Erinnerung

Wie das Gedenken erhalten werden soll

Restauratoren konservieren zwei Koffer aus der Sammlung der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Foto: KNA

110.000 Schuhe, 40 Kilo Brillen, 3800 Koffer und fast zwei Tonnen Haare, die den Todgeweihten von den Köpfen geschoren wurden: Diese und viele andere Dinge erinnern in Auschwitz-Birkenau an die hier von Deutschen ermordeten etwa 1,1 Millionen Menschen. Mit viel Mühe restaurieren Konservatoren in der heutigen Gedenkstätte die Hinterlassenschaften der Opfer – sonst wäre vieles davon fast 75 Jahre nach der Befreiung des KZs schon zerfallen.

Die Erhaltung der Überreste des Holocaust ist eine endlose Aufgabe. Angefangen bei den 12.000 Briefen und Karten, die Häftlinge an ihre Liebsten schrieben und die ihre Angehörigen später der Gedenkstätte stifteten. Damit man sie auch noch in den kommenden Jahren lesen kann, werden sie in einer Flüssigkeit gebadet und so die Säure aus dem Papier ausgespült, dann gescannt und digitalisiert.

Bei den Dosen mit dem Totenkopf-Emblem bekämpfen die Restauratoren den Rost. In ihnen befand sich das Granulat des Gifts Zyklon B, mit dem die SS die Menschen in den Gaskammern ermordete.

Rund 40 Staaten haben für den Erhalt der Gedenkstätte schon gespendet.

Besonders dringend und aufwendig ist die Konservierung der mehr als 40 baufälligen Backsteinbaracken in Birkenau, die die Häftlinge im Eiltempo errichten mussten. Hier stabilisieren Spezialisten die Wände und schützen die schwachen Fundamente mit einem Entwässerungssystem im Boden. Sie verzichten aber auf einen Unterbau aus Beton. Denn die historische Bausubstanz soll – soweit möglich – unverändert für die Zukunft erhalten bleiben.

KAPITAL Ein Masterplan taxierte die Kosten der notwendigen Restaurierungsarbeiten auf 3,6 bis 5,5 Millionen Euro pro Jahr. Das Geld soll die 2009 gegründete Stiftung Auschwitz-Birkenau aufbringen. Sie verfügt aber nur über einen Kapitalstock von gut 100 Millionen statt der benötigten 180 Millionen Euro, um aus ihren eigenen Erträgen langfristig die Konservierung der Überreste finanzieren zu können.

Auf Einladung der Stiftung besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Freitag zum ersten Mal die Gedenkstätte am Rande des südpolnischen Oswiecim (Auschwitz). Eine Kleinstadt, die die deutschen Besatzer im Herbst 1939 dem Dritten Reich einverleibten.

Das Interesse an der Gedenkstätte nahm in den vergangenen Jahren stark zu.

Merkel bringt aus Berlin die Nachricht für den Konservierungsplan der Gedenkstätte mit: Der Bundestag stellt im Haushalt 2020, der Ende vergangener Woche verabschiedet wurde, 14 Millionen Euro für die Stiftung bereit. Für 2021 sind weitere 16 Millionen Euro vorgesehen.

Von 2011 bis 2015 zahlten die deutschen Bundesländer und der Bund bereits insgesamt 60 Millionen Euro ein. Rund 40 weitere Staaten spendeten ebenfalls größere oder kleinere Summen: die USA umgerechnet 13,5 Millionen Euro, Polen zehn Millionen Euro, Israel 900.000 Euro und der Vatikan 100.000 Euro.

Kanzlerin Merkel will bei ihrem Auschwitz-Besuch am Freitag weiteres Geld zusagen.

Das Internationale Auschwitz Komitee (IAK) begrüßt Merkels Besuch der Gedenkstätte. Die Bundeskanzlerin habe sich »immer vehement gegen jede Form der Leugnung des Holocaust und gegen alle Holocaustleugner engagiert«, sagte IAK-Vizepräsident Christoph Heubner. »Und sie war immer aufgeschlossen und loyal den Überlebenden von Auschwitz gegenüber und hat ihnen für ihr pädagogisches und politisches Engagement gedankt.«

Heubner hofft, dass Merkels Auschwitz-Besuch junge Menschen aus aller Welt motiviert, »sich für den Schutz der Demokratie und der Toleranz einzusetzen«.

HÖCHSTMARKE Das Interesse an der Gedenkstätte nahm in den vergangenen Jahren stark zu. 2007 überschritt die Besucherzahl erstmals die Millionenmarke. 2018 kamen 2,15 Millionen. Dieses Jahr ist ein neuer Besucherrekord sicher. Bereits Ende November wurde nach Angaben des staatlichen Museums die bisherige Höchstmarke aus dem Vorjahr übertroffen.

Deutsche Besucher stehen in der Statistik allerdings nur an sechster Stelle nach Polen, Briten, Amerikanern, Italienern und Spaniern. An der fehlenden Unterstützung aus Berlin liegt das offensichtlich nicht. Etwa 200 NS-Gedenkstättenfahrten von Jugendgruppen fördert der Bund 2019 mit seinem Programm »Jugend erinnert«, deutlich mehr als im Vorjahr. Etwa 80 Prozent dieser mindestens dreitägigen Bildungsreisen gehen nach Auschwitz.

Befreiung des KZ Dachau

»Ein bestimmtes Milieu will von der Verantwortung für Israel nach der Schoa nichts mehr wissen«

Heute vor 79 Jahren wurde das Konzentrationslager Dachau befreit. Zentralratspräsident Josef Schuster hielt bei der Gedenkveranstaltung eine Rede, die wir hier dokumentieren

von Josef Schuster  05.05.2024

Berlin

Schuster warnt vor amerikanischen Verhältnissen an deutschen Unis

Jüdische Studenten sind seit Monaten vom steigenden Antisemitismus betroffen

 05.05.2024

Berlin

Jude (54) beleidigt und mit E-Scooter attackiert

Der Täter brüllte seinem Opfer »Free Palestine« entgegen

von Nils Kottmann  05.05.2024

Gedenkstätte Bergen-Belsen

»52.000 Tote, jeder mit einem Namen und einem Leben voller Hoffnungen«

Am Sonntag wurde in der Gedenkstätte Bergen-Belsen der 79. Jahrestag der Befreiung mit einer Gedenkzeremonie begangen

 05.05.2024

"Tsunami des Hasses"

Antisemitismus nimmt weltweit stark zu

Schockierender Anstieg: Tel Aviv Universität und Anti-Defamation League veröffentlichen Antisemitismusbericht 2023

von Sabine Brandes  05.05.2024

Hamburg

1000 Menschen bei Anti-Kalifat-Demo

Der Protest sollte ein Zeichen gegen den Islamisten-Aufmarsch sein, der vor einer Woche die Einführung eines Kalifats und der Scharia gefordert hatte

 05.05.2024

Berlin

Mann wird wegen Israelfahne ins Gesicht geschlagen und beraubt

Der 34-Jährige trug die Flagge wie ein Gewand, als ein Mann ihn attackierte

 05.05.2024

Antisemitische Proteste

Bildungsministerin fordert von Unis konsequentes Vorgehen

Die Universitätsleitungen müssten konsequent von ihrem Hausrecht Gebrauch machen, so die Ministerin

 04.05.2024

Kommentar

Zeit für ein Machtwort, Herr Woidke!

Brandenburg hat immer noch keinen Antisemitismusbeauftragten - dabei ist der jüngste Verfassungsschutzbericht alarmierend

von Michael Thaidigsmann  03.05.2024