»Tsunami des Hasses«

Antisemitismus nimmt weltweit stark zu

Die Tür der Synagoge hat deutlich Schaden genommen Foto: picture alliance/dpa

Der jährliche Antisemitismusbericht ist veröffentlicht -nur einen Tag vor dem Holocaustgedenktag Jom Haschoa in Israel. »Den Luxus, in Momenten wie diesen gleichgültig zu sein, haben wir nicht. Das lehrt uns die Geschichte«, schreibt der Geschäftsführer und Nationaldirektor der Anti-Defamation League (ADL), Jonathan Greenblatt. Denn: »Nach dem schrecklichen Angriff der Hamas gegen Israel am 7. Oktober folgte ein Tsunami des Hasses gegen jüdische Gemeinden weltweit.«

Der Bericht, eine Kooperation der ADL mit der Universität Tel Aviv (TAU), zeigt, dass die Zahl antisemitischer Vorfälle in westlichen Ländern im Jahr 2023 im Vergleich zu 2022 um Dutzende Prozentpunkte anstieg. Besonders deutlich wurde das nach den verheerenden Hamas-Massakern in südlichen israelischen Gemeinden am 7. Oktober. Doch bereits in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 war es in den meisten Ländern mit großen jüdischen Minderheiten, darunter den USA, Frankreich, Großbritannien, Australien, Brasilien und Mexiko zu einem Anstieg antisemitischer Taten gekommen.

Nach dem 7. Oktober 2023 wurden die Sicherheitsmaßnahmen für Synagogen in Paris verstärkt.Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP

In Frankreich stieg die Zahl der Vorfälle im Zeitraum Januar bis September 2023 auf 434 im Vergleich zu 329 im selben Zeitraum von 2022. In Großbritannien von 1270 auf 1404. Auch in Australien explodierte der Judenhass nach dem 7. Oktober: Allein in den Monaten Oktober und November 2023 wurden 622 Vorfälle gemeldet, im Vergleich zu 79 im selben Zeitraum von 2022. Rückgänge waren dagegen in Deutschland und Österreich zu verzeichnen, wo nationale Programme zur Antisemitismusbekämpfung angewendet werden.

Höchste Zahl antijüdischer Hassverbrechen in den USA

Auf das Gesamtjahr betrachtet habe es laut ADL in 2023 in den USA die höchste Zahl antijüdischer Hassverbrechen gegeben, die jemals registriert wurde. Die Polizei in New York City, der Stadt mit der größten jüdischen Gemeinde der Welt, verzeichnete 325 antisemitische Vorfälle im Vergleich zu 261 im Jahr davor. In Los Angeles gab es nach Angaben der dortigen Sicherheitskräfte 165 im Vergleich zu 86 Fälle. Fast Dreiviertel amerikanischen Universitätsstudenten gaben zudem an, seit Beginn des akademischen Jahres irgendeine Form von Antisemitismus erlebt oder gesehen zu haben.

Israelfeindlicher Protest an der Columbia University: Die Angst bei jüdischen Studierenden an amerikanischen Elite-Hochschulen wächst.

In anderen Ländern ist der Anstieg noch dramatischer, wie aus den im Bericht gesammelten Daten von Regierungs- und Strafverfolgungsbehörden, jüdischen Organisationen, Medien sowie Feldforschung hervorgeht. In Europa schneidet Frankreich besonders schlecht ab. Dort nahm die Zahl antisemitischer Vorfälle in 2023 um fast das Vierfache zu (436 im Vergleich zu 1676 Fälle), in Großbritannien um nahezu das Zweieinhalbfache. Die Zahl körperlicher Übergriffe verdoppelte sich dort nahezu von 136 auf 266.  

