Peter Limbourg

»Wir werden hart durchgreifen«

DW-Intendant Peter Limbourg Foto: picture alliance / dpa

Herr Limbourg, bei der Deutschen Welle (DW) reiht sich seit Wochen ein Antisemitismus-Skandal an den anderen. Das Ausmaß ist schockierend. Wie konnte es dazu kommen?
Die Vorwürfe sind in der Tat schockierend. Und wenn sich erhärten sollte, dass diese Vorwürfe berechtigt sind, dann ist es an der Zeit, ganz klar durchzugreifen und Dinge zu verändern. Doch im Moment reden wir noch nicht von Beweisen, sondern von Vorwürfen – und die müssen erst einmal gründlich untersucht werden. Dazu haben wir eine Kommission beauftragt, unter Leitung der ebenso kompetenten wie unbestechlichen Antisemitismusexperten Ahmad Mansour und der Antisemitismusbeauftragten von Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Danach sehen wir klarer.

Mehrere DW-Mitarbeiter der arabischen Redaktion haben im Internet antisemitische und israelfeindliche Äußerungen gepostet. Roya TV, der jordanische Partnersender, teilte in den sozialen Medien antisemitische Kommentare und Karikaturen, die an das NS-Hetzblatt »Der Stürmer« erinnern. Farah Maraqa, seit 2017 bei der Deutschen Welle in Berlin, hat Israel als »Krebs« bezeichnet, der herausgeschnitten werden müsse. Es gibt noch viele weitere Beispiele. Warum hat Ihr Sender nicht genau hingeschaut, wen er einstellt und mit wem er zusammenarbeitet? Entweder war es Nachlässigkeit oder Vorsatz. Beides wäre fatal …
Mir waren weder die Posts noch die Äußerungen bekannt. Aber es ist doch ganz klar, dass wir Antisemitismus und Israelhass nicht tolerieren werden. Ich verurteile Judenhass in jeder Form. Deshalb haben wir die dringende Aufgabe, weitere etwaige Vergehen solcher Art unverzüglich zu unterbinden. Gleichzeitig müssen wir schauen, was wir intern verbessern müssen und welche Strukturen möglicherweise dazu führen, dass es Missstände gibt. Es geht ja nicht nur um den Ruf der Deutschen Welle. Es geht auch darum, ein klares Bekenntnis abzulegen, dass der Kampf gegen Judenhass ernst genommen wird – in Deutschland und bei uns im Sender. Wir werden künftig schnell und hart durchgreifen, wenn es zu einem weiteren Fall kommen sollte.

Welche Konsequenzen werden das sein?
Klare Sache: Für Hetze gegen Juden und den jüdischen Staat gibt es bei der Deutschen Welle keinen Platz. Wir werden unseren Code of Conduct, den Verhaltenskodex, noch einmal schärfen. Beim Recruiting werden wir in Zukunft auch noch genauer hinschauen. Wir werden natürlich nicht alle Einträge der Mitarbeiter der letzten zehn Jahre überprüfen können, aber akribischer recherchieren müssen wir auf jeden Fall. Und noch klarere Ansagen gegenüber den Mitarbeitern machen, wie unmissverständlich unsere Haltung zum jüdischen Leben und zum jüdischen Staat ist. Das ist womöglich, auch weil für uns der Kampf gegen Antisemitismus selbstverständlich ist, nicht bei allen klar genug angekommen.

Und doch: Wie kann es sein, dass in Ihrer arabischsprachigen Redaktion offenkundig ein Klima herrschte, in dem die Redakteure meinen, sich ungestraft derart äußern zu können?
Man muss festhalten, dass es sich nicht um Posts handelt, die leicht zu finden waren, sie wurden größtenteils gelöscht und sind aus mehreren Jahren zusammengetragen worden. Teilweise stammen sie aus der Zeit, bevor diese Mitarbeiter bei uns angefangen haben. Damit möchte ich nichts relativieren, aber der Vollständigkeit halber muss das gesagt werden. Ich bin mir sicher: Wenn es bekannt gewesen wäre, wären wir sofort eingeschritten. Für die arabische Redaktion in ihrer Gesamtheit möchte ich sagen, dass sie sich klar gegen Antisemitismus und Israelhass positioniert. Es darf nun trotz allem keinen Generalverdacht geben.

Der Chefredakteur des jordanischen Partnersenders Roya TV hat grässliche antisemitische Karikaturen geteilt. Die Deutsche Welle arbeitete mit dem Sender seit mehr als zehn Jahren zusammen, hat dem Chefredakteur sogar einen Preis verliehen. Es wirkt wenig plausibel, dass Ihr Sender nicht mitbekommen haben will, wes Geistes Kind ein so enger Partner ist.
Roya TV ist in der arabischen Welt als liberaler und offener Sender bekannt. Er macht sich für Menschenrechte stark und für Demokratie. Grundsätzlich ist es aber eine Tatsache, dass das Bild Israels in der arabischen Welt extrem kritisch ist. Diese Konflikte spiegeln sich auch in den dortigen Medien wider. In diesem Umfeld haben wir bei Koproduktionen in Jordanien zum Beispiel Sendungen über Themen wie Gewalt gegen Frauen, Jugendarbeitslosigkeit und das Schicksal syrischer Flüchtlinge gemacht.

Wie viele DW-Kooperationspartner gibt es in der arabischen Welt?
Es sind sechs Fernsehsender, die Distributionspartner sind, und rund 200 weitere Medienplattformen, in deren Programme unsere Inhalte eingespeist werden.

