Neulich beim Kiddusch

Alles im Eimer

Ebay oder Müll? Foto: Fotolia

Neulich beim Kiddusch

Alles im Eimer

Was einem in der Synagoge passieren kann

von Beni Frenkel  12.07.2011 08:42 Uhr

Am Schabbat in der Synagoge mache ich nach der Toravorlesung immer eine kleine Pause. Nicht lange, so etwa zehn Minuten. Ich geh dann immer Kaffee trinken und schwatze ein wenig mit anderen Betern. Auch auf die Toilette gehe ich häufig. Ich sitze nämlich in der Synagoge genau in der Mitte einer langen Bankreihe.

Ich getraue mich nur selten – und in äußerster Not – während des Gottesdiensts auf die Toilette zu gehen. Links und rechts von mir beten nämlich viele alte Männer. Wenn die wegen mir aufstehen, nur weil ich kurz pinkeln muss, bekomme ich immer ein schlechtes Gewissen.

Aber nach der Toravorlesung, da geh’ ich fröhlich auf Toilette. Letzten Schabbes pfiff ich eine lustige Weise und wollte mir gerade die Hände waschen. Da hörte ich ein Kinderkichern. Sofort guckte ich streng – ich bin ja Lehrer – und wollte die Lärmquelle ausfindig machen.

Brennstäbe Ich sah eine Traube Kinder vor einem Kasten mit Briefschlitz. Mit ihren Fingern klaubten sie Blätter heraus. Es handelte sich um den Schejmes-Kasten. Schejmes sind heilige Bücher, Zeitschriften, Notizen, auf denen zum Beispiel der Name G’ttes geschrieben steht. Observante Juden werfen so etwas nicht einfach in den Müll, sondern deponieren es – ähnlich wie nukleare Brennstäbe – in einem verschließbaren Eimer, der dann, wenn er voll ist, auf einem jüdischen Friedhof vergraben wird.

Ich verscheuchte die Kinder und kniete mich selbst hin. Ich schaute nach links und nach rechts, dann stocherte ich ein bisschen mit meinem Zeigefinger in dem riesigen Stapel alter Bücher und Briefe.

Neugierig fingerte ich ein altes Gebetbuch aus dem Jahr 1948 heraus. Könnte ich auf Ebay stellen, dachte ich mir. »Alten wertvollen Siddur für 20 Euro« oder so. Das nächste Buch sah auch nicht schlecht aus. Ein alter Chumasch (1897 aus Russland). Geil! Mich packte das Indiana-Jones-Virus. Ich hörte, wie sie oben das Lied zur Einhebung der Tora sangen. Mir egal. Ich saß vor einer großen Sammlung alter Judaica. Wer sagt, dass Beten vertane Zeit wäre?

Ebay Gerade wollte ich die vielen Bücher in einen Plastiksack einpacken, da lief mir der nichtjüdische Hausmeister entgegen. Er guckte mich seltsam an. Ich murmelte etwas von Studium alter Bücher und fragte ihn, ob er noch eine Tüte hätte. Die beiden Tüten waren schnell voll. Ich dachte an Ferien mit der Familie. Können wir uns sonst nur jedes zweite Jahr leisten. Jetzt aber …!

Da hielt ich ein kleines Büchlein in der Hand. Es kam mir bekannt vor. Es war das Tischgebet-Büchlein, das bei meiner Hochzeit verteilt wurde! Und jetzt liegt es da, um begraben zu werden. So eine Unverschämtheit! Ich guckte, ob vielleicht noch der Name des früheren Besitzers drinstand. Leider nicht.

Ich schaute mir das Buch an und hatte plötzlich keine Lust mehr, Ebay-Powerseller zu werden. Ich warf alle Bücher wieder in den Schlund und ging nach oben um zu beten. Und die Moral von der Geschicht? Schreiben Sie keine Bücher, auch keine jüdischen. Die landen früher oder später im Abfall oder auf dem jüdischen Friedhof.

Meinung

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  08.07.2025

Nahost

»Öl ins Feuer des anwachsenden Antisemitismus«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt wirft der evangelischen Kirche moralisches Versagen vor und kritisiert eine Erklärung des Weltkirchenrats, in der Israel »dämonisiert« werde

 05.07.2025

Chukat

Ein Tier, das Reinheit schafft

Wir können die Mizwa der Roten Kuh nicht verstehen – aber ihre Bedeutung erahnen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  04.07.2025

Talmudisches

Die weibliche Idee hinter König David

Was Kabbalisten über Eschet Chajil, die tüchtige Frau, lehren

von Vyacheslav Dobrovych  04.07.2025

Jerusalem

Das falsche Grab

Das Buch der Könige gibt Auskunft darüber, wo David wirklich begraben wurde

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  03.07.2025

Interview

»Inhalte statt Konflikte produzieren«

Rabbinerin Elisa Klapheck will in ihrer zweiten Amtszeit als Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz zusammenführen

von Mascha Malburg  03.07.2025

Kirchen

Theologe Staffa kritisiert Apartheidsbeschluss des Weltkirchenrates

Der Apartheidsvorwurf sei einfach falsch, sagte der christliche Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden beim Deutschen Evangelischen Kirchentag

von Stephan Cezanne  01.07.2025

Essay

Der Weltkirchenrat auf Abwegen

Die Organisation mit mehr als 350 meist protestantischen Kirchen stimmt in den Chor all derer ein, die ein antiisraelisches Lied nach dem anderen singen. Immer lauter. Immer wütender. Immer obsessiver

von Daniel Neumann  29.06.2025

Talmudisches

Beten gegen das Böse

Was unsere Weisen über den freien Willen und moralische Entscheidungen lehrten

von Vyacheslav Dobrovych  27.06.2025