Talmudisches

Acht Lichter und ein Wunder

Chanukkia: Symbol für das Überleben des jüdischen Volkes Foto: Getty Images/iStockphoto

Der Talmud zitiert im Traktat Menachot 53b einen Vers aus dem Buch Jirmejahu, wo es heißt: »G’tt nannte dich (Israel) einen (…) fruchtbaren Ölbaum« (11,16). Der Talmud sagt, dass das Volk Israel mit einem Ölbaum verglichen wird, denn genauso wie die Ölbäume unzerstörbar sind, so ist auch das Volk Israel unzerstörbar. Laut den talmudischen Weisen kann das jüdische Volk niemals untergehen, unabhängig davon, wie sehr Antisemiten versuchen würden, diese Nation zu vernichten.

Wieso wird gerade der Ölbaum und nicht ein anderer robuster Baum als Metapher für die Unzerstörbarkeit benutzt, was hat es mit dem Öl in der jüdischen Tradition auf sich, und was hat das Ganze mit Chanukka zu tun?
Im Jerusalemer Tempel stand die Menora, ein siebenarmiger Leuchter, der mit rituell reinem Öl gespeist wurde. Das Anfertigen der Menora, die das Wappen des heutigen Staates Israel ist, wird vom Text der Tora befohlen (2. Buch Mose 25, 31–39).

SIEBEN In der Kabbala sind die sieben Lichter der Menora ein Zeichen für die mystische Sieben, welche die Vollkommenheit der Schöpfung symbolisiert: die sieben Tage der Woche, die sieben Flächen des Magen David, die sieben Noten in der Musik, die sieben Farben des Regenbogens, sieben räumliche Sphären (Norden, Süden, Osten, Westen, unten, oben und der Ort, an dem man steht). Laut den Mystikern hat alles einen Bezug zu den sieben Schöpfungstagen im 1. Buch Mose 1.

So wie das Öl heiliggehalten werden sollte, um die Menora zu erleuchten, soll auch die irdische Realität heiliggehalten werden, um unser Leben zu erleuchten.

König Schlomo sagte: »Denn das Gebot ist eine Leuchte und die Tora ein Licht« (Mischlei 6,23). Doch das Öl, das in die Leuchte gefüllt wird, ist die Heiligkeit im Alltag.

Makkabäer An Chanukka feiern wir ein historisches Ereignis der Antike. Die Griechen besetzten und entheiligten den Tempel in Jerusalem. Die Makkabäer, revoltierende Juden, stellten sich gegen die Besatzer und vertrieben die Griechen aus Jerusalem. Im Tempel angekommen, sahen sie, dass es nur noch reines Öl für einen Tag gab. Neues Öl für den Tempel zu pressen, würde aber acht Tage dauern. Doch auf wundersame Weise leuchtete das Öl acht Tage lang, und der Tempeldienst wurde erneut aufgenommen. Als Erinnerung daran legten die Weisen der damaligen Zeit fest, dass jedes Jahr in der Zeit, in der das Wunder geschah, Chanukka gefeiert werden soll.

Dazu soll man einen achtarmigen Leuchter aufstellen, da es sich um acht wundersame Tage gehandelt hat. Einige Rabbiner fragen, warum Chanukka acht Tage lang gefeiert werden soll. Letztendlich hat das Wunder mit dem Öl doch nur sieben Tage stattgefunden. Denn am ersten Tag brannte das noch vorhandene Öl auf natürliche Art und Weise.

Unter den vielen Antworten, die im Laufe der Jahrhunderte auf diese Frage gegeben wurden, befindet sich auch folgende: Wenn die Sieben die Heiligkeit der natürlichen Welt, die sieben Schöpfungstage, symbolisiert, so symbolisiert die Acht das Übernatürliche.

WUNDER Wir unterscheiden zwischen offenen und versteckten Wundern. Ein verstecktes Wunder ist eine Aneinanderreihung von Zufällen. Es geschehen mehrere unwahrscheinliche, aber im Rahmen der Naturgesetze dennoch mögliche Dinge.

Ein offenes Wunder ist das zeitweise Aufheben der Naturgesetze. Während eines Wunders können Zeit und Raum nach neuen Regeln spielen. In unserem Alltag geschehen, wenn überhaupt, dann nur versteckte Wunder. In der Geschichte von Chanukka ereignete sich jedoch ein offenes Wunder. Die Naturgesetze wurden ausgehebelt. Damit steht die Chanukka-Geschichte in starkem Kontrast zu dem einzig anderen von den Rabbinern festgelegten Fest – Purim. Dort dreht sich alles um Zufälle, die zu versteckten Wundern werden.

Der Leuchter des Tempels mit seinen sieben Lichtern ging mit der Zerstörung durch die Römer unter, doch die Chanukkia mit ihren acht Lichtern leuchtet bis heute. Sie ist ein Symbol für das Überleben des jüdischen Volkes, das mit Wundern geschah, die auch die Grenzen von Zeit und Raum übertreten können.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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