Können Sie ausschließen, dass weitere antisemitische Inhalte oder Posts von Kooperations- oder Distributionspartnern der Deutschen Welle ans Licht kommen?
Nein. Das kann niemand. Und sollten weitere Fälle bekannt werden, werden wir auch diese aufklären und mit den Partnern darüber diskutieren. Aber wir können letztendlich nicht für jeden Post der Mitarbeiter unserer Partner die Verantwortung tragen. Über eine veränderte Bewertung unserer Distributionspartner werden wir intensiv mit unseren Gremien sprechen.

Die Deutsche Welle hat den öffentlich-rechtlichen Auftrag, den Werten der Bundesrepublik in der Welt ein Forum zu geben. Verständigung erzielt man nicht mit Gleichgesinnten, das ist klar. Zieht Ihr Sender beim Thema Juden- und Israelhass eine rote Linie – oder fängt genau da Ihr Auftrag erst richtig an?
Wir haben den Auftrag, auch mit Menschen in den Dialog zu kommen, die anders denken als wir. Unsere Werte sollen im Austausch mit ihnen Niederschlag finden. Das ist ganz wichtig. Wir können den Dialog mit der arabischen Welt nicht einstellen. Deswegen müssen und wollen wir mit Distributionspartnern, so kompliziert das manchmal auch sein mag, weiter zusammenarbeiten. In arabischen Ländern und Gesellschaften ist viel in Bewegung, gerade die Jugend dort ist freiheitlicher orientiert. Es gibt immer mehr Regierungen, die Israel anerkennen oder mit Israel kooperieren. Diese Entwicklung sollten wir unterstützen, und das geht nur im Dialog.

Sind für Sie die Grenzen des Dialogs beim Verbreiten von Judenhass und israelbezogenem Antisemitismus erreicht?
Ja. Wer in seinem eigenen Programm puren Antisemitismus verbreitet, mit dem wird die Deutsche Welle nicht zusammenarbeiten.

Insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gab es in den vergangenen Monaten immer wieder Antisemitismus-Vorwürfe gegen muslimische Journalisten. Nemi El-Hassan beim WDR, Yasmin Ayhan beim ZDF, Funk, ein Ableger von ARD und ZDF, fällt in diesem Zusammenhang auch immer wieder äußerst negativ auf. Wird im Namen von Vielfalt und Diversität beim Thema Antisemitismus bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht genau genug hingeschaut?
Wir tun in unseren Programmen sehr viel, um gegen Judenhass vorzugehen und für mehr Dialog zu werben. Ein strukturelles Problem bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sehe ich nicht, eher ein gesamt­gesellschaftliches Problem, das sich auch bei den Medien niederschlägt. Wenn es bei uns vereinzelt Mitarbeiter gibt, die beim Thema Israel die Trennschärfe zwischen Hetze und Kritik nicht kennen, müssen wir darauf entschlossen reagieren.

Gilt das auch für die Ideen der BDS-Bewegung, die laut Deutschem Bundestag in Zielen und Handlungen antisemitisch und israelfeindlich ist?
Auch hier ein klares Ja. Für diese Positionierung wurden wir übrigens in der arabischen Welt harsch kritisiert. Doch bei Judenhass gibt es keinen Spielraum. Das heißt nicht, dass wir im journalistischen Alltag nicht auch kritisch mit der israelischen Regierung und Gesellschaft umgehen sollen. Da gibt es genau wie hierzulande auch genug zu kritisieren. Wir sind aber deswegen nicht »Israel-kritisch«. Wir sind ja auch nicht »China-kritisch«, wenn wir über die Politik der Regierung und Partei in Peking berichten, oder »Frankreich-kritisch«, wenn wir Fehler von Präsident Macron thematisieren.

Mit dem Intendanten der Deutschen Welle sprach Philipp Peyman Engel.

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Berlin

Humboldt-Universität will gegen Antisemitismus vorgehen

Präsidentin Julia von Blumenthal sieht ihre Hochschule für künftige Auseinandersetzungen rund um den Nahost-Konflikt gut vorbereitet

von Lukas Philippi  12.09.2025

Gaza

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  12.09.2025

Nachkriegsjustiz

Verhandlung über Massenmord: Vor 80 Jahren begann der Belsen-Prozess

Fünf Monate nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen erhob ein britisches Militärgericht in Lüneburg Anklage gegen die Täter. In einer Turnhalle begann damit vor 80 Jahren der erste große NS-Kriegsverbrecherprozess in Deutschland

von Karen Miether  12.09.2025

Belgien

Deutsche Botschaft beendet Partnerschaft mit Gent-Festival

Die Deutsche Botschaft in Brüssel hat nach der Ausladung der Münchner Philharmoniker ihre Zusammenarbeit mit dem Flandern-Festival in Gent eingestellt

von Michael Thaidigsmann  11.09.2025

Debatte

Zentralrat nennt Ausladung Shanis »fatales Signal«

Wer einen Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner jüdischen Religion ausgrenzt und diskreditiert, trete die Demokratie mit Füßen

 11.09.2025

Berlin

Soziale Medien: »TikTok-Intifada« und andere Probleme

Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich auf einer Fachtagung mit Hass im Netz: »Digitale Brücken, digitale Brüche: Dialog in Krisenzeiten«

 11.09.2025

Urteil

Bundesgerichtshof bestätigt Geldstrafen gegen Höcke

Das Landgericht Halle habe in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der AfD-Politiker die verbotene SA-Parole »Alles für Deutschland« und »Alles für« gerufen hat

 11.09.2025

Antisemitismus

Gesetze der Ausgrenzung - Vor 90 Jahren wurden die antijüdischen Nürnberger Gesetze erlassen

Die menschenverachtenden Nürnberger Gesetze bildeten die juristische Legitimation für Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Erlassen wurden sie vor 90 Jahren

von Jutta Olschewski  11.09.2025