Mahnung

Besinn dich, kehr um!

Rolle rückwärts: Die Schriften sind voller Hinweise darauf, dass es gelegentlich sinnvoll ist, noch einmal von vorn anzufangen. Foto: imago

In der Sidra für diese Woche geht es um Reinheitsgesetze, die den Menschen betreffen, vor allem um Mezora, Aussatz. Was hat es damit auf sich? Eine Bedeutung lässt sich vom Wort selbst her finden: mozira – das Böse herausziehen. Ähnlich erklärt der Talmud in Arachin 15b: »Dies sei das Gesetz für den Mozi-Schem-Ra, den Verleumder.« Der Talmud sieht in Mezora eine g’ttliche Mahnung und Strafe für sieben Vergehen: üble Nachrede (Laschon Hara), Blutvergießen, falschen Schwur, Unzucht, Hochmut, Raub und Neid.

Wenn G’tt diese Vergehen aus dem Menschen »herausziehen« will, beginnt er, mit Aussatz zu mahnen: »Vorsicht, du bist auf einem falschen Weg! Besinn dich! Tu was dagegen! Kehr um!« G’tt fängt an, behutsam zu mahnen und, letztendlich, zu strafen, gewissermaßen von außen nach innen: Zuerst »erkrankt« das Haus, dessen Mauern von Mezora befallen werden. Findet keine Reue und Umkehr statt, breitet sich der Aussatz auf das Inventar des Hauses, vor allem auf Felle und Lederartikel aus. Wenn auch diese Mahnung nicht beachtet wird, erkrankt der Mensch selbst.

Ein ähnliches Handeln von außen nach innen findet sich auch bei den zehn Plagen, mit denen G’tt den Auszug Israels aus Ägypten erreichen will: Von den blutverseuchten Gewässern nähern sich mit Fröschen und Ungeziefer die Plagen den Häusern; mit Seuchen und Hagel dem Körper in Form von Hungersnot. Finsternis ängstigt die Seele, die dann in der zehnten Plage vom Tod der Erstgeborenen direkt getroffen wird. Ähnlich ist es im Buch Ruth: Naomi verliert erst die Heimat, dann ihren Mann und die Söhne, ehe sie schließlich umkehrt.

Verfehlung Am Beispiel einiger biblischer Personen möchte ich die Besonderheit von Mezora und den Zusammenhang mit der begangenen Verfehlung aufzeigen. Den ersten Hinweis darauf findet man im 2. Buch Moses 4. G’tt lehrt Mosche magische Fähigkeiten, mit denen er den Pharao von der Notwendigkeit überzeugen soll, Israel ziehen zu lassen.

In Vers 6 heißt es: »Stecke doch deine Hand in deinen Busen ... und als er sie herauszog, siehe, da war die Hand aussätzig«. So schnell wie der Aussatz kam, verschwand er auch wieder. Trotzdem erklären unsere Weisen: Mosche hatte sich, wenn auch nur in minimaler Weise, der üblen Nachrede schuldig gemacht, als er dem Volk unterstellte: »Siehe, sie werden mir nicht glauben« (2. Buch Moses 4,1). Bei der großen Persönlichkeit des Mosche nimmt G’tt diese durchaus verständliche Negativaussage sehr ernst und mahnt ihn sofort in Form von Mezora.

Auch Mosches Schwester Mirjam wird aussätzig. Der Grund dafür ist ebenfalls Laschon Hara. »Mirjam und Aharon redeten gegen Mosche ... und sprachen: ›... Redet der Ewige nicht auch durch uns?‹« (4. Buch Moses 12, 1-2). G’tt macht in seiner Antwort (Vers 6) klar, dass er zu Mosche noch direkter spricht als zu Mirjam und Aharon. Deshalb war es nicht recht, Mosches Verhalten infrage zu stellen.

