Tübingen

Wenn im Leichenbuch die Namen von NS-Widerstandskämpfern stehen

Die Campus-Gebäude der Universität Tübingen Foto: picture alliance / ZB/euroluftbild.de

Leichentücher mit Namen und Lebensdaten von Opfern nationalsozialistischer Gewalttaten, deren Körper in die Anatomie gebracht wurden: Sie markieren den Eingang zur Ausstellung »Entgrenzte Anatomie. Eine Tübinger Wissenschaft und der Nationalsozialismus«, die bis Ende September in der Schausammlung der Alten Anatomie in Tübingen zu sehen ist.

Bewusst sei der historische Ort, die Alte Anatomie der Universität Tübingen, für diese Ausstellung ausgewählt worden, da es dort bis heute keinen Hinweis auf die NS-Opfer gebe, deren Leichen dort für Lehre und Forschung verwertet wurden, sagt Benigna Schönhagen vom Projekt Gräberfeld X. Diese »Leerstelle« habe den Anlass für ein mehrsemestriges Lehrforschungsprojekt gegeben, berichtet Schönhagen, die auch eine der vier Kuratoren der Ausstellung ist.

Kriegsgefangene Zwischen 1933 und 1945 wurden die Leichen von rund 1000 Menschen für Lehr- und Forschungszwecke an die Tübinger Anatomie geliefert. Mehr als die Hälfte von ihnen wurden Opfer nationalsozialistischer Gewalttaten, waren zum Beispiel Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Insassen von Arbeitshäusern oder Heil- und Pflegeanstalten, zum Tod Verurteilte.

Auch wenn 1990 alle menschlichen Präparate aus der NS-Zeit entfernt wurden, berichten die akribisch geführten Namenslisten in den Leichenbüchern der Anatomie sowie Texte und Fotografien von dem Unrecht. Die Einträge in den Büchern zeigen: Während Wissenschaftler zuvor »Sozialleichen« wie verstorbene Obdachlose, Hingerichtete und Totgeborene nur in geringer Zahl sezieren konnten, gehörte mit Kriegsbeginn das Problem der Leichenbeschaffung der Vergangenheit an.
Deutliche Züge einer rassistischen Anatomie traten auf, in der Menschen, die als minderwertig eingestuft wurden, in die Tübinger Anatomie kamen, etwa 156 sowjetische Kriegsgefangene, die unter anderem durch Zwangsarbeit starben.

Auch als »Volksschädlinge« Hingerichtete wurden nach Tübingen gebracht, zeigen die Namen im Leichenbuch - darunter die Leichen von Widerstandskämpfern der Lechleiter-Gruppe, wie Rudolf Langendorf und Anton Kurz. Die Anatomen zogen bedenkenlos diese Körper für ihre Forschung und Lehre heran, es schien keine ethischen Grenzen mehr zu geben.

Gewaltherrschaft Insgesamt 53 Studierende der Medizin und der Geschichtswissenschaft haben die Inhalte der Ausstellung erarbeitet. Sie haben sich mit der Entwicklung der Tübinger Anatomie vor, während und nach der NS-Gewaltherrschaft und mit den Fragen des Umgangs mit menschlichen Überresten (»Human Remains«) befasst.

Denn auch wenn es keine menschlichen Überreste mehr aus der NS-Zeit gibt, stelle sich die Frage, wie man mit Humanpräparaten umgeht, die aus Zeiten stammen, in der Menschen nicht um Erlaubnis gefragt wurden, ob nach ihrem Tod an ihren Körpern geforscht werden darf, sagte Stefan Wannenwetsch vom Projekt Gräberfeld X. Zur anatomischen Schausammlung gehören beispielsweise immer noch Kinderskelette, deren Umrisse schemenhaft hinter einem milchigen Transparentpapier versteckt sind.

Am Ende der Ausstellung kommen die Besucher wieder an den Leichentüchern vorbei und sind eingeladen, die Namen und Lebensdaten der Menschen, die auf den Tüchern stehen, nachzusticken. Dies solle dazu beitragen, dass Besucher von der Biografie der Toten erfahren, diese würdigen und die Verstorbenen in Erinnerung behalten, erklärt Stephan Potengowski, der die Gestaltung der Ausstellung entwickelt hat. Denn: »Jeder Name war ein Leben.«

Die Ausstellung wurde mit einem Vortrag von Götz Aly eröffnet, der für seine Forschung zu den NS-Medizin-Verbrechen bekannt ist. Weitere Vorträge von Expertinnen und Experten der NS-Medizingeschichte begleiten die Ausstellung. epd

Frankfurt am Main

Israelfeindliche Aktivisten bedrohen Uni-Präsidenten

Der Präsident der Goethe-Universität hatte eine Kooperationsvereinbarung mit der Universität Tel Aviv unterzeichnet und geriet deshalb ins Visier der Aktivisten. Es ist nicht der erste Skandal auf dem Campus

 24.10.2025

Berlin

Gratis-Falafel: Restaurant »Kanaan« reagiert auf Vorfall im »K-Fetisch«

Die Aktion dauert bis 16.00 Uhr an. Es sei ein »Friedenszeichen in Zeiten des Hasses«, sagen die Betreiber

 24.10.2025

Meinung

Warum die UNRWA seit 77 Jahren den Frieden in Nahost blockiert

Das UN-Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser verursacht erhebliche Probleme. Daher gibt es nur einen Weg

von Jusek Adlersztejn  24.10.2025

Internationaler Gerichtshof

Persilschein für die UNRWA

Der IGH sieht Israel in der Pflicht, mit dem umstrittenen Palästinenser-Hilfswerk zu kooperieren. Maßgeblich für die Richter sind die Zusicherungen von UN-Offiziellen

von Michael Thaidigsmann  23.10.2025

Berlin

Jüdische Studenten fordern Geraldine Rauchs Abgang

Die Präsidentin der Technischen Universität Berlin warnte vor »Muslimfeindlichkeit« bei einer jüdisch-kurdischen Veranstaltung. Die JSUD wirft ihr vor, autoritär zu reagieren. Kritik kommt auch von CDU und SPD

 23.10.2025

USA

Gebrochene Identität

Wie sich junge Juden zunehmend von Israel und ihrem Judentum entfernen. Geschichte einer Entfremdung

von Hannes Stein  23.10.2025

Meinung

Liebe Juden, bleibt bitte zu Hause!

Immer mehr jüdische Veranstaltungen werden abgesagt – angeblich zum Schutz von Jüdinnen und Juden. So wird aus einer Einladung zur Kultur ein stiller Abgesang auf Teilhabe

von Louis Lewitan  23.10.2025

Waffenimport

Milliardendeal: Bundeswehr kauft israelische Panzerabwehrraketen

Trotz des von Kanzler Friedrich Merz verhängten Exportstopps für Waffenlieferungen an den jüdischen Staat bezieht Berlin weiterhin auch andere Rüstungsgüter von dort

 23.10.2025

Berlin

Angela Merkel reist im November nach Israel

Von ihr stammt die Aussage, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist. Nun kehrt die frühere Kanzlerin dorthin zurück. Es gibt einen erfreulichen Anlass

 23.10.2025