Streitfrage

Zaungäste in Zion

Touristen an der Kotel: Jeder Jude darf in Jerusalem beten. Dort zu wählen bleibt den Israelis vorbehalten. Foto: Flash 90

Fangen wir mit den rassistischen Übergriffen in Abu Gosch an. Extreme Siedler einer Gruppierung, die sich selbst »Preisschild« nennt, haben in diesem arabischen Dorf in der Nähe von Jerusalem Autoreifen aufgeschlitzt; außerdem sprühten sie »Araber raus« und ähnliche Nettigkeiten an die Wände. Die Knesset hat »Preisschild« nicht als Terrororganisation eingestuft, sondern lediglich als Gruppierung, die dem Terrorismus zuarbeitet. Zu Recht?

Die meisten Amerikaner finden solche Aktionen ohne Wenn und Aber abscheulich: auch deshalb, weil sie sich durch sie an die finsteren Zeiten erinnert fühlen, als in den amerikanischen Südstaaten noch der Ku-Klux-Klan mitregierte. Wäre es nicht gut, wenn Amerikas Juden ein Wörtchen mitzureden hätten, um solche Gruppen sehr deutlich zu verurteilen? Sollte die jüdische Diaspora nicht die Möglichkeit haben, ihre Stimmen in die Waagschale zu werfen, wenn das israelische Parlament gewählt wird?

spender Erinnern wir uns aber auch an den Gazastreifen. 2005 beschloss Ariel Scharon, ihn räumen zu lassen und den Palästinensern zu überlassen. Seither ist dort ein Disneyland des Terrors entstanden. Hamas und Islamischer Dschihad wetteifern miteinander, wer mehr Raketen auf israelische Zivilisten abschießt. Unter amerikanischen Juden war Scharons Entscheidung seinerzeit hoch umstritten. Hätten sie mitbestimmen können, hätte der Rückzug aus dem Gazastreifen – der möglicherweise ein Fehler war – vielleicht vermieden werden können.

Und ist Jerusalem denn nur die Hauptstadt Israels, gehört sie nicht dem gesamten jüdischen Volk? Soll das jüdische Volk es einer Regierung überlassen, die nur von den Israelis gewählt wird, was in künftigen Verhandlungen mit seiner ewigen Hauptstadt geschehen soll?

Außerdem: Spenden amerikanische Juden nicht jedes Jahr viel Geld, damit der jüdische Staat wachse und gedeihe? Erwerben sie damit nicht gleichzeitig auch das Recht, über die israelische Politik mitzubestimmen? Und was ist mit den berühmten drei Milliarden Dollar Hilfszahlungen, die Amerika jedes Jahr an Israel überweist – einer Alimentierung, die es ohne die berühmte jüdische Lobby in Washington womöglich schon längst nicht mehr gäbe? Berechtigen nicht auch jene drei Milliarden die Juden der Welt, an israelischen Wahlen teilzunehmen?

staatsbürger Nein, keineswegs. Es handelt sich hier um eine Schnapsidee. Dass sie immer wieder neu ernsthaft aufs Tapet gebracht wird, macht sie nicht weniger bescheuert. Diasporajuden sollen in der israelischen Politik nicht mitbestimmen dürfen – erstens aus Prinzip, zweitens aus Prinzip und drittens noch einmal aus Prinzip.

Erstens: Israel ist ein souveräner, demokratischer Nationalstaat. Das war der Sinn und Zweck des zionistischen Unternehmens, deswegen gibt es dieses Land überhaupt. In einem souveränen Nationalstaat haben die eigenen Bürger das Sagen – übrigens nicht nur die jüdischen Bürger, sondern auch die Araber, auch die Drusen und die anderen Minoritäten. Bürger anderer Länder haben jenem Nationalstaat nichts Substanzielles dreinzureden. Sie dürfen eine Meinung haben und diese öffentlich kundtun; bitte, unbedingt. Aber sie sollen nicht mitbestimmen. Das gilt überall auf der Welt, warum sollte es ausgerechnet im Falle Israels anders sein?

