München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Ahmad Mansour Foto: Robert Gongoll

Gleich drei der zur zweiten Münchner Demokratiekonferenz aus Berlin angereisten Panelisten - die Frauenrechtlerin und ehemalige Rechtsanwältin Seyran Ateş, der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour sowie Philipp Peyman Engel, Chefredakteur dieser Zeitung - überraschten mit einer Feststellung: »Wir kommen so gerne nach München, in eine Stadt, die Sicherheit im öffentlichen Raum bietet – es sei ein Aufatmen.«

Die diesjährige von der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER) und der Bayerischen Staatsregierung veranstalteten Tagung in der bayerischen Landeshauptstadt stand unter dem Leitthema »Demokratie und Freiheit in Zeiten der Bewährung«.

CER-Präsident Rabbiner Pinchas Goldschmidt eröffnete den Konferenztag mit den Worten: »Nur Menschen, die sicher sind, können frei sein.« Er wies auf den Irrtum hin, Sicherheit und Freiheit stünden einander entgegen. Goldschmidts Appell: »Regierungen und die Zivilgesellschaft müssen alles dafür tun, dass jeder sicher ist. Dann ist der Mensch frei. Diese Freiheit darf aber nicht benutzt werden, um die Sicherheit anderer einzuschränken.«

Rabbiner Pinchas Goldschmidt

Angesichts des vor allem nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am  7. Oktober 2023 sprunghaft angestiegenen Antisemitismus warnte der Rabbiner eindringlich davor, dass dieser rückblickend immer ein Vorbote größerer Katastrophen in unserer Geschichte war. »Antisemitismus ist heute auch das Ziel, Europa und seine Demokratien zu zerstören«, so Goldschmidt.

Dass Menschen »frei« Morddrohungen aussprechen oder sich »frei« Parallelgesellschaften bilden können, die die Gesellschaft herausfordern und deren Gewaltbereitschaft immer mehr Raum gewinnt, will auch Seyran Ateş nicht akzeptieren. Besonders nach dem  7. Oktober 2023 sei der Hass auf den Straßen Berlins explodiert.

Für Philipp Peyman Engel ist klar: »Das Halten an die Verfassung und an Recht und Gesetz ist das, was uns verbindet – und ganz banal verbinden muss.« Mit Unfreiheit habe das nichts zu tun. Dennoch werde man mit einer solchen Haltung fälschlicherweise von manchen in die rechtsextreme Ecke gestellt. Seyran Ateş stimmte ihm ausdrücklich zu. Deswegen sei Bildung so wichtig, unterstrich sie. Auf dem Lehrplan müsse von Anfang an stehen: Lesen, Schreiben, Rechnen und Demokratievermittlung, so die Berliner Juristin und Frauenrechtlerin.

Konferenzmoderator Oliver Rolofs kritisierte, dass Politik und größere Teile der Gesellschaft sich lange zu tolerant gegenüber Intoleranz gezeigt hätten. Er forderte, dass das Schweigen der bürgerlichen Mitte ein Ende haben müsse und sie sich laut  gegen extremistische Schreihälse positionieren müsse. Auch warb er für mehr Diskurskultur: »Wir müssen von der «Emokratie» wieder zurück zur Demokratie kommen, in der wir einander zuhören und uns aktiv einbringen.

Zuvor hatte die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eindringlich gemahnt, Freiheitsrechte und den Rechtsstaat «mit allen Mitteln verteidigen gegen Populisten und Extremisten.» Ihr Appell : «Menschen fühlen sich dann frei, wenn sie sich sicher fühlen können.» Seyran Ateş brachte es so auf den Punkt: «Selbstverständlich werden mit Sicherheitsmaßnahmen Freiheiten eingeschränkt. Aber ich kann mir Freiheit ohne Sicherheit gar nicht denken – oder Sicherheit ohne Freiheit.»

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Die CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, warnte mit Blick auf die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte davor, das «es wieder passieren kann».

Auch der Hass im Internet habe nichts mit Freiheit zu tun, lautete der Tenor vieler Redner bei der Demokratiekonferenz.  Ahmad Mansour nannte die jüngsten Entwicklungen in den sozialen Medien die größte Gefahr für die Demokratie heute. «Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative. Heute haben Influencer die Macht, eine Demokratie durch Desinformation und Fake News zu zerstören», sagte Mansour. Die Bedrohung sei global – unabhängig davon, ob Extremismus von rechts, links oder von Islamisten komme.

Es war die zweite Ausgabe der Demokratiekonferenz, die in München stattfandFoto: Robert Gongoll

Die Idee, dass die Zivilgesellschaft alle in Hassbotschaften einordnen und melden soll, hält Mansour für unrealistisch. Der Großteil von Hetze und Desinformation bleibe im Netz stehen und werde nicht entfernt.

Dies sei «einer pluralistischen und von Respekt geprägten demokratischen Öffentlichkeit abträglich», resümierte auch Manon Westphal von der Technischen Universität München. Algorithmen verstärkten vor allem negative Inhalte. Westphal forderte deshalb neue Algorithmen für eine demokratische Öffentlichkeit, «die den respektvollen Austausch über Differenzen hinweg ermöglichen» sollen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnte in seiner Rede vor den Gefahren durch Desinformation und Verschwörungstheorien in sozialen Medien. Diese untergrüben das Vertrauen in demokratische Institutionen, Prozesse, Medien und Wissenschaft und säten Zweifel und Misstrauen.

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