Baum der Erkenntnis

Apfel, Feige oder Weintraube?

Welche verbotene Frucht Adam und Chawa im Paradies aßen, ist bis heute umstritten

von Rabbiner Dovid Gernetz  24.11.2022 11:52 Uhr

Laut einer Meinung im Midrasch hat G’tt nur Adam und Chawa die Art des Baums offenbart. Foto: Getty Images/iStockphoto

Welche verbotene Frucht Adam und Chawa im Paradies aßen, ist bis heute umstritten

von Rabbiner Dovid Gernetz  24.11.2022 11:52 Uhr

»Wir sind eine Computerfirma und kein Fruchtladen«, soll Steve Wozniak gewitzelt haben, als ihm Steve Jobs den Namen »Apple« vorschlug. Schon seit der Gründung des US-amerikanischen Technologieunternehmens gab es diverse Theorien und Spekulationen, warum sich die Gründer von Apple für den Apfel als Namensgeber entschieden haben und warum der Apfel auf dem Logo angebissen sein muss.

Manche sahen darin eine Reverenz an den Apfel, der dem englischen Wissenschaftler Isaac Newton auf den Kopf gefallen sein soll und ihm zum wissenschaftlichen Durchbruch mit dem Gravitationsgesetz verhalf. Andere sahen darin eine Würdigung für Alan Turing, den »Vater der Computerwissenschaft und der Künstlichen Intelligenz«, der sich im Jahr 1954 mit einem vergifteten Apfel das Leben genommen haben soll.

theorie Die wahrscheinlich bekannteste Theo­rie besagt, dass der angebissene Apfel eine Anspielung auf die Sünde von Adam und Chawa ist, die trotz des g’ttlichen Verbotes vom Baum der Erkenntnis aßen. Demnach soll der Apfel Lust, Freiheit und unbegrenztes Wissen symbolisieren.

Der wahre Grund ist (wie so oft) weniger spektakulär: Steve Jobs wählte den Namen »Apple«, weil er das Wort trendig fand und damals mit verschiedenen Obstdiäten experimentierte.

Auch für den sagenumwobenen Biss im Apfel gibt es eine einfache Erklärung: Obwohl Rob Janoff, dem Designer des ikonischen Apple-Logos, die Anspielung auf Alan Turing sehr gefiel, gab er 2009 in einem Interview zu, dass er Turings Geschichte damals nicht kannte und mit dem Biss lediglich die Verwechslung mit einer Kirsche vermeiden wollte.

Fast nirgendwo in den jüdischen Quellen erscheint der Apfel als verbotene Frucht.

Nachdem Janoff das Logo entworfen hatte, machte ihn ein Kollege darauf aufmerksam, dass das Wort »bite« (Biss) mit der Maßeinheit für Informatik »Byte« fast identisch ist. Janoff bezeichnete dies als »kleinen glücklichen Zufall«.

RENAISSANCE Die Annahme, dass es sich bei der »verbotenen Frucht« um einen Apfel handelte, ist sehr verbreitet und wurde so schon von zahlreichen christlichen Künstlern der Renaissance-Epoche wie Albrecht Dürer und Lucas Cranach dargestellt. Auch in Paradise Lost (1667) präsentiert John Milton die verbotene Frucht als einen Apfel. In der Tora finden wir, trotz der zentralen Rolle dieses Baumes, keinen Hinweis darauf, um welche Sorte und um welche Frucht es sich handelte. Die Tora beschreibt ihn lediglich als »gut zur Speise«, »eine Lust für die Augen« und »köstlich zur Betrachtung« (1. Buch Mose 3,6).

Doch schon im Talmud (Sanhedrin 70a) gibt es eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Gelehrten, um welchen Baum es sich in dieser schicksalhaften Episode handelte.

Der Baum, von dem Adam, der Urmensch, gegessen hatte, war laut der Meinung von Rabbi Meir ein Weinstock, denn es gibt nichts, was über den Menschen so viel Wehklage bringt wie der Wein. Rabbi Jehuda sagt, es war Weizen, denn ein Kind versteht nicht eher, »Vater« und »Mutter« zu sagen, bis es den Geschmack des Getreides gekostet hat.

Rabbi Nechemia sagt, es war ein Feigenbaum, denn womit der Verderb von Adam und Chawa erfolgt war, mit dem wurde es ihnen auch wiedergutgemacht, wie es heißt: »Und sie nähten Feigenblätter zusammen.« Es ist anzunehmen, dass Michelangelo Buonarroti (1475–1564) zumindest von der letzten Meinung gehört hatte, denn auf dem Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle (»Versuchung und Fall«) werden neben Äpfeln auch Feigen dargestellt.

RABBI LÖW Der bekannte jüdische Philosoph und Denker Rabbi Jehuda Löw (1520–1609) schreibt, dass sich die jüdischen Weisen nicht damit beschäftigen würden, um welchen Baum beziehungsweise welche Frucht es sich damals gehandelt hat, wenn wir heute daraus keine Lehre ziehen könnten.

Er präsentiert daher eine tiefere Erklärung für diese Meinungsverschiedenheit. Der Mensch habe drei Triebe, die ihn zur Sünde verleiten: Lust/Begierde, Ego und Ideologie. Wie schon erwähnt, wird die verbotene Frucht von der Tora ebenfalls mit drei Eigenschaften beschrieben (»gut zur Speise«, »eine Lust für die Augen« und »köstlich zur Betrachtung«).