Zweitens: »No taxation without representation« – das war im 18. Jahrhundert der Schlachtruf der amerikanischen Revolution. Übersetzung: Wir zahlen Steuern, also wollen wir gefälligst auch mitreden, wie diese Steuergelder verwendet werden. Diesen Schlachtruf kann man freilich auch umdrehen, dann lautet er: »No representation without taxation«. Kein einziger Diasporajude wird ja gezwungen, israelische Steuern zu bezahlen. (Müsste er, würde mancher Amerikaner sich schwer bedanken – die israelischen Steuersätze sind ungemütlich hoch.) Spenden, auch wenn sie noch so großzügig sein mögen, sind freiwillige Zahlungen. Sie berechtigen zu gar nichts.

Betroffene Drittens: Diasporajuden sind nicht gezwungen, mit den Konsequenzen von israelischen Wahlentscheidungen zu leben. Israelis schon. Vielleicht war es falsch, den Gazastreifen zurückzugeben; vielleicht war es das Einzige, was Scharon 2005 zu tun übrig blieb. In jedem Fall sind es nicht die Mitglieder des Reformtempels Sinai in Las Vegas, denen hinterher die Raketen um die Ohren fliegen.

Dies gilt (nebenbei bemerkt) für beide Seiten des politischen Spektrums – für den jüdischen Besserwisser, der sicher in seiner Villa im Grunewald sitzt, aber bis zum letzten Blutstropfen der israelischen Armee kämpfen würde; und es gilt ebenso für den idealistischen Collegestudenten in der Upper West Side, der nachts vor Angst, dass Israel seine Seele verliert, nicht schlafen kann. Wer möchte, dass in Israel seine Stimme zählt, der muss sich die kleine Mühe machen, einzuwandern und israelischer Bürger zu werden. Wir anderen können aus dem Abseits unseren Senf dazugeben. Mitbestimmen aber dürfen wir nicht.

Israel

Ein zarter Neuanfang

Bei seinem Antrittsbesuch in Jerusalem wollte Bundeskanzler Friedrich Merz das zuletzt stark belastete Verhältnis zum jüdischen Staat kitten. Ist es ihm gelungen? Eine Analyse

von Philipp Peyman Engel  07.12.2025

Jerusalem

Netanjahu: »Stellen Sie sich vor, jemand würde Deutschland vernichten wollen«

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz lobte der Premierminister Bundeskanzler Merz als verständigen Gesprächspartner und rechtfertigte Israels hartes Vorgehen gegen die Hamas

 07.12.2025 Aktualisiert

Israel

Berichte: Netanjahu traf Blair heimlich zu Gaza-Zukunft

Bei einem Treffen zwischen Netanjahu und Blair soll es um Pläne für die Zukunft des Gazastreifens gegangen sein. Für Blair ist eine Rolle in Trumps »Friedensrat« vorgesehen

 07.12.2025

Justiz

Gericht bestätigt Verbot der Parole »From the river to the sea«

Ein von der Stadt Bremen erlassenes Verbot sei rechtmäßig, entschied nun das Verwaltungsgericht Bremen

 07.12.2025

Yad Vashem

Merz: »Wir werden die Erinnerung lebendig halten«

Es ist einer der wichtigsten Antrittsbesuche für Kanzler Merz. Der zweite Tag in Israel beginnt für ihn mit dem Besuch eines besonderen Ortes

 07.12.2025

Umfrage

KAS-Studie: Antisemitische Vorurteile nehmen bei Türkeistämmigen zu

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat eine neue Studie zum Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft vorgelegt. Dabei wurden auch Einstellungen zu Juden abgefragt

 07.12.2025

Simi Valley

»Vorbildliche Verbündete«: Hegseth nennt Israel und Deutschland

Die Signale, die jüngst aus den USA in Richtung Europa drangen, waren alles andere als positiv. Der US-Verteidigungsminister findet nun allerdings nicht nur Lob für den jüdischen Staat, sondern auch für einige EU-Staaten

 07.12.2025

Soziale Medien

Musk nach Millionenstrafe gegen X: EU abschaffen

Beim Kurznachrichtendienst X fehlt es an Transparenz, befand die EU-Kommission - und verhängte eine Strafe gegen das Unternehmen von Elon Musk. Der reagiert auf seine Weise

 07.12.2025

Jerusalem

Merz: Deutschland wird immer an der Seite Israels stehen

Der Bundeskanzler bekräftigt bei seiner Israel-Reise die enge Partnerschaft. Am Sonntag besucht er die Yad Vashem und trifft Premierminister Netanjahu

von Sara Lemel  07.12.2025 Aktualisiert