Sommerzeit

Alles eine Stunde später

In der Nacht zum 27. März werden die Uhren umgestellt. Foto: Getty Images

Manche gesellschaftlichen Themen genießen besonders großes Interesse und werden breit diskutiert, manche bleiben immer wieder im Hintergrund, auch wenn sie unser Leben beeinflussen.

Ein solches »geräuschloses« Thema ist die Zeitumstellung und speziell die Sommerzeit, die uns allen bald bevorsteht. Am Sonntag werden in Deutschland und in vielen anderen Ländern die Uhren wieder eine Stunde vorgestellt. Damit beginnt die »künstliche« Sommerzeit, die bis Ende Oktober dauern wird.

UMFRAGE Diese Zeitumstellung ist nicht unumstritten. Es gibt immer wieder ernsthafte Bedenken, ob die Sommerzeit tatsächlich Vorteile bringt oder ob die Nachteile überwiegen. Vor vier Jahren wurde in der Europäischen Union eine Umfrage durchgeführt, ob die Zeitumstellung gänzlich abgeschafft werden sollte. In der Bevölkerung fand diese Umfrage jedoch keine große Resonanz. Die Beteiligung war sehr gering, das Ergebnis nicht repräsentativ, deshalb zog diese Umfrage keine Entscheidungen nach sich.

Der Grund für das fehlende Interesse an diesem Thema mag darin liegen, dass die meisten Menschen von der Zeitumstellung nicht betroffen sind. Für die allermeisten besteht das größte Ärgernis darin, dass sie am letzten Märzwochenende eine Stunde weniger schlafen können.

Weil die meisten Uhren heutzutage automatisch umgestellt werden, ist die Zeitumstellung für die allgemeine Bevölkerung überhaupt kein Thema mehr.

Doch weil die meisten Uhren heutzutage automatisch per Funksignal umgestellt werden, ist die Zeitumstellung für die allgemeine Bevölkerung überhaupt kein Thema mehr.

GEBETSZEITEN Doch was ist mit der jüdischen Bevölkerung? Hat die Zeitumstellung Auswirkungen auf das religiöse Leben? Diese Frage lässt sich leicht mit Ja beantworten. Die Zeitänderung hat einen enormen Einfluss auf jüdisches religiöses Leben.

Denn im Judentum sind mehrere Gebote von der Zeit abhängig, wie Gebete oder der Beginn und der Ausgang von Schabbat sowie Feier- und Fasttagen. Deshalb kann die Änderung um eine Stunde deutlich spürbar sein. Und da bei der Sommerzeit die Uhren vorgestellt werden, heißt das, dass alles später sein wird.

Dies ist vor allem für Beter problematisch. Denn Schacharit, das Morgengebet, darf nur dann gebetet werden, wenn die Nacht vorbei und es nicht mehr dunkel ist. Wenn bei »normaler« Zeit das Morgengebet also um sechs Uhr angefangen werden könnte, wird es bei der umgestellten Sommerzeit erst um sieben Uhr anfangen. Das kann dazu führen, dass jüdische Angestellte entweder sehr schnell und unkonzentriert beten müssen, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, oder auf das Gebet mit Minjan in der Synagoge sogar gänzlich verzichten.

SCHABBAT Eine andere Auswirkung der Zeitumstellung ist, dass sich auch der Schabbat-Beginn und der Anfang jüdischer Feiertage um eine Stunde nach hinten verschieben. Vor allem Ende Juni, wenn der Schabbat bei Sommerzeit gegen 21 Uhr beginnt, gehen kleine Kinder bereits schlafen und verpassen damit den Schabbat-Empfang. Auch für die Erwachsenen ist es nicht leicht: Sie müssen zu so später Stunde noch eine festliche mehrgängige Mahlzeit einnehmen.

Doch der späte Schabbat-Beginn ist nicht das größte Problem. Viel problematischer sind für traditionelle Juden Feste wie Pessach und Sukkot. Der Kiddusch an diesen Feiertagen darf nur dann gemacht werden, wenn es schon dunkel ist. Und wenn man sich vor Augen hält, dass an Pessach nach dem Kiddusch noch ein langer und spannender Seder abgehalten werden sollte, würde man sehr gern so früh wie möglich beginnen. Eine zusätzliche Stunde wegen der Sommerzeit macht da sehr viel aus.

Doch ehrlicherweise muss man sagen, dass der späte Schabbat- und Jom-Tow-Beginn manchmal auch vorteilhaft ist: So können Angestellte am Freitag (oder vor einem Feiertag) eine Stunde länger bei der Arbeit bleiben, was vielen Arbeitnehmern Ärger und Diskussionen mit ihrem Chef erspart.

In Israel, wo es wegen der Nähe zum Äquator sehr früh dunkel wird, fällt die zusätzliche »Sommer-Stunde« nicht sehr stark ins Gewicht.

Interessanterweise sind nicht alle religiösen Juden von diesen Problemen betroffen. In Israel, wo es wegen der Nähe zum Äquator sehr früh dunkel wird, fällt die zusätzliche »Sommer-Stunde« nicht sehr stark ins Gewicht. Doch wird auch dort die Zeitumstellung oft und heftig diskutiert.

JOM KIPPUR Der Grund dafür ist das Ende des Jom-Kippur-Fastens. Auch wenn das Fasten an diesem heiligen Tag unabhängig von der Zeitumstellung 25 Stunden dauert, fühlt es sich wegen der Sommerzeit länger an. In Israel nimmt man Rücksicht auf die fastenden Bürger und beendet die Sommerzeit daher bereits vor Jom Kippur.

Für Juden in Europa ist das Problem mit Jom Kippur noch das geringste. Viel wesentlicher sind die Probleme mit dem Morgengebet und dem späten Schabbat-Beginn. Es verwundert daher nicht, dass, als die EU die Umfrage über die Abschaffung der Sommerzeit durchführte, viele Rabbiner ihre Gemeindemitglieder aufriefen, unbedingt daran teilzunehmen und dafür zu stimmen.

Doch solange es für die nichtjüdische Mehrheit nur darum geht, im März eine Stunde weniger zu schlafen, wird die Sommerzeit in Europa nicht abgeschafft werden, und traditionstreue Juden müssen weiterhin mit den Auswirkungen der Zeitumstellung leben. Aber angesichts der globalen Herausforderungen, vor denen die Welt steht, wird dies zu verschmerzen sein.

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Wajeze

»Hüte dich, darüber zu sprechen«

Die Tora lehrt, dass man ein Gericht anerkennen muss und nach dem Urteil nicht diskutieren sollte

von Chajm Guski  06.12.2024

Talmudisches

Die Tora als Elixier

Birgt die Tora Fallen, damit sich erweisen kann, wer zur wahren Interpretation würdig ist?

von Vyacheslav Dobrovych  06.12.2024

Hildesheimer Vortrag 2024

Für gemeinsame Werte einstehen

Der Präsident der Yeshiva University, Ari Berman, betonte die gemeinsamen Werte der jüdischen und nichtjüdischen Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  05.12.2024

Naturgewalt

Aus heiterem Himmel

Schon in der biblischen Tradition ist Regen Segen und Zerstörung zugleich – das wirkt angesichts der Bilder aus Spanien dramatisch aktuell

von Sophie Bigot Goldblum  05.12.2024

Deutschland

Die Kluft überbrücken

Der 7. Oktober hat den jüdisch-muslimischen Dialog deutlich zurückgeworfen. Wie kann eine Wiederannäherung gelingen? Vorschläge von Rabbiner Jehoschua Ahrens

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  05.12.2024

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024