Friedensnobelpreis

Zu viel der Ehre

Mit der Auszeichnung will das Osloer Komitee die friedensstiftende Funktion der europäischen Integration würdigen. Foto: ddp

Der tschechische Präsident Vaclav Klaus hielt die Nachricht für einen »Scherz«: Die Europäische Union erhält den Friedensnobelpreis 2012. Wenn das ein Scherz ist, dann allerdings ein schlechter. Zumindest aus jüdischer und israelischer Sicht.

Seit Jahren betonen führende EU-Vertreter, die friedliche Beendigung des sogenannten Nahostkonfliktes sei einer der Schwerpunkte ihrer Außenpolitik. Der Zustand der Region spricht nicht gerade für den Erfolg dieser Mission: atomare Aufrüstung des Iran, permanenter Beschuss israelischer Zivilisten durch Terroristen aus dem Gazastreifen, immer wieder Anschläge auf israelische Verteidigungskräfte an den Außengrenzen, wirtschaftliche und demokratische Stagnation in den Palästinensergebieten.

Aber nicht nur das: Allzu oft hat die EU in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Nachsicht gegenüber antiisraelischem und antijüdischem Terrorismus an den Tag gelegt. Nicht erst die zynischen Äußerungen der EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton nach den Anschlägen von Toulouse im März, als sie die dort ermordeten jüdischen Schüler indirekt mit getöteten palästinensischen Kindern aufrechnete, stehen dafür. Brüssel weigert sich auch weiterhin beharrlich, die Hisbollah auf die EU-Terrorliste zu setzen.

Terror Sehr viel eindeutiger sind die Reaktionen, wenn Israel sich gegen Terror wehrt. Beispiel 2002: Zwei Tage nach dem blutigen Anschlag der Hamas auf die Hebräische Universität in Jerusalem startete die Zahal eine Offensive in den Palästinensergebieten. Dabei wurden auch verschiedene Rundfunkstationen und andere Einrichtungen der Autonomiebehörde, die offen und nachweisbar dazu dienten, junge Selbstmordattentäter zu rekrutieren, zerstört. Europa verurteilte die Aktion umgehend und scharf. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft forderte Wirtschaftssanktionen gegen Israel, das EU-Parlament stimmte für den »sofortigen« Abbruch aller Handelsbeziehungen zum jüdischen Staat.

Kein Wunder: Die EU hatte die zerstörten Einrichtungen mit Millionen Steuergeldern finanziert. Auch die 40.000-Mann-»Sicherheitskräfte« der palästinensichen Autonomiebehörde unter Jassir Arafat wurden von Brüssel materiell unterstützt. Damit sponserte Europa – wie beschlagnahmte Dokumente bewiesen, die die israelische Regierung veröffentlichte – den Bombenbau der Al-Aksa-Brigaden von Arafats Fatah während der zweiten Intifada. Der blutige Aufstand kostete mehr als 1000 Israelis das Leben.

Gaza Ein ähnliches Amalgam aus Antisemitismus und brachial-idealistischer Weltfremdheit erlebte man auch bei der einhelligen Verurteilung des Einsatzes gegen das »Hilfsgüter«-Schiff Mavi Marmara durch EU-Institutionen: An allem Elend ist Israel schuld. Die EU bezahlte auch Hunderttausende Schulbücher für UN-Schulen in Gaza und der Westbank, in denen schlimmster Judenhass in kindgerechter Comic-Form aufbereitet wurde.

Zudem unterstützt sie heute mehr denn zuvor – oft über dubiose Umwege – Dutzende Nichtregierungsorganisationen, die zum Boykott israelischer Produkte aufrufen oder Kritik an israelischen Missständen als Vehikel nutzen, um das Existenzrecht des Landes infrage zu stellen.

Zu Menschenrechtsverletzungen in den Palästinensergebieten dagegen hat man von der EU selten etwas gehört. So distanziert sich die EU gegenüber dem jüdischen Staat immer wieder geriert, so wenig Berührungsängste zeigte sie, wenn es um Kontakte zu repressiven arabischen Regimes ging – von Saddams Irak bis Gaddafis Libyen: Jahrelang bezahlte man Tripolis Millionensummen, um Flüchtlinge von Europa fernzuhalten. Die EU-Asylpolitik verweigert auch Flüchtlingen vor dem islamistischen Alltagsterror Zuflucht: verfolgten Homosexuellen, afghanischen Frauen, iranischen Künstlern. Dagegen konnten in den Siebzigern der »Rote Prinz«, Ali Hassan Salameh, und andere Terrorpaten der PLO in Europa unbehelligt Unterschlupf finden.

Wohlstand Zweifellos ist das Europa der Europäischen Union nun seit Jahrzehnten ein Hort des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands. Lange galt das auch für die jüdischen Bürger. Inzwischen aber können sich in EU-Europa Juden zumindest nicht mehr überall sicher fühlen – von den französischen Banlieues über Berlin-Friedenau bis ins schwedische Malmö.

Im Testament von Alfred Nobel heißt es, preiswürdig sei, wer »am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker (...) hingewirkt« und damit »der Menschheit den größten Nutzen erbracht« hat. Trifft das auf die Außenpolitik der Europäischen Union tatsächlich zu? Den Preis hätten andere verdient: die Demonstranten in Libyen, Tunesien und Ägypten, die mit dem Mut der Verzweiflung gegen die drohende Islamisierung aufbegehren.

Und die EU? In den Naturwissenschaften werden alljährlich ironisch »Ig-Nobelpreise« für besonders fragwürdige »Leistungen« vergeben. Brüssel wäre mit seiner Nahostpolitik ein geeigneter Kandidat, sollte jemals eine politische Kategorie dieser dubiosen Ehrung eingeführt werden.

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