Wajeschew

Alles Tun hat Folgen

»Josef wird von seinen Brüdern verkauft« (Julius Schnorr von Carolsfeld, Kupferstich, 1860) Foto: Getty Images/iStockphoto

Unser Wochenabschnitt erzählt davon, dass Josef seinem Vater Jakow üble Nachrede über seine Brüder hinterbringt. Und weil Jakow Josef mehr liebt als dessen Brüder, schenkt er ihm einen wertvollen Mantel. Die Brüder hassen ihn dafür. Dennoch erzählt Josef ihnen von seinen Träumen. Daraufhin befürchten die Brüder, er wolle die Macht in der Familie an sich reißen, und sie beschließen, ihn zu töten.

Pharao Doch als Josef das nächste Mal zu ihnen kommt, geben sie ihren Plan auf. Sie töten ihn nicht, sondern werfen ihn stattdessen in eine Grube. Jehuda, einer der Brüder, überredet die anderen, Josef an eine vorbeiziehende Karawane zu verkaufen. So wird Josef Sklave, gelangt nach Ägypten und kommt ins Haus von Potifar, dem Obersten der Leibwächter im Palast des Pharaos.

Potifars Frau bedrängt den hübschen hebräischen Sklaven – doch weil er sich ihr verweigert, beschuldigt sie ihn, er habe sie vergewaltigt. So kommt Josef ins Gefängnis. Dort deutet er die Träume des königlichen Obermundschenks und des Oberbäckers. Seine Vorhersagen erfüllen sich: Der Mundschenk kommt frei und erhält sein Amt zurück, der oberste Bäcker jedoch wird hingerichtet.

Zeichen Unsere Weisen sagen, die Taten unserer Väter sind Zeichen für die Söhne. Das heißt, sie sind Hinweise dafür, wie wir uns in bestimmten Situationen verhalten sollen.

Die Tora schreibt: »Und Josef hinterbrachte üble Nachrede über sie ihrem Vater. Der aber liebte Josef mehr als alle seine Söhne, weil er ihm ein Sohn des Alters war. Und er machte ihm einen bunten Mantel. Als seine Brüder sahen, dass ihr Vater ihn mehr als sie liebte, hassten sie ihn und konnten nicht mehr freundlich mit ihm reden« (1. Buch Mose 37, 2–3).

Der mittelalterliche Kommentator Raschi (1040–1105) erklärt, Josef habe seinem Vater erzählt, seine Brüder würden die Organe lebender Tiere essen, die Söhne der Dienerin vernachlässigen, weil jene Sklaven waren, und außerdem würden sie sich unzüchtig verhalten.

Dafür, dass er diese drei Gerüchte in die Welt setzte, wird Josef bestraft. So lesen wir im 1. Buch Mose 37,31: »Und sie (die Brüder) nahmen Josefs Mantel und schlachteten einen Ziegenbock und tauchten den Mantel in das Blut.« (Dabei wurde jedoch nichts von den Tieren gegessen!) Auch dafür, dass Josef seinem Vater hinterbrachte, die Brüder würden angeblich die Sklaven schlecht behandeln, erhielt Josef eine Strafe: Er selbst wurde versklavt.

Hass Die Strafe für das dritte Gerücht, das er in die Welt setzte, nämlich, dass seine Brüder unzüchtig seien, bekommt er später in Ägypten, im Haus des Potifar: »Da erhob die Frau seines Herrn ihre Augen zu Josef« (1. Buch Mose 39,7). Wir sehen, nicht wegen der üblen Nachrede, die Josef über sie verbreitete, hassten die Brüder Josef. Sie wussten, dass die Geschichten erlogen und die Gerechtigkeit auf ihrer Seite war. Doch als sie erkannten, dass ihr Vater Josef mehr liebte als sie, weckte dies allmählich Hass in ihnen.

Anfangs empfanden die Brüder noch keinen Hass, sondern sie waren eifersüchtig, als sie sahen, dass ihr Vater Josef mehr liebte. Doch im Laufe der Zeit wurde die Eifersucht in ihren Herzen zu Hass. Unsere Weisen fragen: Wie kann es sein, dass die heiligen Stämme solche hässlichen Charaktereigenschaften hatten? Die Antwort darauf lautet: Auch unter den heiligen Stämmen gab es Eifersucht. Dass ein Mensch nicht weniger wert sein will als sein Nächster, sein Freund oder sein Bruder, ist ganz natürlich.

Der Talmud (Traktakt Schabbat 10) sagt dazu, dass der Neid bei Josefs Brüdern notwendig war, um die Prophezeiung zu erfüllen. Im 1. Buch Mose 15,13 heißt es: »...dass deine Nachkommen Fremdlinge sein werden in einem Land, das nicht ihres ist, und man wird sie versklaven und bedrücken 400 Jahre lang«.

Neid Eine wichtige Lehre des Judentums, die wir in den Sprüchen der Väter lernen, ist allerdings: »Neid, Wollust und Ehrgeiz richten den Menschen zugrunde« (4,22).

Unsere Weisen machen uns darauf aufmerksam, dass wir unsere Gedanken und Taten ständig überprüfen und auch die Hintergründe unseres Tuns verstehen sollen, damit sie nicht die Ursache von Neid, Wollust und Ehrgeiz werden.

König Salomon sagt im Buch Kohelet: »Ich erkannte alle Mühen und alle Werktätigkeit, es ist nur die Eifersucht des einen gegen den anderen. Auch das ist Eitelkeit und Haschen nach Wind« (4,4).

Abraham Ibn Esra (1089–1167) erklärt diese Worte König Salomos wie folgt: Die meisten Menschen arbeiten hart, auch oder vielleicht wegen anderer Menschen. Sie sind eifersüchtig aufeinander und wollen sich rühmen, sodass klar wird, dass der eine Wohnung, Kleidung, Söhne und Essen und Weisheit und Güte hat, die nicht schlechter sind als die der anderen. Dafür sind manche Menschen bereit, ihre Seele abzugeben, und arbeiten Tag und Nacht. Das Streben nach Ehre und Eifersucht, die alles Handeln verwalten, kennt keine Grenze.

Yechezkel Levinstein (1885–1974) sagte, dass die meisten Menschen gar nicht verstehen, was die Ursachen ihrer Gedanken und ihres Tuns sind. Sie meinen, aus guter Absicht, aus Menschenliebe und aus Gerechtigkeit zu handeln. Die Tora lehrt uns jedoch, stets genau darüber nachzudenken, was die wirklichen Ursachen unseres Handelns sind.

Der Autor studiert am Rabbiner­seminar zu Berlin.

inhalt
Der Wochenabschnitt Wajeschew erzählt, wie Josef – zum Ärger seiner Brüder – von seinem Vater Jakow bevorzugt wird. Zudem hat Josef Träume, in denen sich die Brüder vor ihm verneigen. Eines Tages schickt Jakow Josef zu den Brüdern hinaus auf die Weide. Die Brüder verkaufen ihn in die Sklaverei nach Ägypten und erzählen dem Vater, ein wildes Tier habe Josef gerissen. Jakow glaubt ihnen. In der Sklaverei steigt Josef zum Hausverwalter auf. Doch nachdem ihn die Frau seines Herrn Potifar der Vergewaltigung beschuldigt hat, wird Josef ins Gefängnis geworfen. Dort lernt er den königlichen Obermundschenk sowie den Oberbackmeister des Pharaos kennen und deutet ihre Träume. Die Geschichte von Tamar unterbricht die Josefsgeschichte wie ein Zwischenspiel.
1. Buch Mose 37,1 – 40,23

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025