Teruma

Aus eigenem Antrieb

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Es ist keine große Weisheit, festzustellen, dass es meist leichter fällt zu nehmen als zu geben. Wenn wir geben, verlieren wir etwas, das wir vorher hatten. Manch einer mag eine Gegenleistung erwarten. Wenn wir etwas nehmen, mag es dagegen genau umgekehrt sein: Wir bekommen etwas und fühlen uns daher in der Verantwortung, etwas zu tun.

Genau das fasst die Situation zu Beginn unseres Wochenabschnitts zusammen: Die Israeliten stehen kurz davor, ein Heiligtum zu bauen, in dem Gott künftig wohnen wird. Bevor der Bau beginnen kann, braucht es eine Finanzierung der dafür notwendigen Materialien.

UNTERSCHIED Es heißt: »Der Ewige sagte zu Mosche: ›Sprich zu den Israeliten, sie sollen mir eine Hebe (Teruma) in Empfang nehmen.‹« Leopold Zunz (1794–1886) übersetzt »Teruma« mit »Hebe«, das ist eine Abgabe oder Spende. Doch zwischen einer (unfreiwilligen) Abgabe und einer (freiwilligen) Spende besteht ein großer Unterschied. Was ist gemeint?

Tatsächlich ist eine Abgabe hier weniger zu vermuten, auch wenn es Übersetzungen gibt wie die von Moses Mendelssohn (1729–1786), die das Wort »Teruma« mit Steuer übersetzen. Im Torakommentar des mittelalterlichen Gelehrten Raschi (1040–1105) heißt es hingegen, dass es sich um eine freiwillige Gabe gehandelt hat. Dementsprechend könnte man diese auch als »Spende« deuten.

Es heißt: »Sie sollen mir eine Hebe in Empfang nehmen.« Wieso steht hier »nehmen« und nicht »geben«? Es wäre doch logischer, wenn es heißen würde: »Sie sollen mir eine Hebe geben.« Das Stiftszelt, später der Tempel und heute die Synagoge, sind Orte, die uns helfen, Gott näher zu sein. Gott braucht diese Orte nicht – wir Menschen brauchen sie. Die Anweisungen, die Gott hier für den Bau des Heiligtums gibt, werden chronologisch anders eingeordnet, als sie in der Tora vorkommen.

chronologie So schreibt Raschi, dass die Geschichte vom Goldenen Kalb bereits stattfand, bevor Mosche die Anweisungen zum Bau des Stiftzelts bekommen hat. Die Chronologie der Ereignisse ist also umgekehrt: erst das Goldene Kalb (über das wir eigentlich erst in zwei Wochen lesen) und dann die Anweisungen zum Bau des Heiligtums.

Die Geschichte vom Goldenen Kalb ist bekannt: Während sich Mosche 40 Tage und 40 Nächte auf dem Berg Sinai befindet, fangen die Israeliten an zu zweifeln, ob er zurückkehren wird. In ihrer Verzweiflung bauen sie das Goldene Kalb, das für Gott steht.

Damit verstoßen sie gleich gegen mehrere Mizwot, allen voran gegen die Zehn Gebote: »Du sollst dir kein Stein- oder ein anderes Bild machen.« Dies wird von Gott verurteilt. Gleichzeitig versteht Er das Bedürfnis der Israeliten, einen Ort zu haben, an dem sie sich Ihm nähern können.

EMPFÄNGER Selbst wenn die Israeliten hier also Spenden für den Bau des Stiftszelts sammeln, sind sie es, die hier etwas bekommen. Daher steht hier nicht »geben«, sondern »nehmen«: Die Israeliten nehmen Spenden und bekommen ihren Wunsch erfüllt: einen Ort, an dem sie sich Gott nähern können.

Es heißt weiter: »Von einem jeden, dem es sein Herz geben wird, sollt ihr die Hebe in Empfang nehmen.« Dazu schreibt Raschi: »Sie (die Hebe) ist Ausdruck des guten Willens.« Entsprechend gab es keine Verpflichtung, sich an den Kosten des Heiligtums zu beteiligen. Wenn unser Einsatz von Herzen kommt, dann handeln wir meist aus eigenem Antrieb heraus, ohne jegliche Hinter­gedanken.

Zwei Beispiele aus der Tora illustrieren dies: Zu Beginn des Wochenabschnitts Wajera lesen wir die Geschichte von Awraham, der drei Männer bei sich aufnimmt, sie großzügig bewirtet und so große Gastfreundschaft zeigt. Er kennt diese drei Männer nicht, dennoch lädt er sie zu sich ein. Awraham tut dies ohne jeden Hintergedanken, sagt nicht: »Dafür, dass ihr jetzt hier gegessen habt, möchte ich, dass ihr etwas für mich tut.«

erstgeburtsrecht Die zweite Geschichte kommt aus dem Wochenabschnitt Toldot und handelt von Jakow und Esaw. Esaw kommt von der Jagd, ist müde und hungrig und sieht die roten Linsen, die Jakow gerade zubereitet hatte. Jakow knüpft das Essen an eine Gegenleistung: Esaw soll ihm das Erstgeburtsrecht verkaufen.

In der Fortsetzung entwickeln sich beide Geschichten höchst unterschiedlich: Awrahams Frau Sara wird, wie es bei dem Besuch der drei Männer angekündigt wird, schwanger, ein lang ersehnter Wunsch von Sara und Awraham geht in Erfüllung. Dagegen muss Jakow mit Esaw noch lange um das Erstgeburtsrecht streiten, was darin endet, dass sich die beiden Brüder völlig entzweien. So lässt sich feststellen: Dort, wo eine Gegenleistung erwartet wird, mag am Ende eine große Enttäuschung stehen.

Unser kleines Heiligtum heute ist die Synagoge. Der Einsatz, den die Israeliten beim Bau des Heiligtums gezeigt haben, sollte uns heute Vorbild sein für unseren Einsatz in der Synagoge. Es wäre erstrebenswert, die Synagoge wie einen kleinen Schatz zu betrachten, den wir hüten dürfen, der nicht selbstverständlich vorhanden ist (das hat die Geschichte leider oft genug gezeigt).

Wir sollten die Synagoge nicht mit der Erwartung aufsuchen, etwas zu bekommen, sondern als einen Ort betrachten, dem wir etwas geben dürfen. Es wäre gut, wir würden weniger darauf schauen, was andere tun sollten, als darauf, was wir Gutes tun können. Es geht darum, dass »von einem jeden, dem es sein Herz geben wird«, etwas Positives, Konstruktives bewirkt wird. Dann wird unser Handeln für alle zum Segen sein.

Der Autor ist Landesrabbiner von Thüringen und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

inhalt
Im Wochenabschnitt Teruma fordert der Ewige die Kinder Israels auf, für den Mischkan, das Stiftszelt, zu spenden. Die Parascha enthält genaue Anweisungen zum Bau der Bundeslade, des Tisches im Stiftszelt, des Zeltes selbst und der Menora. Den Abschluss bilden Anweisungen für die Wand, die das Stiftszelt umgeben soll, um das Heilige vom Profanen zu trennen.
2. Buch Mose 25,1 – 27,19

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