm diente. Aus diesem Grund ist von dieser Prüfung nichts in der Tora zu lesen. Doch damit wir verstehen, dass es sich um eine Prüfung handelt, schreibt der Prophet Nechemja darüber.

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, ob sich Avraham überhaupt hätte verbrennen lassen müssen? Er lebte doch in der Zeit, als G’tt Mosche die Tora noch nicht gegeben hatte. Damals gab es noch kein Verbot des Götzendienstes. Avraham liebte G‹tt so sehr, dass er alle Prüfungen auf sich nahm.

Avraham ist das Gegenteil von uns. Wenn wir von G’tt geprüft werden – sei es durch Krankheit, finanziellen Verlust oder etwas anderes –, schimpfen wir meistens auf den Ewigen und fragen, warum Er das gerade bei uns zulässt. Wir verstehen nicht, dass G’tt uns prüft oder uns für Dinge straft, die wir falsch gemacht haben. Es ist falsch von uns, auf G’tt zu schimpfen. Wir sollten die Prüfungen und Strafen genauso in Liebe und Vertrauen in G’tt akzeptieren, wie Avraham es tat.

Es gibt im Babylonischen Talmud, Traktat Sanhedrin (74b) eine Diskussion, ob es die Pflicht von Avraham gewesen ist, für Kiddusch Haschem, die Heiligung des g’ttlichen Namens, zu sterben oder nicht. Der Talmud kommt zu dem Schluss, dass es nicht nötig gewesen wäre, dass Avraham sich opfert, denn es habe noch keine Tora gegeben.

Jede Geschichte in der Tora gibt uns die Möglichkeit, zu lernen und nicht nur die historische Geschichte zu lesen. Rabbi Dov von Mezeritsch (1704–1772) vergleicht Avraham mit einem Knecht, der immer mehr als den Willen seines Herren erfüllen will. Rabbi Mezeritsch stellt die Frage, wer besser ist: der Knecht, der das Wasser holt, weil es sein Herr befohlen hat, oder derjenige, der das Wasser holt und dann gleich weiterverwendet und mit dem Wasser arbeitet. Avraham ist wie der zweite Knecht.

So ist es auch bei Avrahams zehnter Prüfung. G’tt befiehlt Avraham, seinen Sohn Jitzchak zu opfern. Kurz vorher hatte G’tt ihm noch verheißen, er würde durch Jitzchak zahlreiche Nachkommen erhalten. Dies wäre ein guter Grund für Avraham gewesen, nicht nach G’ttes Befehl zu handeln. Doch Avraham überlegt anders und handelt so, wie G’tt ihm befohlen hat: Er bringt seinen Sohn als Schlachtopfer dar – und hält erst dann inne, als ein Engel ihm G’ttes Befehl überbringt, seinen einzigen Sohn nicht zu opfern.

Hintergrund Wir lernen aus all diesen Geschichten, dass wir wie Avraham sein und alle Mizwot ausführen sollen – auch, wenn wir manchmal den Hintergrund nicht verstehen. Es ist gut, jede noch so kleine Tätigkeit für G’tt in Liebe und mit Kawana (Andacht) auszuführen, ganz gleich, ob es sich um eine große oder kleine Mizwa, ein Gebet oder sonstiges handelt. Wir sollen nichts tun nur um des Ausführens willens. Denn nur, wenn wir G’tt in Liebe und mit Andacht dienen, nähern wir uns Ihm an.

Eine weitere Besonderheit gibt es in diesem Toraabschnitt. Im Kapitel 15,17 steht geschrieben: »Esch ascher avar bin.« Wenn man die Buchstaben dieser vier Wörter anders anordnet, ergibt sich: »Esch Esch ra be’rabin«, das heißt ins Deutsche übersetzt: »Feuer, Feuer, schlecht an Rabin«. Der Wochenabschnitt wurde an jenem Schabbat im November 1995 gelesen, als ein religiöser Fanatiker Israels Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin in Tel Aviv erschoss. Der Premier wurde mit zwei Schüssen getötet: zwei Mal Esch (deutsch: Feuer). An diesem Beispiel sieht man, dass die Tora wirklich von G’tt geschrieben wurde und nur Er die Zukunft kennt.

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Hof (Saale).

Inhalt
Der Wochenabschnitt Lech Lecha erzählt, wie Avraham, Sara und Lot nach Kanaan ziehen. Eine Hungersnot führt sie weiter nach Ägypten. Um sein Leben zu retten, gibt Avraham dort Sara als seine Schwester aus. Sie müssen Ägypten verlassen. Avrahams ägyptische Magd Hagar schenkt ihm einen Sohn, Jischmael. Der Ewige schließt mit Avraham einen Bund. Als Zeichen für diesen Bund soll von nun an jeder männliche Neugeborene am achten Lebenstag beschnitten werden.
1. Buch Moses 12,1 – 17,27

Lech Lecha

»Und du sollst ein Segen sein«

Die Tora verpflichtet jeden Einzelnen von uns, in der Gesellschaft zu Wachstum und Wohlstand beizutragen

von Yonatan Amrani  08.11.2024

Talmudisches

Planeten

Die Sterne und die Himmelskörper haben Funktionen – das wussten schon unsere Weisen

von Chajm Guski  08.11.2024

Heldentum

Von der Größe, sich nicht zu groß zu machen

Um ein jüdischer Held zu werden, braucht es andere Fähigkeiten, als vielleicht angenommen wird

von Rabbiner Raphael Evers  07.11.2024

Talmudisches

Datteln

Was unsere Weisen über den Verzehr der Frucht lehrten

von Rabbinerin Yael Deusel  01.11.2024

Israel

Kalman Bar ist neuer aschkenasischer Oberrabbiner

Im Vorfeld der Wahl gab es interne Machtkämpfe

 01.11.2024 Aktualisiert

Noach

Die Kraft des Gebets

Hätte sich Noach intensiver an den Ewigen gewandt, wäre es vielleicht nicht zur Sintflut gekommen

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2024

Essay

Die gestohlene Zeit

Wie der andauernde Krieg die Rhythmen des jüdischen Kalenders verzerrt. Beobachtungen aus Jerusalem

von Benjamin Balint  23.10.2024

Bereschit

Höhen und Tiefen

Sowohl Gut als auch Böse wohnen der Schöpfung inne und lehren uns, verantwortlich zu handeln

von Rabbinerin Yael Deusel  23.10.2024

Simchat Tora

Untrennbar verwoben

Können wir den Feiertag, an dem das Massaker begann, freudig begehen? Wir sollten sogar, meint der Autor

von Alfred Bodenheimer  23.10.2024