Tschechien

Wir spielen die Nazizeit nach

Der SS-Mann verbreitet einfach keine Angst. Dabei hat sich der Mann mit seinen streng gescheitelten Haaren und dem langen Ledermantel zu einer Familie an den Küchentisch gesetzt, die er verdächtigt, eine Aufständische zu beherbergen. Aber die Familie lässt sich nicht stören, sie ignoriert ihn.

Es ist eine Szene aus dem tschechischen Fernsehexperiment namens »Urlaub im Protektorat«. Eine ganze Familie mitsamt Oma und Enkeln wird dafür in ein einsames Bauernhaus auf dem Land eingesperrt und soll dort erleben, wie die Zeit der deutschen Besatzung gewesen ist: Lebensmittelknappheit, Gestapospitzel, Partisanenkämpfe und eben unwillkommene Besuche von der SS.

experiment Der öffentlich-rechtliche Sender Ceska Televize steht hinter dem Experiment, das in Tschechien geteilte Reaktionen hervorruft: Als pädagogische Sendung sehen es die einen und hoffen, damit das Geschichtsinteresse der Nachgeborenen wecken zu können; die anderen kritisieren das Projekt als zynisch.

Dass sie sich mit ihrem Film, der in acht Folgen ausgestrahlt wird, auf schwierigem Terrain bewegt, weiß Regisseurin Zora Cejnková. »Es war eine völlig andere Zeit als unsere, sie hatten nicht nur andere Kleidung, sondern dachten auch anders. Es ist nicht schwierig, sich zeitgemäß zu kleiden – aber es so einzurichten, dass man die Zeit und die Ereignisse so erlebt wie unsere Großeltern, das braucht mehr«, sagt sie.

Deshalb lässt sie regelmäßig Schauspieler auftreten, die als Bürgermeister, als Nazis oder als Partisanen für Zwischenfälle sorgen sollen. Und die Familie selbst bekommt immer neue Aufgaben, von der Ernte eines Buchweizenfeldes bis zum Flicken eines Hemdes. Diese fiktive Vergangenheit aber stößt auf harsche Kritik. »Leute, die damals nicht gelebt haben, können sich nicht so verhalten oder fühlen wie wir damals. Oder wie die Tschechen damals. Das ist ausgeschlossen und das ist gefälscht«, sagt etwa die mährische Schoa-Überlebende Trude Simonsohn in einem Beitrag des NDR.

Und Dina Porat, Professorin an der Uni Tel Aviv und Chefhistorikerin von Yad Vashem, bezeichnet die Show als geschmacklos: »Wenn man mit so einem Spiel zeigt, wie es sich in der Vergangenheit gelebt hat, beeinflusst man damit für die Zuschauer die Möglichkeit zu erfahren, wie es tatsächlich gewesen ist. Die Wirklichkeit lässt sich anschließend nur sehr schwer vermitteln.«

unterhaltung Eine öffentliche Debatte hat das TV-Format in Tschechien nicht hervorgerufen. Es wird vor allem als Unterhaltungsformat betrachtet – und entsprechend bewertet: Als »spaßige Kulisse für ein Gewinnspiel« oder als »improvisierte Vorstellung schlechter Schauspieler« beurteilen Kritiker das Spektakel, ohne sich mit dem Sinn einer solchen Geschichtsvermittlung zu beschäftigen.

Die Sendung »Urlaub im Protektorat« fällt in eine Zeit, in der in Tschechien allmählich ein neuer Umgang mit der Vergangenheit gepflegt wird. Das betrifft vor allem die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als deutschsprachige Bürger aus dem Land vertrieben worden sind. Während in der kommunistischen Propaganda immer die Angst vor den Deutschen und ihren vermeintlichen Restitutionsansprüchen geschürt wurde, setzt sich in den vergangenen Jahren immer stärker ein differenzierter Blick durch, in dem auch die eigene Schuld thematisiert wird.

Erst vor wenigen Wochen hat die Stadt Brünn ein Dokument verabschiedet, in dem sie ihr Bedauern über das Leid der Vertriebenen äußert. Vielerorts entstehen an den Orten von Gräueltaten an Deutschen auch Denkmäler.

Ob »Urlaub im Protektorat« aber wirklich in diesen Prozess des Umdenkens passt, ist fraglich.

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Ideologen mehr zu wissen scheinen als Expertinnen

Der Antisemitismusbekämpfer und bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel, ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert

Vor 80 Jahren

Zentralrat der Juden: Nürnberger Prozesse waren Wendepunkt

Es waren hochrangige NS-Kriegsverbrecher, die vor 80 Jahren in Nürnberg vor Gericht standen. Was diese Prozesse aus Sicht des Zentralrats der Juden bedeuten - auch heute

von Leticia Witte  21.11.2025

Paris

EJC warnt vor wachsender Radikalisierung junger Menschen im Netz

»Hass ist viral gegangen«, sagt Moshe Kantor, der Präsident der Organisation

 21.11.2025