Rabbi Löw zieht eine Parallele zwischen diesen drei Eigenschaften, den drei Trieben und den drei Meinungen: »Gut zur Speise« steht für Lust/Begierde und wird von Feigen repräsentiert, »eine Lust für die Augen« entspricht der Ideologie und wird durch Weizen wiedergegeben und »köstlich zur Betrachtung« dem Ego, dargestellt als Trauben/Wein.
Er erklärt, warum gerade diese Früchte diesen Trieben entsprechen: Somit geht es bei dieser Meinungsverschiedenheit in Wahrheit darum, welcher dieser Triebe zur Ursünde geführt hat.

etrog Im Midrasch (zu 3. Buch Mose 23,40) wird zusätzlich die Meinung von Rabbi Abba aus Akko zitiert, wonach es sich um einen Etrog (Zitrusfrucht) handelte, und der Ramban, Rabbi Mosche ben Nachman (1194–1270), scheint in seinem Kommentar zur Tora (Bereschit Rabba 15,7) dieser Meinung zu folgen.

Außerdem fügt er hinzu, dass der Etrog in den Arba Minim die Sünde von Adam und Chawa korrigieren soll. Laut dem Midrasch (Bereschit Rabba 19,5) presste Chawa Trauben und servierte Adam Wein beziehungsweise Traubensaft.

Der Midrasch zitiert die Meinung, im Garten Eden sei ein Etrog verzehrt worden.

Es ist nicht ganz klar, ob diese Meinung mit der von Rabbi Meir übereinstimmt oder ob es sich um eine zusätzliche Stimme handelt. Rabbi Jehuda hingegen identifiziert den Baum der Erkenntnis als Weizen. Doch welche »Frucht« gab Chawa dann laut dieser Auffassung Adam zu essen?

BROT Die Kommentatoren (Torat Chaim Sanhedrin 70a) erklären, dass Brot im Gan Eden buchstäblich auf den Bäumen wuchs (so wird es auch nach der Ankunft des Maschiachs sein, siehe Schabbat 30b). Laut der Meinung von Rabbi Jehuda handelte es sich bei der verbotenen Frucht um Brot. Demnach entspricht die Strafe vollkommen der Sünde, so wie es steht: »Im Schweiße deines Angesichts wirst du Brot essen« (1. Buch Mose 3,19).

Doch nirgendwo in den jüdischen Quellen wird der Apfel als die verbotene Frucht vorgeschlagen – mit Ausnahme der Prager Pessach-Haggada (1527). Wie kam es also dazu, dass der Apfel in der allgemeinen Überzeugung zur verbotenen Frucht wurde?

Möglicherweise ist eine Verwechslung mit dem lateinischen Wort für das »Böse« in der Vulgata, der lateinischen Bibelübersetzung, dafür verantwortlich: Der Vers »Baum der Erkenntnis zwischen Gut und Böse« (1. Buch Mose 2,17) wird in der Vulgata mit »de ligno autem scientiae boni et mali« übersetzt.

»BÖSE« Das Wort mali für »Böse« ist eine Ableitung vom lateinischen Wort »malum«. Das lateinische Wort für »Apfel« (»malum«) wird fast identisch geschrieben und ausgesprochen, sodass eine Verwechslung plausibel erscheint.

Im Midrasch gibt es aber noch eine fünfte Meinung, und laut dieser Ansicht hat G’tt niemandem (außer Adam und Chawa) offenbart, um welchen Baum es sich handelte – und Er wird es auch in Zukunft nicht tun. Auch Rabbi Mosche Ben Maimon, der Rambam (1135–1204), scheint in seinem philosophischen Werk Moreh Nevuchim (Führer der Verirrten) diese Ansicht zu vertreten.

Rabbi Yakov Kuli (1689–1723) hat eine umfassende Erklärung: Er meint, dass uns G’tt damit andeuten möchte, man solle seine Sünden einsehen und bereuen, sich aber nicht in der Vergangenheit verheddern, sondern lieber auf die Zukunft konzentrieren – also unabhängig davon, ob Adam und Chawa nun Äpfel, Feigen oder Etrogim verzehrten.

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 18.03.2024

Pekudej

Ort des Gebens

Die Tora lehrt, warum »das jüdische Haus« von so grundlegender Bedeutung ist

von Rabbiner Bryan Weisz  15.03.2024

Talmudisches

Die Eule – Symbol der kommenden Zeit

Was unsere Weisen über den nachtaktiven Vogel lehren

von Chajm Guski  15.03.2024

Kino

So jüdisch ist »Dune«

Das erfolgreiche Science-Fiction-Drama ist voller Referenzen

von Lorenz Hegeler  13.03.2024

Jerusalem

Angehörige israelischer Geiseln hoffen auf päpstliche Hilfe

Papst Franziskus möge sich weiter für ihre Angehörigen einsetzen, schreiben die Familien

 10.03.2024

Mainz

Rabbinerin Elisa Klapheck erhält Marie-Juchacz-Frauenpreis

Gewürdigt wird das Engagement der Chefin der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK)

 08.03.2024

Wajakhel

Gʼttliches Licht

Was die Schöpfung, das tragbare Heiligtum und die Zahl 40 miteinander zu tun haben

von Vyacheslav Dobrovych  07.03.2024

Talmudisches

Jeschajahus Tod

Was unsere Weisen über das Lebensende des Propheten lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  07.03.2024

Vegetarismus

Die Tiere werden es uns danken

Das Judentum ist keine fleischlose Religion – die pflanzliche Ernährung aber ein Ideal

von Daniel Neumann  07.03.2024