Dem ersten Vers ist zu entnehmen, dass Mirjam das Gespräch begonnen hat. Deshalb trifft auch sie die Strafe. Sie muss zu ihrer Reinigung sieben Tage außerhalb des Lagers bleiben – Zeit zur Besinnung und Umkehr. Wer Zwietracht sät, zerstört Gemeinschaft. Er kann nur wieder in ihr leben, wenn er sein Fehlverhalten einsieht und sich ändert. Mirjam ist einsichtig, und das Volk wartet auf sie, um sie rein und geheilt wieder aufzunehmen. Die Zeitspanne ist bis heute im Reinigungsritual der Mikwe sieben Tage nach der Menstruation erhalten.

Ein weiteres Beispiel für Mezora finden wir in 2. Könige 5. Dort wird die Geschichte Na’amans erzählt, des Heerführers von König Usia, dessen Frau ein israelitisches Beutemädchen als Sklavin hat. Dieses empfiehlt dem aussätzigen Na’aman, den Propheten Elischa aufzusuchen. Nach vielen Irrwegen, die Na’aman zu einer demütigen Haltung verhelfen, wird er geheilt. Elischa lehnt dessen Geschenke ab. Aber sein Helfer Gechasi erbittet sich hinter Elischas Rücken unter einem Vorwand die Gaben aus. Diese Unaufrichtigkeit ist der Grund, dass jetzt er und seine Nachkommen aussätzig werden (2. Könige 5, 27).

Schätze Eine Besonderheit zeigt sich im 3. Buch Moses 14,34: »So ihr kommt in das Land Kanaan ... und ich verhänge Aussatz über ein Haus ...«, spricht der Ewige. Bisher lebte das Volk in Zelten. Aber in dem Land, das G’tt ihnen versprochen hat, wird es in Häusern wohnen, die es nicht selbst gebaut hat. G’ttes Mahnung beim Vorliegen eines der sieben Vergehen beginnt mit Mezora an den Wänden des Hauses. Raschi deutet diesen Vers zum Guten für den Betroffenen: Wenn sie die priesterlichen Anweisungen befolgen und das Mauerwerk ausbessern, werden sie auf Schätze stoßen, die die geflohenen Bewohner dort versteckt haben.

Zum einen versteht man diese Stelle als Hinweis auf den Segen von Reue und Umkehr wie im Falle von Naomi. Zum anderen legen sie Missgunst (Zarut Ajin) oder Geiz offen: Wenn das Haus eines Menschen, der dem Nachbarn nichts leihen wollte, abgerissen werden muss, so wird offenbar, was er alles besitzt. Er kann nun nicht mehr sagen, er hätte ja selbst nichts.

Riten Die Gesetze zu Mezora gelten nur im Heiligen Land, von den Anfängen bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels. Die Reinigungsriten waren deshalb so bedeutungsvoll, weil körperliche Reinheit nötig war, um beim Besuch des Tempels nicht das Heiligtum G’ttes zu entweihen. Deswegen suchten die Geschlagenen bei Mezora den Weg zum Priester und nicht zum Arzt!

In unserer Zeit ist diese Art der Reinheit und Heiligkeit nicht mehr bekannt. Trotzdem weisen uns die heiligen Schriften auch heute noch darauf hin, ganz besonders die Zunge zu hüten, die eine schärfere Waffe ist als das Schwert. Denn das Schwert vermag nur auf Reichweite zu verletzen oder zu töten, die Zunge jedoch kann auch noch in großer Entfernung Schaden anrichten (Arachin 15b). Nicht nur der Gemeinschaft, auch dem einzelnen Menschen bringt Selbstkontrolle beim Reden Gewinn. So heißt es in Mischle, den Sprüchen Salomos: »Wer Zunge und Mund bewahrt, bewahrt seinen Leib vor Leiden« (21,23).

Aufforderung Auch im 5. Buch Moses 24, 8-9 lesen wir von Mezora: »Hüte dich bei dem Schaden des Aussatzes ... Gedenke (Sachor), was der Ewige, dein G’tt, an Mirjam tat auf dem Weg bei eurem Auszug aus Mizrajim«. In der ganzen Tora gibt es sechs Stellen mit der Aufforderung »Sachor« – »Gedenke«. Sie wurden ins jüdische Morgengebet aufgenommen und erinnern uns jeden Tag daran, unsere Zunge zu hüten.