»Den Luxus, in Momenten wie diesen gleichgültig zu sein, haben wir nicht.«

ADL-Geschäftsführer Jonathan greenblatt

In Deutschland sei die Zahl antisemitischer Taten mit 2639 bereits in 2022 extrem hoch gewesen, gibt der Bericht an. Im Jahr darauf stieg sie sogar noch: 3614 Taten wurden gemeldet. Außerhalb von Europa ist Brasilien trauriger Spitzenreiter. In dem lateinamerikanischen Land stieg die Zahl um mehr als das Vierfache von 432 auf 1774. Argentinien meldete 598 im Vergleich zu 427 und Südafrika statt 68 in 2022 im Jahr darauf 207 Taten, die Antisemitismus zuzuschreiben sind.

Professor Uriya Shavit, Leiter des Center for the Study of Contemporary European Jewry an der TAU, ist besorgt: »Es ist nicht das Jahr 1938, noch nicht einmal 1933. Doch wenn die aktuellen Trends anhalten, wird der Vorhang für jüdisches Leben im Westen fallen. Es wird nicht mehr möglich sein, einen Davidstern zu tragen, Synagogen und Gemeindezentren zu besuchen, Kinder auf jüdische Schulen zu schicken, einen jüdischen Club auf dem Campus zu besuchen oder Hebräisch zu sprechen.«

Große Unternehmen, viel Geld, großer Hass

»Da Bombendrohungen gegen Synagogen an der Tagesordnung sind, ist die jüdische Existenz im Westen gezwungen, sich abzusichern. Doch je mehr sie dies tut, desto mehr wird das Gefühl von Sicherheit und Normalität untergraben. Die Bemühungen im Kampf gegen Antisemitismus müssten sich auf die »Zentren des Giftes und die Darstellung messbarer und erreichbarer Ziele konzentrieren«, so Shavit. »Vor allem muss die Realität, in der große Unternehmen viel Geld verdienen, indem sie großen Hass verbreiten, ein Ende haben.«

Israel als Staat habe begrenzte Möglichkeiten, um jüdischen Gemeinden zu helfen. Doch selbst das wenige, was getan werden kann, »wird nicht getan«. Seiner Meinung nach habe »Israel keinen sinnvollen strategischen Plan zur Bekämpfung des Antisemitismus«. Laut Professor Shavit bestehe »eine der größten Herausforderungen unserer Zeit darin, Unterstützung für den Kampf gegen Antisemitismus zu mobilisieren, ohne ihn zum Definitionsfaktor der jüdischen Identität zu machen.«

»Antisemitismus ist der blutige Kanarienvogel im Minenschacht der Welt«

Irwin cotler

Der 150-seitige Bericht enthält ausführliche Aufsätze zu verschiedenen Ländern sowie eine Studie über die Profile der Verbreiter antisemitischer Inhalte auf X (ehemals Twitter). Es wird auch die Ausbreitung antisemitischer Diskurse in der arabischen Welt, der Türkei und im Iran nach dem 7. Oktober untersucht. Hassreden habe es bereits gegeben, bevor Israel seine Kampagne in Gaza startete, auch auf führenden Universitätsgeländen. »Daher«, mahnt der Bericht, »sollte man die jüngste Welle des Antisemitismus nicht als emotionale Reaktion auf den Krieg betrachten«.

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Der ehemalige kanadische Justizminister und Generalstaatsanwalt Irwin Cotler bietet einen detaillierten 11-Punkte-Plan zur weltweiten Bekämpfung des Phänomens. »Die Explosion des Antisemitismus stellt nicht nur eine Bedrohung für Juden dar, sondern ist giftig für unsere Demokratien, ein Angriff auf unsere gemeinsame Menschlichkeit und eine ständige Bedrohung der menschlichen Sicherheit – der blutige Kanarienvogel im Minenschacht der Welt«, meint Cotler.

»Juden allein können das Phänomen nicht bekämpfen, geschweige denn besiegen. Was benötigt wird, ist ein Gewissenskreis – ein gesamtes Engagement und Handeln der Regierungen, der gesamten Gesellschaft, um diesen ältesten und tödlichsten Hass zu bekämpfen.«

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