Talmudisches

Auf dem Friedhof

Da hörte er zwei Mädchenseelen miteinander reden. Foto: Rafael Herlich

Talmudisches

Auf dem Friedhof

Was ein frommer Mann beim Belauschen zweier Mädchenseelen hörte

von Rabbiner Avraham Radbil  30.10.2020 09:18 Uhr

In Jahren der Hungersnot gab einmal ein frommer Mann an Erew Rosch Haschana einem Armen eine Münze (Berachot 18b). Seine Frau war wütend darüber, und so war er gezwungen, in der Nacht von Rosch Haschana auf dem Friedhof zu schlafen. Da hörte er zwei Mädchenseelen miteinander reden.

Die eine sagte zur anderen: »Lass uns in die Welt reisen und hinter dem Vorhang hören, welche Strafe auf die Welt kommt.« Die andere antwortete: »Ich kann nicht, weil ich in einer Schilfmatte begraben bin. Geh du und erzähl mir, was du hörst.« Sie ging hinaus und kam zurück. Ihre Freundin fragte: »Was hast du hinter dem Vorhang gehört?« Sie sagte zu ihr: »Ich habe gehört, dass die Ernte eines jeden, der zum Zeitpunkt des ersten Regens pflanzt, vom Hagel getroffen werden wird.«

Der fromme Mann, der das hörte, ging und pflanzte erst während des zweiten Regens. Und siehe da: Die Ernte der ganzen Welt wurde vom Hagel getroffen, doch seine nicht.

Schilfmatte Im nächsten Jahr schlief er an Rosch Haschana wieder auf dem Friedhof. Er hörte dieselben Seelen miteinander reden. Die eine sagte zur anderen: »Lass uns in die Welt reisen und hinter dem Vorhang hören, welche Strafe auf die Welt kommt.« Die andere antwortete: »Ich kann nicht, denn ich bin in einer Schilfmatte begraben. Du gehst und sagst mir, was du hörst.«

Sie ging hinaus und kam zurück. Ihre Freundin fragte: »Was hast du hinter dem Vorhang gehört?« Sie sagte zu ihr: »Ich habe gehört, dass die Ernte eines jeden, der zum Zeitpunkt des zweiten Regens pflanzt, von einer Seuche befallen wird.«

Der fromme Mann hörte das, ging und pflanzte zum Zeitpunkt des ersten Regens. Die Ernte der ganzen Welt wurde von einer Seuche getroffen, aber nicht die jenes Mannes.

Seine Frau fragte ihn: »Wie kommt es, dass letztes Jahr alle Ernten außer deiner vom Hagel zerstört wurden und jetzt alle außer deiner von der Seuche befallen wurden?«

Streit Da erzählte er ihr die ganze Geschichte. Und es dauerte nicht viele Tage, da entwickelte sich ein Streit zwischen der Frau des frommen Mannes und der Mutter eines der verstorbenen Mädchen. Die Frau des frommen Mannes sagte zu ihr: »Komm, ich werde dir deine Tochter zeigen, die in einer Schilfmatte begraben wurde.« Doch sie wollte damit die mittellose Mutter kränken, weil sie ihre Tochter nicht würdig begraben hatte.

Als der fromme Mann im nächsten Jahr an Rosch Haschana wieder auf dem Friedhof schlief, hörte er auch diesmal die beiden Seelen miteinander reden. Die eine sagte zur anderen: »Lass uns in die Welt reisen und hinter dem Vorhang hören, welche Strafe auf die Welt kommt.« Doch da antwortete die andere: »Lass mich! Die Worte, die wir austauschen, werden unter den Lebenden gehört.«

Die Gemara beschließt, dass diese Geschichte nicht als Beweis gelten kann, dass die Verstorbenen über die Geschehnisse in dieser Welt Bescheid wissen.

Die meisten Kommentatoren sind sich einig, dass diese Geschichte nicht wörtlich zu verstehen ist, und sagen, der fromme Mann habe diese Unterhaltungen wohl im Traum gehört.

Verdienst Wir können dieser Geschichte entnehmen, dass das Verdienst für das gesamte Jahr, laut unseren Weisen, an Rosch Haschana festgelegt wird. Wir alle kennen Menschen, die auf außergewöhnliche Art und Weise innerhalb kürzester Zeit wohlhabend geworden sind. Und wir kennen auch Menschen, die ebenso schnell alles verloren haben.

Vielleicht hat die Tatsache, dass der fromme Mann trotz der Hungersnot einem Armen an Erew Rosch Haschana Geld gab, bewirkt, dass er jene Träume hatte, die ihm zu Reichtum verhalfen. Denn wie unsere Weisen sagen, ist die Kraft der Zedaka, des Almosengebens, so stark, dass sie einen sogar vor dem Tod erretten kann.

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  04.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025

Talmudisches

Audienz beim König aller Könige

Was unsere Weisen über das Gebet und seine Bedeutung lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2025

Geschichte

Wer war Kyros der Große?

Manche behaupten, Donald Trump sei wie der persische Herrscher, der den Juden die Rückkehr nach Jerusalem erlaubte. Was hinter dem Vergleich steckt

von Rabbiner Raphael Evers  30.10.2025

Interview

»Süßes gibt’s auch in der Synagoge«

Jugendrabbiner Samuel Kantorovych über Halloween, dunkle Mächte und Hexen im Talmud

von Mascha Malburg  30.10.2025

Vatikan

Papst bedauert Krise im Dialog mit Juden - verurteilt Antisemitismus

Seit Jahren ist der Dialog des Vatikans mit dem Judentum belastet. Nun hat Leo XIV. versucht, die Dinge klarzustellen - mit einem Bekenntnis zum Dialog und gegen den Antisemitismus

von Ludwig Ring-Eifel  29.10.2025

Schwielowsee

Shlomo Afanasev ist erster orthodoxer Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg

Militärrabbiner gibt es bereits in Deutschland. Nun steigt der erste orthodoxe Rabbiner bei der Bundeswehr in Brandenburg ein

 29.10.2025