In Psalm 34, 13-15 lesen wir über Laschon Hara: »Wo ist der Mann, der Leben begehrt (chafez chajim), der Tage wünscht, Gutes zu schauen? Wahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden. Weiche vom Bösen und tue Gutes, suche den Frieden und jage ihm nach.«

Rabbi Jisrael Meir Hakohen (1838–1933) entnahm diesem Psalm den Titel seines berühmten Buches Chafez Chajim. Und bald wurde er selbst nur noch Chafez Chajim genannt. Er legte größten Wert auf das Vermeiden von Laschon Hara und Rechilut, Klatsch.

Von ihm wird folgende kleine Anekdote berichtet: Auf einer seiner vielen Reisen lobte ein Mitreisender den Chafez Chajim über die Maßen, ohne zu ahnen, dass dieser ihm persönlich gegenübersaß. Der Chafez Chajim versuchte, dieses Lob abzuschwächen, was seinen Mitreisenden dermaßen ärgerte, dass er beleidigend und handgreiflich wurde. Als er später dem Chafez Chajim begegnete und in ihm den geschmähten Reisenden erkannte, war er sehr beschämt und entschuldigte sich immer wieder. Aber der Chafez Chajim beruhigte ihn: »Von dir habe ich etwas Wichtiges gelernt! Man darf sogar über sich selbst nicht Laschon Hara sprechen.«

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Hof (Saale).

Inhalt
Im Wochenabschnitt Mezora wird die Reinigung von Menschen beschrieben, die von Aussatz befallen sind. Außerdem schildert die Parascha, wie mit Unreinheiten durch Aussonderungen der Geschlechtsorgane umzugehen ist.
3. Buch Moses 14,3 – 15,33

Berlin

»Ein Stück Heimat«

Was blieb übrig nach den NS-Verbrechen? Und was hatte es lange vorher gegeben? Das Leo-Baeck-Institut sammelt seit 70 Jahren Briefe, Tagebücher und Co. Und ist mit seinen Themen Einwanderung und Flucht brandaktuell

von Leticia Witte  19.05.2025

Emor

Im Schadensfall

Wie die Tora lehrt, Menschlichkeit und Gerechtigkeit miteinander zu verbinden

von Jacob Rürup  16.05.2025

Talmudisches

Erinnern und Gedenken

Was unsere Weisen über die Dinge sagen, die wir im Gedächtnis bewahren sollen

von Rabbiner Netanel Olhoeft  16.05.2025

Berlin

»So monströs die Verbrechen der Nazis, so gigantisch dein Wille, zu leben«

Leeor Engländer verabschiedet sich in einer berührenden Trauerrede von Margot Friedländer. Wir dokumentieren sie im Wortlaut

von Leeor Engländer  15.05.2025

Schulchan Aruch

Mit Josef Karo am gedeckten Tisch

Ein mittelalterlicher Rabbiner fasste einst die jüdischen Gesetze so pointiert zusammen, dass viele Juden sich bis heute an seinem Kodex orientieren

von Vyacheslav Dobrovych  15.05.2025

Chidon Hatanach

»Mein Lieblingsbuch ist Kohelet«

Wie es zwei jüdische Jugendliche aus Deutschland zum internationalen Bibelwettbewerb nach Israel geschafft haben

von Mascha Malburg  15.05.2025

Vatikan

Leo XIV. schreibt an Oberrabbiner in Rom

Eine seiner ersten persönlichen Botschaften hat Papst Leo XIV. an die Jüdische Gemeinde Rom geschickt. Und eine gute und enge Zusammenarbeit versprochen

von Anna Mertens  13.05.2025

Acharej Mot – Kedoschim

Nur in Einheit

Die Tora lehrt, wie wir als Gemeinschaft zusammenleben sollen

von Rabbiner Raphael Evers  09.05.2025

Talmudisches

Von reifen Feigen

Wie es kam, dass Rabbi Josi aus Jokrat kein Mitleid mit seinen Kindern hatte

von Rabbiner Avraham Radbil  09.05.2025