Neulich beim Kiddusch

24 Stunden Schabbesschlaf

Foto: imago

Ich muss verrückt sein. Ich habe mich freiwillig zu einem »Glatt koscheren 24-Stunden-Shabaton für Damen« eingeschrieben. Irgendwo in der Pampa, zusammen mit einer Horde Scheitels und einem Rabbiner, der für seine Marathon-Predigten bekannt ist. Und warum das alles? »24 Stunden Gratis-Babysitterservice während der Schiurim«, das ist die besondere Dienstleistung an diesem Wochenende – da konnte ich einfach nicht nein sagen.

Denn meine Zwillinge sind extrem nachtaktiv, haben gerade gelernt zu krabbeln – und ich bin ein Nervenwrack. Für 24-Stunden-Babysitting würde ich im Moment sämtliche meiner entbehrlichen inneren Organe verkaufen. Und während die anderen in den öden Schiurim von Rabbi G. sitzen, halte ich dann eben ein kleines Schläfchen in meinem Hotelzimmer. Kann’s kaum erwarten!

bruchbude Das ist der Stand der Dinge, als ich am Freitagnachmittag nach einer stundenlangen Zugfahrt – die Babys haben nonstop durchgeschrien – in Rabbi G.s Weekend Retreat an der belgischen Küste ein- treffe. Ich wanke durch die Eingangstür. Ein Komitee ziemlich verfilzt aussehender, aber sehr freundlicher Scheitels heißt mich willkommen, serviert mir ein Sortiment versteinerter parve Kekse und geleitet mich zu meinem Zimmer. Ich habe zwar nicht gerade einen 5-Sterne-Palast erwartet, aber die Bruchbude, die ich vorfinde, schockiert mich doch etwas: fleckige Linoleumfußböden, miefiges Treppenhaus, zerfetzte Vorhänge. Egal, das Zimmer hat ein Bett, und ich befinde mich in einem zombieartigen Dämmerzustand vor Müdigkeit.

Ich lege die immer noch schreienden Babys in ihre windschiefen Bettchen, sinke auf der steinharten Hotelmatratze in mir zusammen und bin gerade am Wegpennen, als meine Tür aufgerissen wird. Ich schrecke hoch. Zwei blonde Scheitels erscheinen im Türspalt und schmettern unisono: »Minche Maariv! Minche Maariv! Bitte alle Damen zum Davenen!« Daraufhin schiebt sich die Rebbezin ins Zimmer, begleitet von einem Trupp moppeliger Mädchen. »Wir sind der Babysitterservice.« Ich sinke entkräftet auf mein Bett zurück.

albtraum Dieses Wochenende wird ein Albtraum. Ich schütze Migräne vor, Magenbeschwerden und eingeschlafene Füße – doch die Rebbezin kennt kein Pardon und schiebt mich sanft zur Tür hinaus. »Du kannst ruhig runtergehen, die Mädels kriegen das schon hin!«

Mir fällt keine Ausrede mehr ein, und so schwanke ich die wurmstichige Treppe hinunter in die Lobby, wo der Rabbi eine provisorische Synagoge eingerichtet hat. Ich lasse mich tief in eine Couch sinken und versuche, etwas zu schlafen – aber keine Chance. Rabbi G.s Söhne, Töchter, Brüder und Cousins wuseln geschäftig um mich herum, bereiten alles für den Kiddusch vor und schmettern dabei chassidische Weisen. Janki befüllt den elektrischen Schabbes-Kessel, Avrumi stöpselt Schabbes-Uhren ein und dreht alle Lichter und Heizkörper volle Kanne auf.

Schließlich werden wir zum Gebet in die Synagoge gescheucht. Auch hier ist an Schlaf nicht zu denken. Die Rebbezin sitzt direkt neben mir und beobachtet mich mit Argusaugen. Aufstehen. Amida. Hinsetzen. Schma. Aufstehen. Aleinu. Dann wieder hinsetzen. Kaddisch. Aufstehen. Mein Gehirn funktioniert nur noch auf Autopilot. Endlich ist das Gebet vorbei. Rabbi G. erklimmt das Podium, um das Thema des heutigen Schiurs vorzustellen.

Fossil-Gebäck Ich muss überhaupt nicht hinhören, es ist seit Jahren dasselbe Thema: Ruchnius, Tznius und Midos im heutigen Zeitalter. Aber so weit kommt der Rabbi nicht, auf einmal gibt es einen durchdringenden Knacks und das Licht geht aus. Die Heizung auch. Totaler Stromausfall. Doch Rabbi G. lässt sich von solch marginalen Widrigkeiten nicht abhalten, er beschließt, seinen Schiur einfach fortzusetzen. Die Rebbezin serviert im Dunkeln wieder ihr Fossil-Gebäck, der Rabbi kommt jetzt richtig in Fahrt – und mein Kopf wird immer schwerer ...

Das Nächste, was ich mitbekomme, sind die zwitschernden Vöglein am anderen Morgen. Ein wundervoller Morgen, denn ich habe die ganze Nacht durchgeschlafen. Um mich herum sind diverse Damen auf verschiedenen Sofas und Stühlen verteilt und schnarchen diskret vor sich hin. Ich gehe nach oben, um nach meinen Kindern zu sehen: Die drei Babysitter liegen als schnarchende Häufchen in der Zimmermitte, die Babys schlafen tief und fest. Das Leben ist schön.

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024

Halacha

Die Aguna der Titanic

Am 14. April 1912 versanken mit dem berühmten Schiff auch jüdische Passagiere im eisigen Meer. Das Schicksal einer hinterbliebenen Frau bewegte einen Rabbiner zu einem außergewöhnlichen Psak

von Rabbiner Dovid Gernetz  11.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Schemini

Äußerst gespalten

Was die vier unkoscheren Tiere Kamel, Kaninchen, Hase und Schwein mit dem Exil des jüdischen Volkes zu tun haben

von Gabriel Rubinshteyn  05.04.2024

Talmudisches

Die Kraft der Natur

Was unsere Weisen über Heilkräuter lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  05.04.2024