Mehr als vier Jahrzehnte ist es her, dass Israel und Ägypten einen historischen Vertrag unterzeichneten. Damals, am 26. März 1979, besiegelten die beiden bis dahin verfeindeten Länder ihren Frieden. Warm wurden die Beziehungen aber nie. Doch nun setzen die Nachbarn einen neuen Meilenstein. Sie brachten das größte Energieabkommen ihrer gemeinsamen Geschichte unter Dach und Fach: einen Deal über die Lieferung von Erdgas im Wert von knapp 30 Milliarden Euro.
Es ist ein Vertrag, der die Energieströme im östlichen Mittelmeerraum grundlegend verändern könnte. Das im August ausgehandelte und jetzt von den Israelis ratifizierte Abkommen sichert Ägypten bis zum Jahr 2040 insgesamt 130 Milliarden Kubikmeter Erdgas zu. Es stammt aus dem israelischen Offshore-Feld Leviathan vor der Mittelmeerküste. Ägypten kämpft seit Jahren mit einer sinkenden heimischen Förderung bei gleichzeitig steigender Nachfrage.
Regionale Energiemacht
»Dieses Abkommen stärkt Israels Stellung als regionale Energiemacht erheblich und trägt mit zur Stabilität in unserer Region bei. Und es ermutigt andere Unternehmen, in die Erschließung von Erdgasvorkommen in unseren Gewässern zu investieren«, erklärte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu in einer Ansprache an die Nation. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das Abkommen für das kleine Land ein klarer Gewinn. Angesichts des zunehmenden Haushaltsdrucks durch weiterhin hohe Ausgaben für die Sicherheit sind die Milliarden aus Ägypten eine langfristige Einnahmequelle.
Doch ein Abkommen dieser Größenordnung bleibt nicht ohne Schattenseiten. Kritiker im Inland äußern Bedenken hinsichtlich der Energiesouveränität: Wenn Israel zu viel seiner Reserven für den Export freigibt, könnte dies die Inlandspreise in die Höhe treiben oder in Krisenzeiten die Versorgungssicherheit gefährden. Netanjahu betonte jedoch, die Einnahmen würden »für Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Sicherheit und die Zukunft kommender Generationen« verwendet. Zudem ist er überzeugt, dass »weitere Gasvorkommen gefunden werden«, und versicherte, das Abkommen verpflichte die beteiligten Unternehmen, »den Bürgern Israels Gas zu einem fairen Preis zu verkaufen«.
Experten sehen in dem Deal auch einen »Sicherheitspuffer« in einer instabilen Region. Denn gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten können stabilisierend wirken. Selbst in Phasen schwerer diplomatischer Krisen, etwa angesichts der aktuellen Lage rund um Gaza, sorgten Kairos Wunsch nach einer gesicherten Stromversorgung und Jerusalems Finanzsorgen dafür, dass die Beziehungen nie abbrechen sollten. Jahrzehntelang beruhte der »kalte Frieden« zwischen Israel und Ägypten vor allem auf sicherheitspolitischer Kooperation.
Das Abkommen fügt sich nahtlos in die amerikanische Energiediplomatie ein.
Aus Sicht von Emmanuel Navon, Experte für Internationale Beziehungen an der Universität Tel Aviv, ist der Deal von besonderer Tragweite: »In einer Zeit globaler Energieunsicherheiten, anfälliger Lieferketten und besonderer Herausforderungen ist Israel nicht länger nur Nutznießer westlicher Sicherheitsgarantien, sondern entwickelt sich selbst zu einem Anbieter von Rohstoffen.« Deshalb sei der Vertrag nicht nur wirtschaftlich ein Erfolg, sondern auch ein »strategischer Aktivposten mit direkten Auswirkungen auf die nationale Sicherheit«.
Zentrale strukturelle Herausforderungen
Aus ägyptischer Perspektive berührt der Deal zentrale strukturelle Herausforderungen, so Navon, und zwar: »eine sinkende Inlandsproduktion bei steigendem Strombedarf sowie die enormen Belastungen des öffentlichen Haushalts durch teure Energieimporte«. Israelisches Erdgas biete da Planungssicherheit und liefere so einen Beitrag, die wirtschaftliche und soziale Stabilität des Landes zu gewährleisten.
Das Abkommen fügt sich nahtlos in die amerikanische Energiediplomatie ein. Indem Israel seine Beziehungen mit Ägypten vertieft, gewinnt es zugleich an Einfluss in Washington und positioniert sich als ein Akteur, der mithilft, die regionale Stabilität zu sichern. Damit unterstützt Israel die amerikanischen Interessen, und das ohne weitere militärische oder finanzielle Verpflichtungen für Washington.
»Für die Vereinigten Staaten ist das Funktionieren Ägyptens von zentralem strategischen Interesse«, erklärt Navon. »Energieengpässe führen zu Haushaltskrisen, industrieller Stagnation und erhöhten sozialen Risiken – alles Konstellationen, die es Russland oder China ermöglichen könnten, Einfluss zu gewinnen.« Er weist zudem darauf hin, dass die »Stärkung der Achse Israel–Ägypten–Griechenland–Zypern durch eine energiepolitische Verzahnung die Isolation der Türkei im östlichen Mittelmeer weiter vertieft«.
Rücksicht auf die fragile innenpolitische Stimmung
Kurz nach Vertragsunterzeichnung meldete sich die ägyptische Regierung zu Wort: »Das Abkommen ist eine rein kommerzielle Transaktion … und beinhaltet keinerlei politische Dimensionen oder Absprachen.« Zweifellos muss Kairo Rücksicht auf die fragile innenpolitische Stimmung nehmen.
Denn der regionale Kontext bleibt komplex: Der Nahe Osten ringt weiterhin mit den Folgen des Krieges gegen die Hamas. Gleichzeitig fungiert Kairo als Vermittler bei den Waffenstillstands- und Geiselbefreiungsverhandlungen.
Vor diesem Hintergrund könne der Erdgasdeal durchaus »als Wegbereiter für ein erneutes politisches Engagement auf höchster Ebene verstanden werden«, meint Navon. »Einschließlich der Möglichkeit eines Treffens zwischen Präsident Abdel Fattah al-Sisi und Premierminister Netanjahu.« Und das, so seine Einschätzung, wäre »eine Entwicklung von großer regionaler Bedeutung«.